Ralf Wider
Der Auftrag
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ralf Wider Der Auftrag Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 - Die Nachricht
Kapitel 2 - Das Raumschiff
Kapitel 3 - Der Auftrag
Kapitel 4 - Aufbruch
Kapitel 5 - Die fremde Welt
Kapitel 6 - Atlantis
Kapitel 7 - Der Besuch
Kapitel 8 - Die Höhle
Kapitel 9 - Das Geheimnis
Kapitel 10 - Der Ausweg
Kapitel 11 - Gewissensbisse
Kapitel 12 - Unterwegs
Kapitel 13 - Der Maulbeerbaum
Kapitel 14 - Der Stein
Kapitel 15 - Der Feind
Impressum neobooks
Kapitel 1 - Die Nachricht
Ferry brauchte eine Toilette. Dringend.
Er schaute sich um, die Stirn in Falten gelegt und schüttelte langsam den Kopf. Nein, hier gab es nichts Passendes.
Wäre er doch nur nach Hause gegangen! Die Toilette in seiner kleinen Wohnung war perfekt: etwas altmodisch zwar, nicht sehr gross, aber gemütlich und vertraut. Alles lag an dem Platz, wo es hingehörte, alles war aufgefüllt… Ausserdem roch seine Toilette gut, dank einem Duftständer mit Amber-Essenz.
Noch einmal drehte er sich im Kreis und musterte die umliegenden Gebäude mit skeptischem Blick: Kaufhäuser, Schnellimbiss, Juweliere, Designerboutiquen… Die Lippen zusammengepresst, schnaubte er frustriert durch die Nase.
Er kannte die Art Toiletten, die er hier finden würde: winzige Kabuffe, miese Hygiene, schlecht schliessende Türen, kaputte Schlösser. Und kein Handwaschbecken in der Kabine… Wieso hatte er unbedingt einen Spaziergang in der Stadt machen müssen?
Er atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Er war spazierengegangen, weil es ein prachtvoller Frühlingstag war. Weil er frische Luft brauchte. Und vor allem, weil er sonst nichts zu tun hatte… Er hatte ja nicht wissen können, dass er gerade heute eine Nachricht aus dem Hauptquartier bekommen würde. Wie auch? Nach drei Jahren der Funkstille!
Das änderte jedoch nichts an seiner Situation: er brauchte eine Toilette! So schnell wie möglich!
Er blickte nachdenklich die Zürcher Bahnhofstrasse hinunter, in Richtung des Zürichsees. Sollte er diesen Weg wählen? Er stand an der Pestalozzianlage, also schon recht nahe am Bahnhof. Er könnte das Tram nehmen und wäre im Nu am Paradeplatz… von dort wären es nur ein paar Schritte bis zur Nationalbank… Nein. Das Hauptquartier wäre natürlich die naheliegende Idee, doch… Nein! Er hatte keine Lust, dorthin zu gehen. Auch wenn sie ihn angepiepst hatten. Er fühlte sich dazu noch nicht bereit. Erst musste erst Klarheit haben, worum es überhaupt ging, und wie er dazu stand.
Ferry drehte sich langsam um und schaute an dem grossen Kaufhaus vorbei. Dahinter lag der Löwenplatz und nochmals dahinter die Gessnerbrücke. Dahinter begann der Kreis 4, wo sich sein Bistro befand. Er nickte, um seine Entscheidung zu untermauern. Ja, diese Toilette würde genügen. Er setzte sich in Bewegung.
Die Gedanken wirbelten in seinem Kopf. Central Command - das Hauptquartier - hatte ihn angepiepst. Was sollte das? Er war nicht mehr im Corps! Er war Reservist. Nein, nicht Reservist, korrigierte er seine Gedanken und wich einer Gruppe von asiatischen Touristen aus. Er war rausgeschmissen worden. Er war Alteisen. In der Truppe von heute war er vermutlich nicht mehr als ein Mythos, eine verblassende Legende… Er beschleunigte seinen Schritt auf infanteristische Marschgeschwindigkeit. Im Kopf überschlug er, wie lange er bis zu seinem Bistro brauchen würde. Sieben bis acht Minuten, kalkulierte er. Maximum zehn, das kam auf die Ampeln an.
Ferry gehörte nicht zu den Leuten, die bei Rot über die Strasse liefen. Das widerstrebte ihm. Es gab in dieser Stadt genug Idioten, fand er, die rote Ampeln ignorierten und wie kopflose Hühner und Gockel gackernd über die Strasse rannten, das Mobiltelefon am Ohr oder vor der Nase, den Rest der Welt ausblendend. Welch egoistische Ignoranz.
Ein Fahrrad schoss dicht an ihm vorbei, mitten auf dem Gehsteig, kam scheinbar aus dem Nichts, und verschwand sofort wieder im dichten Verkehr, vom Trottoir runter, ein Stück die Strasse hinab, quer über die Kreuzung… Haken schlagend zwischen Fussgängern und Autos wie ein Hase auf der Flucht. Nur Zentimeter hatten gefehlt, und der Radfahrer hätte ihn umgefahren! Ferry starrte dem Verkehrssünder wütend hinterher: ja, DIE hasste er ganz besonders…! Die Radfahrer in der Stadt Zürich setzten sich bewusst über jegliche Verkehrsordnung hinweg, sie gefährdeten dabei sich und andere, jegliche soziale Norm bewusst beiseite stossend.
"Arschloch!", knurrte Ferry zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er löste den Blick von dem Punkt im Gewusel der Strasse, wo der Radfahrer verschwunden war und liess ihn hinunter zum Wasser gleiten: er war am Schanzengraben angekommen, einem kleinen Kanal entlang der ehemaligen Stadtgrenze.
Er stellte sich ans Geländer der kleinen Brücke die darüber führte, legte schwer die Hände darauf und atmete zweimal tief durch. Er spürte den Stadtstaub und die Pollen auf dem Geländer unter seinen Händen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er seinen Blick unter sich aufs Wasser lenkte und einen Punkt im Nirgendwo fixierte. Zwischen den Brauen entstand eine senkrechte, hohe Falte.
Irgendwie bewunderte er diese irren Radfahrer auch… vor allem die Fahrrad-Kuriere. Sie erinnerten ihn an sich selbst. Wenn er in seiner Flugkapsel sass, war er genauso wie sie… Dann kannte er auch keine Geschwindigkeitsgrenzen, keine Regeln, keine Konventionen. Er flog immer am Limit, erlaubt war, was technisch möglich war…
Also war er wohl auch ein Arschloch… schloss er konsequenterweise. Für einen Moment trat ein schiefes Grinsen auf sein Gesicht, doch es verflüchtigte sich schnell wieder. Der Vergleich hinkte: wo Ferry flog, da gab es keine Zivilisten, keine anderen Verkehrsteilnehmer. Dort gab es nur ein paar Menschen, die einmal seine Freunde gewesen waren… und Graue…
Er hob den Blick und schaute hinüber zur nahegelegenen Gessnerbrücke. Kurz dahinter lag das Bistro mit der Toilette… Plötzlich war sich der ehemalige Commander nicht mehr sicher, ob er so dringend eine Toilette brauchte… Was er brauchte, war Klarheit. Zuerst musste er seine Gedanken ordnen, dann erst würde er bereit sein für den nächsten Schritt.
Er überquerte die Strasse bei Grün und gelangte zur Sihl, dem kleineren Fluss der Stadt, der parallel zum Kanal lief. Gleich neben der Brücke, die darüber führte, hatte man mit grossen Steinquadern eine Art Riesentreppe gebaut. Sie sollte wohl den Hang befestigen, diente aber den meisten Leuten einfach als prima Terrasse um sich hinzusetzen, auf den Fluss zu schauen, die Nase in die Sonne zu halten und mitten in der Stadt kurz durchzuatmen. Bei schönem Wetter waren die Stufen um die Mittagszeit voll mit Leuten, die ihren Salat, ihr Müsli, einen Döner oder ein überteuertes und unterkühltes Sandwich assen und die Sonne anbeteten.
Ferry sprang einige Treppenstufen hinunter und setzte sich. Aus der linken Tasche seiner schwarzen Windjacke holte er ein Päckchen "Parisienne" heraus, der traditionellen Schweizer Zigarettenmarke. Es waren die orangefarbenen, mittelstark. Aus der rechten Tasche seiner Jeans grub er sein Zippo-Feuerzeug hervor. Er fischte sich eine Zigarette aus der Box und zündete sie an. Er musste zweimal am Rad des Feuerzeugs drehen, bis die Flamme entstand. Er musste bald Benzin nachfüllen, machte er sich eine geistige Notiz.
Langsam sog er den Rauch in seine Lungen, um ihn dann mit einem langen Seufzer wieder auszuatmen. Der erste Zug roch immer nach Benzin. Wahrscheinlich war das noch schädlicher, als rauchen sowieso schon war. Doch das störte ihn nicht. Das Zippo gehörte dazu, es war Ritual, es war eine kleine, persönliche Kostbarkeit. An den Schweisspunkten am Rücken des Feuerzeugs konnte man sehen, dass es mehrmals repariert hatte werden müssen. Aber dafür gab es ja die lebenslange Garantie von Zippo.
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