Klaus Weniger
Der Gesang der Lerche bleibt
Ein Bericht über die Kriegsjahre 1943-1945
Dieses Dokument soll den an der jüngeren Geschichte Interessierten Informationen für eigene, weitergehende Analysen geben.
Unter der Voraussetzung, dass wir uns mit unserer Geschichte beschäftigen, haben wir die Möglichkeit, unsere Zukunft friedfertig zu gestalten.
Darüber hinaus soll das Dokument die umfangreich existierenden Publikationen über den „Zweiten Weltkrieg“ ergänzen.
epubli GmbH
Copyright: © 2014 Klaus Weniger
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-1975-5
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Bildnachweis:
Rückseite rechts oben: IWMCollections Bild BU 5230, gemeinfrei.
Rückseite rechts Mitte: IWMCollections Bild BU 2332, gemeinfrei.
Vorderseite oben links sowie Seite 422: Familienarchiv Norbert Radtke, gemeinfrei.
Quellennachweis:
Todesanzeigen Seite 424/425: Braunschweiger Zeitung, Helmstedter Nachrichten.
Meiner Frau Helga gewidmet
Inhalt
0 Vorgeschichte - Der Weg in die Vernichtung 5
1 Der „Große Krieg“ und der „Zweite Weltkrieg“ 12
2 Rückblick auf 1943 - Schulzeit und Jugendjahre 28
3 Luftwaffenhelfer 61
4 Beim Reichsarbeitsdienst in Uelzen 133
5 Panzergrenadier 152
6 Kriegsgefangener (POW) 311
7 Meine Gedanken, Wahrnehmungen und Erkenntnisse 398
8 Vita von Klaus Weniger 400
9 Geschichtsbeschreibung – Die Kriegsgeschichte 401
10 Aufstellung der Armee 403
11 Segnung der Waffensysteme 406
12 Umgang mit der seelischen Hemmschwelle 407
13 Gedanken zur Moral 411
14 Umgang mit der Angst 412
15 Gedanken zur Wahrheit 417
16 Gedanken über den Soldaten als Mörder 418
17 Militärtradition 421
18 Nachtrag in eigener Sache 422
19 Ausgewählte Bilder 423
20 Aufsätze 442
21 Anhang zum Bericht 513
Postskriptum 516
0 Vorgeschichte - Der Weg in die Vernichtung
Bis zum 19. April 1945 war die militärische Ordnung innerhalb unserer Einheit als normal anzusehen. Im Raum von Senftenberg sollte die Neuaufstellung unserer Division erfolgen. Am Nachmittag des
19. April 1945 vernichteten sowjetische T 34/76 oder T 34/85 Panzer bei Boblitz, südlich von Lübbenau in der Niederlausitz, unseren Truppentransportzug.
Nach der Zerstörung haben sich die marschfähigen Soldaten in Richtung Westen und der größere Teil in Richtung Norden vom Ort des Geschehens abgesetzt.
Zurück gelassen haben wir die gefallenen und verwundeten Kameraden. Sie waren in den Resten des zerstörten Zuges und auf dem Acker geblieben. Die Zerschlagung unseres Bataillons war eine der letzten Kriegshandlungen.
Von diesem Zeitpunkt an, noch weit vor Mitternacht, befand sich meine Gruppe auf dem Wege in Richtung Luckau, in Richtung Westen. Unsere Gruppe bestand aus einem Feldwebel, einem Obergefreiten und zwei Panzergrenadieren. Gemeinsam saßen wir im Transportzug. Nach dessen Zerstörung haben wir uns rein zufällig gefunden. Unser Marschbefehl lautete, ohne Verzug auf dem schnellsten Wege nach Parchim in Mecklenburg zu marschieren.
Am 1. Mai 1945 erreichten wir Havelberg, wo wir in einer Kampfgruppe landeten. Am Nachmittag des 2. Mai 1945 erreichte ich westlich von Havelberg, in einer gewaltigen Ansammlung von den gestrandeten Soldaten, den breiten Elbstrom. In der letzten Nacht war ich durch die reine, militärische Willkür von meinen drei Kameraden getrennt worden.
Nur nicht jetzt noch in die sowjetische Kriegsgefangenschaft kommen. Dieses war das unausgesprochene Verlangen aller hier gestrandeten Soldaten.
Denn sich irgendwo in Sibirien wiederfinden, wenn man hier, an dieser Stelle, noch den sowjetischen Truppen ausgeliefert würde. Jeder uniformierte Soldat befand sich doch hier im Zustand einer psychischen Lähmung.
Den Amerikanern, die uns wohl heute, am 2. Mai 1945 gefangen nehmen werden, ist nicht zu trauen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte von den Männern an dieser Stelle auf der Ostseite der Elbe noch keiner Kontakt mit einem Amerikaner gehabt. Da war zwar auf dem Wege von Havelberg zur Elbe hin ein Amerikaner, an den erinnere ich mich, der Waffen entgegennahm und diese stapelte.
Nach den physischen und psychischen Anstrengungen der letzten Wochen standen wir als eine riesige, graue Menschenmasse an einer Stelle am Elbstrom, die über unser Schicksal entscheiden musste. Den Gedanken an einen Marsch in die sowjetische Kriegsgefangenschaft noch vor Augen und dann das Wissen um die Rote Armee bereits spürbar im Nacken. Uns hat nur die Elbe auf- und festgehalten. Am Rande des Wassers zur Handlung angetrieben, wollte sich jeder der Männer nur noch retten. Retten ja. Aber wie?
Viele der fremden Kameraden versuchten, ohne Rücksicht auf das eigene Leben, daran haben sie vor Anspannung nicht denken können, schwimmend durch und über die Elbe in Sicherheit zu kommen. Leere Blechkanister, Schläuche aus LKW-Reifen, Hölzer und vieles mehr an unbrauchbaren Dingen sind für die Flucht eingesetzt worden. Von den Anstrengungen und der Angst verbraucht, verloren viele Männer in der Elbe ihr Leben.
Noch heute habe ich, wenn ich an die damaligen Stunden an der Elbe zurückdenke, immer wieder eine gewaltige, für mich gesichtslose, graue Masse Soldaten vor Augen. Ich habe damals wirklich kein einziges Gesicht gesehen. Alles um mich herum war nur grau. Gesteuert vom Bewusstseinsverlust und Taumel, vom Unterbewusstsein manipuliert, bezwang ich mich und den Elbstrom.
Körperlich nahezu am Ende erreichte ich auf dem linken Elbufer eine in den Strom reichende Buhne. Von dem, was gerade mit mir geschehen war, habe ich einfach nichts begriffen. Mit einem Schlag war ich in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft angekommen. Frühere Gedanken, wie ich einmal den Eintritt in die Kriegsgefangenschaft erleben werde, waren auf einmal vergessen.
In Kolonnen marschierten wir, nun nicht mehr im Gleichschritt, auf den Straßen am Westufer der Elbe in Richtung Süden. Meine mitgefangenen Kameraden in unmittelbarer Umgebung von mir waren, soweit ich mich erinnere, in trockenen Uniformen unterwegs. In meiner nassen Kleidung laufe ich zwischen ihnen in die erste Nacht.
Von der ersten Auffangstelle am Bahnhof in Arendsee, auf 2 ½ long ton Fahrzeugen stehend, transportierten uns die Amerikaner am sonnigen Vormittag des 3. Mai 1945 zur zweiten Sammelstelle nach Herford. Am Abend des 6. Mai irgendwo bei Herford in offene Güterwagen verladen, rollte der Transport über Nacht in Richtung Westen. Wir durchfuhren das zerstörte Ruhrgebiet und rollten über den Rhein bei Wesel.
In Wickrath war am Nachmittag des 7. Mai 1945 unsere Reise zu Ende. Bei glühender Hitze, die Hände auf dem Kopf abgelegt, marschierten lange Kolonnen der Kriegsgefangenen zum Ziel. Auf dem langen Marsch brachen auf der Straße mehrere Kameraden von den Anstrengungen und der Hitze zusammen.
Am Ortsrand von Wickrathberg breitete sich vor mir überraschend ein nicht überschaubares, großes Gelände aus. Da standen auf dem flachen Acker die ersten Baumstämme. An ihnen befand sich bereits teilweise der silbern blinkende, straff gespannte Stacheldraht. Im Hintergrund standen übermannshohe Stacheldrahtzäune. Einzelheiten des unter freiem Himmel errichteten Lagers blieben mir zunächst verborgen.
Eingewiesene, deutsche Kriegsgefangene setzten jeden einzelnen von uns, bis auf die Haut, in gewaltige Staubwolken aus DDT-Pulver. Dieses geruch- und geschmacklose weiße Pulver fühlte sich nicht wie Mehl an. Ohne zu wissen hatte man das widerliche aber trockene Pulver im Mund. Man musste es einfach runterschlucken.
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