"Tut es weh?", fragte sie, nun deutlich sanfter.
Die anderen waren herangetreten und beäugten die Narbe ebenfalls.
"Nein, gar nicht. Nicht mehr. Anfangs dachte ich, mein Schädel explodiert. Doch dann hat Fala mir die Hand aufgelegt und seither ist es gut.", gab Ferry zurück.
"Sieht gut aus. Sauber gemacht.", sagte Judy neben ihm in ihrer nüchternen Art. "Du solltest ein bisschen besser auf deinen Kopf aufpassen!", fügte sie mit einem spitzbübischen Lächeln hinzu. Das war eine Anspielung auf ihren gemeinsamen Luftkampf, bei dem Ferry abgeschossen worden war und einen heftigen Schlag an den Kopf bekommen hatte. Danach hatte er ebenfalls im Koma gelegen.
"Ich will's versuchen.", gab er schmunzelnd zurück. "Schön, euch alle zu sehen. Geht es euch gut?" Ferry schaute in die Runde.
"Den Umständen entsprechend.", meldete sich Paris trocken.
"Was heisst das?", wollte Ferry wissen. "Was ist passiert?"
Paris schickte sich an, zu erzählen, doch Annunfala trat dazwischen.
"Setzen wir uns und trinken Tee. Dann können wir besser sprechen." Sie zeigte in die Mitte des domartigen Raums, wo ein grosser Haufen bunter Kissen lag. Ferrys Freunde hatten auf diesen Kissen gesessen, als er eingetreten war. Ausser den Kissen gab es keinerlei Einrichtung in dem Saal. Dekor schien nicht so das Ding der Grauen zu sein.
Sie legten die Kissen so zurecht, dass ein etwas unförmiger Kreis entstand. Die meisten sassen im Schneidersitz, doch Ferry behagte das nicht. Sein kaputtes Knie schmerzte, wenn er so sass. Er streckte die Beine übereinandergelegt nach vorn.
Zwei Graue tauchten auf und brachten Gläser mit einer dampfenden Flüssigkeit, sowie eine Platte, auf der grüne Klötzchen lagen, die wie Spielzeug-Bauklötze aussahen.
"Das ist irgend so ein Kräutertee. Schmeckt ein bisschen grasig und ist sehr süss.", flüsterte Laura Ferry zu. "Und das da ist so eine Art Gebäck.", erklärte sie weiter und fischte sich ein Stück von der Platte. "Schmeckt ebenfalls nach Gras und ist noch süsser als der Tee. Ist ein wenig gewöhnungbedürftig, aber eigentlich ganz gut. Und macht enorm satt. Das essen wir nun schon seit drei Tagen. Manchmal gibt es auch blaue oder braune Happen. Die blauen schmecken nach Blüten und die braunen nach Dörrfrüchten. Entfernt, wenigstens." Sie biss in das Teilchen und begann zu kauen. Ferry merkte, dass er Hunger hatte. Er griff sich ebenfalls ein grünes Gebäckstück und probierte einen vorsichtigen Bissen davon. Laura hatte recht, es war unglaublich süss. Den Geschmack fand Ferry recht apart. War mal was anderes. Es musste ja nicht immer Schokolade und Vanille sein. Während er sich den Rest des recht grossen Stückchens in den Mund schob und dafür einen tadelnden Blick von Laura erntete, begann Paris zu sprechen.
"Annunfala hat uns erzählt, dass ein zweites Tor aufgetaucht sei und es deshalb eine Art Aufstand der Grauen gegeben hat. Sie glaubten, dass sie angegriffen werden. Deshalb hat sie uns in den dunklen Raum geführt, wo wir betäubt wurden. Sie sagt, das war nötig, um uns zu schützen." Er warf der Königin einen Blick zu, der klar machte, dass er nicht dieser Meinung war.
"Betäubt? Wie?", fragte Ferry dazwischen. Das mit dem zweiten Tor hatte Fala ihm ja bereits erzählt.
"Stunner.", antwortete Dan. "Eine Art Energieimpuls, der flächig auf den Körper trifft und auf die Nerven wirkt. Die totale Überreizung des Nervensystems führt zu einer notfallmässigen Schnellabschaltung des zentralen Nervensystems. Total Blackout im Bruchteil einer Sekunde. Fala sagt, dass es nicht gefährlich ist und keine bleibenden Schäden zurücklässt. Man fühlt sich danach einfach, als ob man von einer Abrissbirne getroffen worden sei." Ferry nickte. Genau so hatte er sich gefühlt, als er zum ersten Mal aufgewacht war.
"Als sie uns betäubt hatten, haben sie uns in diese kleinen, grauen Einzelzellen gesperrt und gefesselt. Wir haben natürlich alle getobt und geschrien und Fala hat uns versucht zu beruhigen, doch es war einfach nicht verständlich, was sie sagte! Daraufhin wurden wir wieder betäubt und als wir aufgewacht sind, brummte der Schädel, doch wir waren nicht mehr fixiert.", fuhr Jane mit der Erzählung fort.
"Wir waren nun alle in einem grossen Raum, einem Massen-Schlafsaal, alle ausser dir.", ergänzte Youssef. "Wir haben uns natürlich Sorgen gemacht, vor allem Laura. Wir hatten alle Hände voll damit zu tun, dass sie nicht durchgedreht ist…"
An Ferrys Seite gab Laura einen grunzenden Laut von sich, der nicht sehr freundlich klang.
"Zum Glück ist Fala gekommen um uns mitzuteilen, dass es dir gut geht. Wir waren im ersten Moment total baff, dass wir sie plötzlich so gut verstehen konnten. Laura wollte sich schon auf sie stürzen, doch wir konnten sie zurückhalten. Fala hat sich dafür entschuldigt, dass wir vorübergehend eingesperrt worden waren, doch sie erklärte uns, wie es dazu gekommen war. Sie hat uns auch unsere Waffen zurückgegeben. Das hat uns überzeugt, dass sie es ernst meint." Carla schien ganz aufgeregt und unterstrich ihre Worte mit ausladenden Gesten.
Ferry schaute sich in der Runde um. Ja, alle hatten sie ihre Waffen am Gurt hängen. Er hatte seine jedoch nicht bekommen. Fragend schaute er zu der Königin. Diese schien wieder dunkelgrüne Bäckchen zu bekommen.
"Nach einem Eingriff muss erst abgewartet werden, ob es unerwünschte Nebeneffekte gibt…", erklärte sie verlegen. "Der Arzt sagt, dass es zu Kurzschlüssen im Nervensystem kommen kann, doch das ist ganz selten. Er muss dich erst untersuchen, bevor wir dir die Waffe zurückgeben können."
Na toll, dachte Ferry, Kurzschluss im Hirn! Das waren ja schöne Aussichten. Er bedachte Annunfala mit einem säuerlichen Blick. Das Grün auf ihren Wangen vertiefte sich.
"Zu ihrem Glück hat sie das nicht früher erwähnt…", raunte Laura. "Sie hat mir nur gesagt, dass es dir gut geht und du ein bisschen Ruhe brauchst. Sie hat mich sogar zu dir gelassen, damit ich mich selbst davon überzeugen konnte, wie es um dich steht. Sie hatten dich in ein künstliches Koma versetzt. Ich fand, es sah überhaupt nicht gut aus!", fuhr sie fort. "Ich bin fast durchgedreht." Ferry machte ein betrübtes Gesicht. Er konnte in Lauras Stimme hören, wie besorgt sie war. "Bist du sicher, dass es dir gut geht?", hakte sie nach.
"Ja, alles prima. Bis jetzt scheint es noch keine Funken zu schlagen da drin." Er tippte sich an den Kopf und lächelte sie aufmunternd an. Er hoffte, dass es auch so bleiben würde.
"Und was habt ihr die ganze Zeit gemacht? Was hat es auf sich mit dem zweiten Tor?", wandte sich Ferry an die Gruppe.
"Wir haben Tee getrunken, bunte Würfel gegessen und die Aussicht genossen.", sagte Paris mit einem bissigen Unterton. "De facto sind wir immer noch Gefangene. Sie lassen uns nicht raus." Er schaute die Königin unverwandt an. "Wir wüssten auch gerne, was es mit dem zweiten Tor auf sich hat! War es nun ein Angriff oder nicht? Wer ist durch das Tor gekommen?" Er war ruhig geblieben, doch die Mitglieder des Corps kannten diesen Ton von Paris. Er wollte Antworten und würde sich nicht mit Ausflüchten zufrieden geben.
"Ihr seid zu eurem eigenen Schutz in diesem Raum. Die Stimmung bei der Truppe hat sich nicht wesentlich verbessert. Wir müssen zuerst die Gefangene befragen. Doch sie weigert sich, mit uns zu sprechen.", führte Annunfala aus.
"Gefangene? Eine Frau?", blaffte Judy heraus.
Fala legte den Kopf in ihre schräge Denker-Lage. Nach einer kurzen Weile antwortete sie zögernd.
"Ja, eine Königin. Ein weiblicher Anders-Mensch." Da sich die Grauen selbst als Menschen bezeichneten, war mit Anders-Mensch ein Mensch aus P0 gemeint. Königin war gleichbedeutend mit Frau in der Kultur der Grauen, doch es klang irgendwie seltsam, fand Ferry. Er konnte das überraschte Staunen in den Gesichtern seiner Freunde sehen.
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