1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Was in Sparacio aber den größten Schock hervorgerufen hatte, war der Brust- und Bauchbereich des Toten. Dabei waren es nicht nur die Maden, die sich im Inneren der Bauchhöhle tummelten. Es waren auch nicht nur die freiliegenden Gedärme, die entweder die Leichenbestatter oder aber Santos wieder in die Bauchhöhle gepackt hatten und die dem Betrachter nun ein wabbeliges undefinierbares Gemenge darboten. Da war noch etwas. Die Rippen der Brust lagen zum größten Teil frei. Eine Hautschicht war dort partiell nicht vorhanden und wie es aussah, hatte Santos noch nicht mit der Obduktion begonnen.
Santos sah den fragenden Blick Sparacios und nickte vor sich hin. „Die meisten Maden habe ich mit der Brause in den Abfluss gespült“, begann er. „Vor der Obduktion werde ich den restlichen noch den Garaus machen. Ich hörte, die Leiche hing in einem Baum?“, fragte er in einem Atemzug.
„Sie hing im Geäst eines niedrigen Baumes an der Uferböschung des Tibers, ja. Besser gesagt, sie lag im Geäst.“
„Mit der Bauchseite nach oben, vermute ich.“
„Ja.“ Sparacios Blick war immer noch auf die Leiche gerichtet. „Erst hat sie eine Zeitlang im Wasser gelegen, dann hing sie einige Tage in dem Baum.“
„Also, was ich mit Bestimmtheit sagen kann: Der Mann ist nicht ertrunken. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie die Verfärbungen im vorderen Bereich des Halses feststellen. Sie sind zwar kaum sichtbar, aber durch den Bruch des Zungenbeins als äußere Gewalt belegbar. Kein Selbstmord also, falls Sie in diese Richtung Vermutungen hegten. Die Verwesung war offensichtlich bereits im Wasser weit fortgeschritten. Die Sonne hat den Leichnam dann getrocknet und ihr darüber hinaus einen Großteil des Wassers im Körper entzogen. Deshalb die Lederhaut an der Vorderseite. Anders sieht es auf der Rückseite des Körpers aus. Dort ist die Verwesung schneller vorangeschritten, da sie nicht der direkten Sonnenausstrahlung ausgesetzt war. Ich gehe davon aus, dass Sie am Fundort viele Maden vorgefunden haben?“
„Ja, unterhalb der Leiche, auf dem Erdboden“, antwortete Sparacio gedankenverloren.
„Sind offensichtlich von der Leiche heruntergefallen. Und die Fliegen?“
„Was?“ Sparacio riss sich zusammen. Er musste seine Arbeit tun und dafür musste er der Realität in die Augen sehen. „Die Fliegen? Wissen Sie, da müssten wir die Kollegen von der Spurensicherung fragen. Die waren am näheren Tatort.“
„Ist nicht nötig“, lachte Santos und sein runder Bauch wippte auf und ab. „Es müssen schon viele gewesen sein. Viele Maden, viele Fliegen, oder umgekehrt. So ist das eben. Er dort bot ihnen eine gute Brut- und Nahrungsstätte.“
Sparacio zeigte auf die Brust der Leiche. „Was ist mit der Haut über den Rippen. Sieht merkwürdig aus.“
„Ja, äußerst merkwürdig. Sie ist nicht einfach der Verwesung zum Opfer gefallen. Wenn Sie mich fragen: Sie wurde entfernt.“
„Entfernt?“ Sparacio sah Santos voller Erstaunen an. „Entfernt? Sie meinen, jemand hat sie weggeschnitten?“
„Zumindest sieht es so aus. Kommen Sie.“
Santos ging hinüber zum Seziertisch und Sparacio folgte ihm widerwillig, sein Taschentuch vor den Mund pressend.
„Die Haut ist zwar durch die äußeren Einflüsse stark ramponiert“, begann Santos. „Aber, dass man mit einem Messer in die Haut geschnitten hat, das kann man noch an verschiedenen Stellen erkennen. Sehen Sie hier: Ein kreisförmiger Schnitt und dann wieder ein gerader. Als hätte man das Messer bewusst so geführt.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Eigentlich nichts, als dass ich glaube, dass jemand aus einem bestimmten Grund einen solchen Schnitt durchgeführt hat.“
„Um dann die Haut über einem bestimmten Bereich zu lösen?“
„Die einzige Erklärung, die Sinn macht, oder nicht?“
Sparacio überlegte. „Dann gibt es meiner Meinung nach zur zwei Erklärungen dafür.“
„Ich bin gespannt.“ Santos sah Sparacio erwartungsvoll an.
Entweder man hat ihm die Haut abgezogen, um damit etwas zu tun, was auch immer. Oder man hat sie entfernt, um etwas zu vertuschen.“
„Sie meinen, auf der Brust habe der Mann etwas wie … wie eine Tätowierung gehabt. Ein Zeichen einer … Verbrecherorganisation?“
„Wenn es das ist, dann wollte man Spuren verwischen, möglich ist das.“
„Glauben Sie? …können Sie …?“ Sparacio hielt inne, denn er wusste, dass sein Anliegen unsinnig klingen würde.
„Sie meinen, ich sollte versuchen, dieses Zeichen, wenn es denn eines gewesen wäre, wieder sichtbar zu machen? So, wie eine durchgedrückte Schrift auf einem Notizblock? Commissario! Wo denken Sie hin?“
„Ich weiß“, brummte Sparacio resignierend. „War nur so eine Idee. Wann werde ich das Ergebnis der Obduktion haben? Schon gut“, nickte er, als er Santos‘ Blick sah.
Santos breitete ergeben die Arme aus und atmete tief durch. Er war es gewohnt, dass die Ermittler seine Ergebnisse am liebsten schon gestern auf dem Tisch liegen hätten. Er nickte mit einem säuerlichen Lächeln auf den Lippen. „Ich werde mich gleich an die Arbeit machen. Sie hören von mir, okay?“
Sparacio nickte. „Wir wissen noch nicht, wer der Tote ist“, sagte er nachdenklich im Hinausgehen. „Wir brauchen seine DNA … und seinen Zahnabdruck. Für alle Fälle. Ich hoffe, Sergente Sciutto findet etwas in den Vermissten-Akten.“
Dann fuhr er zurück zur Dienststelle. Er war gespannt, was sein Kollege ihm zu berichten hatte.
„Ist der Sergente schon zurück?“, fragte Sparacio, als er vorbei an Carla, seiner Sekretärin, seinem Büro entgegenstrebte. Irgendwie konnte er sich immer noch nicht an ihre Anwesenheit gewöhnen, doch einen triftigen Grund dafür konnte er sich nicht eingestehen. Marcello, keine Vorurteile, sagte er sich. Du kennst die Frau doch erst seit wenigen Minuten. Gib ihr eine Chance.
„Nein“, hörte er ihre sonore Stimme, die trotz aller Bestimmtheit irgendwie sympathisch herüberkam. „Aber Signore Sciutto hat angerufen. Es wird noch etwas dauern, sagt er. Ich soll Ihnen etwas ausrichten.“
„Na, was gibt‘s? Was hat der Sergente auf dem Herzen?“ Sparacio blieb in Höhe des Schreibtisches von Carla stehen und sah auf sie nieder, wie sie in ihrem Bürostuhl saß und irgendwelche Papiere ordnete. Sie saß nicht nur hinter dem Schreibtisch, sie thronte dahinter, mit der ganzen Fülle ihres Körpers und schaute Sparacio von unten herauf an, als stünde er als Rechenschaft abgebender Schüler vor einem Klassenlehrer.
„Nicht von Sciutto, nein, nein.“ Ihre Stirn schien sich in Falten zu legen und Sparacio spürte Schuldgefühle in sich aufkommen. Zum Teufel, dachte er. Was ist hier los? Bin ich hier der Chef oder was?“
Er bekam keine Gelegenheit, irgendetwas einzuwerfen und vielleicht war das auch gut so. „Der Vice-Questore hat schon wieder angerufen. Waren Sie inzwischen bei ihm?“
„Warum sollte ich?“ fragte Sparacio missmutig zurück. „Meine Arbeit geht vor. Ich habe einen Mörder zu ermitteln und keine Zeit, irgendein unnützes Stelldichein zu geben.“
„Ein Mord? Es ist also ein Mord? Der Mann im Baum. Das ist ja …“
„Sie werden kein Wort darüber verlieren, Carla! Haben wir uns verstanden? Ich sagte nicht, dass es ein Mord ist. Aber es kann sein, dass die Ermittlungen ergeben, dass Fremdverschulden vorliegt. Ich möchte, dass das vorerst unter uns bleibt. Können Sie schweigen?“
Sparacio hatte sich, während er sprach, nach vorne gebeugt und auf dem Schreibtisch von Carla mit beiden Armen abgestützt. Er sah seiner Sekretärin ins Gesicht und auf einmal hatte er ein gutes Gefühl. Irgendwie war es ihm, als sei ein Funke übergesprungen und während er noch darüber nachdachte, hörte er Carlas raue, aber dennoch warme und tiefe Stimme.
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