Manuela Tietsch
Der Gesang des Einhorns
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Manuela Tietsch Der Gesang des Einhorns Dieses ebook wurde erstellt bei
1 Feuer im Museum, Sommer 1999
2 Im Norden Englands, 11. Jahrhundert
3 Freunde
4 Schottisches Reich, im Norden
5 Entscheidungen
6 Hassliebe
7 Eifersucht
8 Die Starke
9 Schmetterling
10 Das Einhorn
11 Der sprechende Schmetterling
12 Geheimnisse
13 Enthüllungen
14 Tränen
15 Noch eine Enthüllung
16 Überraschungen
17 Der Anspruch
18 Der Treueid
19 Freund oder Feind?
20 Die innere Wandlung
21 Der Wandteppich
22 Nebel über dem Moor
23 Sommer 1999, die Trennung
24 Schottland
Landkarte, Malindas Weg
Impressum neobooks
1 Feuer im Museum, Sommer 1999
Der Gesang des Einhorns
Ein feiner, kaum sichtbarer Staubschleier erfüllte die Luft und wurde bei jeder Bewegung aufgewirbelt, tanzte in den wenigen gebündelten Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster fielen und hatte kaum Gelegenheit sich zur Ruhe zu setzen, da der Besucherstrom keinerlei Rücksicht auf ihn nahm. Der leicht muffige Geruch ließ erahnen wie viele Jahre die Ausstellungsstücke schon Besucher erfreuten, oder auch langweilten.
Runa unterdrückte ihren Hustenreiz, als sie den Staub im Sonnenlicht tanzen sah und folgte Vera weiter in die mit einer Glaskuppel überdachte Haupthalle. Währenddessen beobachtete sie ihre Freundin und glaubte nicht, dass dieses hautenge Minikleid, falls das bisschen Stoff den Namen Kleid verdiente, passende Garderobe für einen Museumsbesuch war, aber so war Vera eben.
Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Weißgraue Gewitterwolken stapelten sich inzwischen, als hätte jemand weiche Kissen übereinander geworfen. Wenigstens war es hier drinnen noch einigermaßen kühl, außerhalb drückte die bleierne Hitze auf Atmung und Gemüt.
Sie wandte sich dem nächsten Schaukasten zu, eine mit Wachsfiguren nachgestellte Szene. Zwei auf dem Boden sitzende, mit einem Hund spielende Kinder und deren mutmaßliche Mutter, die mit einem Bein noch in der offenen Tür der Hütte stand und offensichtlich einen Stapel Wolle hinaus tragen wollte. An der Sichtgrenze, lebensnah gemalt von einem Namenlosen Künstler oder Studenten, kamen zwei Männer im ursprünglichen großen Tuch, dem Vorläufer des Kilts, über die Hügel auf das kleine Haus zu. Was wollten diese Männer von der Frau und ihrer Familie? Gehörten sie dazu? Oder wollten sie ihr etwas antun? Ein Schauer lief Runa über den Rücken. Immer wieder stellte sie fest, dass sie für das Frühmittelalter nichts übrig hatte und noch weniger für Schottland. Und trotzdem nahm sie alles was mit diesem Land und seiner Geschichte zu tun hatte wie ein Schwamm auf und sie hatte sie das Gefühl, je mehr sie sich innerlich dagegen wehrte, um so schlimmer wurde es.
Eine innere Unruhe ließ sie ihren Blick schweifen. Sicher, die Moorleichen würden nicht davonlaufen und trotzdem drängte sie eine unbestimmte Angst, dass genau das eintreten könnte, weiter zu gehen. Hoffentlich gelangte sie bald an ihr eigentliches Ziel.
Sie musste plötzlich schmunzeln, als ihr Veras Entgegnung auf ihre Einladung sie zur Ausstellung zu begleiten, wieder einfiel. „Moorleichen? Du willst dir verschrumpelte Tote ansehen?“ sie hatte die Augen verdreht, „Warum das denn?“
Runas Blick wanderte erneut zu Vera, die sich ganz nebenbei nach zwei viel zu jungen Männern umsah, die mit ihrer Klasse einen Ausflug ins Museum unternahmen. Ihre Freundin war unverbesserlich. In Runas Bauch zwickte es unangenehm. Neid? Dabei gönnte sie Vera doch ihren Spaß. Dass sie zu gleicher Leichtigkeit im Umgang mit Männern nicht fähig war, daran trug ja nicht Vera Schuld. Es war nicht die Eifersucht auf Veras Unbefangenheit, da war etwas anderes. Sie konnte es nicht greifen, doch dieses unbestimmte Gefühl wütete in ihrem Magen, viel schlimmer als irgendeine Prüfungsangst.
Ihr fielen die beiden Leichen aus dem Moor wieder ein und sie schüttelte sich. Warum verfolgte sie die Vorstellung im Moor zu ersticken? Und warum zog es sie dennoch zu jeder Moorleiche die es in Ausstellungen oder Museen zu sehen gab? Es war seltsam! In gewisser Weise fühlte sie sich diesen armen Leichen verbunden. Was erwartete sie zu finden? Worauf hoffte sie? Wieder und wieder stellte sie sich diese Fragen. Doch die Antworten blieben aus, wie jedes Mal und schon saß sie wieder in ihrer Wohnung am Computer und suchte im Netz schon nach der nächsten Ausstellung. Es war verrückt.
Falko warf einen Blick vom Rang hinunter in den riesigen Mittelsaal und was er dort entdeckte, gefiel ihm weitaus besser als der verstaubte Krempel aus dem Museum. Er winkte Lando und Jaromir zu sich.
„Wow!“, entfuhr es Jaromir, „noch kürzer und ich könnte ihren Beinansatz sehen.“
Falko nickte grinsend, während er seinen Blick nicht von den beiden weiblichen Wesen abwenden konnte.
„Die blonde kommt offensichtlich geradewegs aus einem der Schaukästen!“, lachte Jaromir belustigt und versuchte Falko und Lando ein bestätigendes Grinsen zu entlocken, was ihm nur bei Falko gelang.
Der wandte sich grinsend zu seinem Bruder Lando um, doch der schritt bereits mit Siebenmeilen Schritten weiter. Sein muskulöser Rücken wirkte als hätte er einen Schraubstock verschluckt und selbst die breiten Schultern schienen an einem Brett festgenagelt zu sein. Ihm war unbegreiflich wie ein Mann einerseits so katzengleich und andererseits so steif wie ein Schraubstock gehen konnte. Bestimmt weilte sein verehrter Bruder mit seinen Gedanken wieder in schottischen Gefilden. Sie sollten sich damit abfinden, er hatte eine Macke! Zudem waren ihm die Toten wichtiger als die Lebenden. Herrisch, rücksichtslos, eigensinnig, in einem Wort, Lando.
Er wechselte einen vielsagenden Blick mit Jaromir, ehe sie sich wieder den beiden Frauen zuwandten. „Wo sind sie hin?“, er blickte Jaromir fragend an.
Der zuckte die Schultern und sie folgten Lando schlecht gelaunt, weil er offensichtlich schon wieder die Richtung und Geschwindigkeit vorgab. Immer bestimmte er wo es langging und sie, die beiden Schäfchen folgten ihm. Falko nahm sich vor das in Zukunft zu ändern.
Schließlich gelangte Lando in einen stickigen, winzigen Raum, dessen Wände mit Aushängen, Lichtbildern und Landkarten überladen waren. Zudem bestärkten ihn die langen Abfassungen in winziger Schrift den Raum möglichst schnell wieder zu verlassen. Innerlich aufgerieben starrte er eine Weile auf eine Niederschrift, ohne jedoch wirklich wahrzunehmen, was dort stand. Jetzt hatte er sie schon zum dritten Mal gelesen, doch hätte ihn jemand gefragt, er wüsste den Inhalt nicht wiederzugeben.
Er hörte Falko und Jaromir eintreten, deren Gespräch wie auf Gebot verstummte.
Weshalb nahm er nicht gierig die Berichte auf, die ihm hier in solcher Fülle geboten wurden, stattdessen spürte er den unbändigen Drang zu seinem eigentlichen Ziel zu kommen, ja am liebsten hin zu rennen. Da war wieder diese innere Stimme, ein Zwang der ihn zu diesen beiden toten Menschen führen wollte, ihn lenkte. Er schüttelte sich. Im Moor zu sterben war der schrecklichste Tot von allen. Lieber ertrinken, oder abstürzen, oder von einem Auto überfahren werden! Er ging zum Überblick an der Tür. Wo entlang musste er, um auf dem schnellsten Weg zu den Leichen zu gelangen? Er drehte sich um. Wer redete so laut, lenkte ihn ab? Er wandte sich der anderen Tür zu.
Читать дальше