Heike Wenig - Der Engel an der Harfe

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Selten wird der Mörder bestraft für sein Tun. Eher hat der Leser Mitleid und Verständnis mit ihm. Manchmal wird ein Täter bestraft für etwas, was er garnicht getan hat. Die Autorin hat diese ungewöhnlichen Kriminalgeschichten geschrieben aus ihrem großen Erfahrungsschatz im Umgang mit den Menschen, die ihr täglich begegnen.

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Heike Wenig

Der Engel an der Harfe

und andere Kriminalgeschichten

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Inhaltsverzeichnis

Titel Heike Wenig Der Engel an der Harfe und andere Kriminalgeschichten Dieses ebook wurde erstellt bei

Der Engel an der Harfe.

Tödliche Versuchung in der Bar

Der Mörder am Kontrabass

Manuel

Der Wäschetrockner

Gelungene Rache

Nächtliches Geheimnis im Friseursalon

Der einsame Camper

Der Mäzen

Stich ins Herz

Der Notarzt

Rache am Ende einer Reise

Flug in die Sonne

Die Cocktailmischerin

Die Kindsmörderin

Die Kindsmörderin

Mord auf dem Kreuzfahrtschiff

Die Ankläger

Impressum neobooks

Der Engel an der Harfe.

Sie sah gut aus, engelsgleich, mit ihren langen blonden Haaren und der schlanken, anmutigen Gestalt. Wenn sie an der mächtigen Harfe spielte, lockte sie leise, zarte Töne, dann aber auch starke, kräftige Akkorde hervor. Keiner hätte ihr diese Kraft zugetraut. Schon lange spielte sie im Orchester, kannte alle Partituren der anderen Instrumente, auch wenn sie selbst nur gelegentlich zum Einsatz kam. Wenn sie dann aber spielte, fühlte sie sich als wichtigste Musikerin der gesamten Truppe und konnte es nur schlecht aushalten, wenn die anderen sie mit flapsigen Worten neckten. Sie sagten: eigentlich dürftest Du nur die Hälfte des Gehaltes bekommen, so selten, wie Du einen Einsatz hast oder: man hört Dich ja kaum, obwohl Du doch das größte Instrument hast. Sie ließ sich nichts anmerken, aber innerlich kochte sie vor Wut. Sie war die Beste. Warum nur sahen die anderen das nicht ein. Um den Spott der anderen zu entgehen, zog sie sich nach Ende der Proben immer mehr zurück und ging auch nicht mehr mit in das Stammlokal des Orchesters. So saß sie Abend für Abend ganz allein zuhause in ihrer kleinen Wohnung. Sie war einsam. Eines Abends klickte sie an ihrem Computer ihre mails durch. Als sie die mail einer Paaragentur las, beschloss sie, sich dort einmal einzuklicken. Es wäre schön, wenn sie endlich einen Partner fände, mit dem sie sich austauschen könne und der sie als Mensch und Musikerin schätzen würde. Dass die Partneragentur europaweit Kontakte versprach, kam ihr sehr entgegen. Ihr Orchester würde im nächsten Jahr eine Europatournee unternehmen. Es dauerte nicht lange, bis sie in jedem der Städte in Europa, wo ihr Orchester ein Konzert geben würde, Partner zum Chatten gefunden hatte. Es machte ihr viel Spaß und die einsamen Abende vergingen so im Fluge. Ein Chatfreund lebte in der gleichen Stadt wie sie. Aber mit einem Treffen ließen sie sich lange Zeit. Tagsüber, wenn keine Proben stattfanden, übte sie auf ihrer Harfe im Konzerthaus. Für zuhause war die Harfe zu schwer und zu groß. Eines Tages sprang eine Saite ihrer Harfe. Sie löste sie los und steckte sie in die Tasche, damit sie eine neue besorgen konnte. Ausgerechnet heute war sie aber sehr in Zeitdruck. Abends war Generalprobe für ihr kommendes Konzert. Ihrem Chatpartner hatte sie eine Karte für die Aufführung zugeschickt. Er würde kommen und nach dem Konzert würden sie sich zum ersten Mal sehen. Ein gemeinsames Essen war geplant und sie war schon sehr aufgeregt. Damit sie sich am Bühnenausgang nicht verfehlen würden, hatten sie noch kurz ihre Fotos per mail ausgetauscht. Der Freund sah sehr interessant aus und sie freute sich schon auf das Treffen. Das Konzert verlief gut. Sie hatte nicht viel zu spielen, aber sie fand, dass sie es hervorragend ausgeführt habe. Am Ausgang wurde sie erwartet. Beschwingt ging sie neben ihm her zu einem Lokal ganz in der Nähe, was so spät abends noch Essen servierte. Sie unterhielten sich nach anfänglicher Scheu ganz ungezwungen über ihr Kennenlernen und die mails, die sie ausgetauscht hatten. Es war ein schöner Abend. Sie genoss ihn sehr. Nur eins fehlte ihr noch und darauf wartete sie ganz sehnsüchtig Warum sagte er nichts zu ihrem Spiel Gerade heute hatte sie doch der Harfe ganz verzaubernde Töne voller Leidenschaft entlockt. Sie wurde innerlich immer unruhiger und konnte sich äußerlich kaum noch beherrschen. Nach dem Essen schlug er einen Spaziergang durch den nahegelegenen Park vor. Sie freute sich. Dort würde er ihr bestimmt Komplimente zu ihrer Musik machen. Sie gingen durch den Park. Er legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie schwiegen beide und sahen zum Sternenhimmel hoch. Dann schlug er vor, sich auf eine Bank zu setzen und dort küsste er sie. Das war ganz angenehm, doch sie konnte es nicht richtig genießen. Sie wartete immer noch, dass er endlich etwas zu ihrer Musik sagen würde. Als er aber schwieg, platzte sie heraus: Und, wie war ich an der Harfe? War ich gut? Er antwortete, dass er ja so gut wie nichts von Musik verstünde, dass das Konzert ihm aber gut gefallen habe. Ja, und ich, sagte sie: Und Du, soll ich ehrlich sein? Ich habe mich gewundert, dass Du so wenig zu tun hattest und wenn Du gespielt hast, warst Du für mich kaum heraus zu hören. Sie war entsetzt. Etwas in ihr zerbrach und sie ballte ihre Fäuste in der Tasche zusammen. Da spürte sie die Harfensaite, die noch in der Manteltasche steckte. Sie wurde ganz ruhig und sagt: Macht doch nichts. Hauptsache, es war ein schöner Abend für Dich. Leg doch Deinen Kopf in meinen Schoss und lass uns noch etwas den Sternen zusehen. Er tat es und war ganz entspannt. Sie griff, ohne sich groß zu bewegen, die Saite mit den Händen an beiden Seiten an, schob sie mit einer plötzlichen Bewegung über seinen Hals und zog sie hinten straff zusammen. Er bäumte sich auf, nach Luft ringend, doch sie besaß in diesem Moment eine extreme Kraft und erdrosselte ihn. Eine Woche später ging das Orchester auf Europatournee. Die meisten nahmen ihre Instrumente mit, doch für sie stand in jeder Stadt, wo sie auftraten, eine Harfe zur Verfügung. Insgesamt waren es sieben Konzerte in sieben verschiedenen Großstädten. Sie flogen von Deutschland nach Frankreich, von dort nach Italien, Spanien, Griechenland und England. Sie hatte ihren verschiedenen Chatpartnern jeweils den Konzerttermin mitgeteilt und versprochen, dass eine Karte für die Aufführung an der Kasse bereitläge. Sie setzte immer noch große Hoffnung auf die Treffen. In London spielte sie wie immer voller Herzblut auf ihrer Harfe, löste dann aber, als das Konzert vorbei war, wie in Trance eine Saite aus dem Instrument, ohne dass es jemand bemerkte und steckte sie in die Tasche. Das Treffen mit dem Engländer verlief harmonisch. Sie aßen nett miteinander und sie schlug einen anschließenden Spaziergang im Park vor. Und nun verlief alles genauso wie zuhause. Er machte ein paar Späße über ihre Musik und sie erdrosselte ihn. Völlig gefühllos saß sie am nächsten Tag mit den anderen im Flugzeug nach Rom. Sie verhielt sich wie immer und keinem fiel etwas auf. Es passierte das Gleiche in Rom in Genua, in Lissabon, auf Mallorca, in Athen und in Athen. Und mit jedem Konzert gab es einen Toten mehr in der darauffolgenden Nacht. Sie hatte kein Schuldgefühl. Es war, als sei das sie das nicht selbst, die da nächtlicher Weise mordete, sondern ein ganz anderer Mensch. In Berlin, wo das letzte Konzert des Orchesters stattgefunden hatte, war ein junger Kommissar damit beschäftigt, die Umstände des Toten im Park aufzuhellen. Als ihm der Pathologe auf die Frage, womit der Tote denn erdrosselt sein könnte, ihm antwortete: Es war ein ganz dünner Draht oder Ähnliches, etwa so dünn wie eine Harfensaite, kam ihm eine Idee. Da müsste es doch irgendwo eine Harfe geben, wo eine Saite fehlte. Er schaute in den Zeitungen nach und las, dass an dem Abend, wo in der Nacht die Leiche gefunden wurde, ein berühmtes Orchester zum Abschluss seiner Europatournee ein Konzert gegeben hatte.

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