Es hatte eine kurze Diskussion zwischen Ferry und Laura darüber gegeben, ob sie die Kinder mitnehmen wollten. Laura wollte die Kinder am liebsten um sich haben, und sie fand, dass sie möglichst viel Kontakt zu Annungach, dem grauen Baby der Königin haben sollten. Ferry fand, dass sie später noch lange genug mit Annungach würden spielen können. Für ihn war klar, dass diese Mission viel zu gefährlich war, um die Kinder mitzunehmen. Sie selbst wussten ja nicht einmal, was sie erwartete. Er hatte Laura vor die Wahl gestellt, mit den Kindern zu Hause zu bleiben, oder ohne die Kinder mitzukommen. Für Laura war jedoch klar, dass sie ihren Mann auf keinen Fall würde allein in eine fremde Parallelwelt reisen lassen. Also hatten sie schweren Herzens beschlossen, die Kinder in Petras Obhut in P0 zurückzulassen. Da sie nicht abschätzen konnten, wie lange sie fort sein würden, hatte Laura eine Milchpumpe eingepackt. Wenn sie zu lange nicht stillte, würde die Muttermilch sonst versiegen. Mit der Pumpe konnte sie die Produktion aufrecht erhalten, auch wenn sie sich dabei ein wenig seltsam fühlte.
Sie verabschiedeten sich ausgiebig von den Zwillingen. Sie waren sich bewusst, dass es vielleicht das letzte Mal sein würde.
Petra packte die Sachen und schob den Kinderwagen aus der Wohnung.
"Mami und Papi sind bald zurück!", winkte Laura ihren Kindern hinterher. Ferry sah, dass sie sich heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Auch er hatte ein mulmiges Gefühl bei der Sache, doch er spürte, dass es keinen anderen Weg gab. Was getan werden musste, musste getan werden.
Ferry umarmte seine Frau und vergrub seine Nase in ihren Haaren. Er sog ihren Duft ein. Seife und Puder, frisch wie immer.
"Bereit?", fragte er. Sie schaute zu ihm hoch.
"Ja, bereit. Lass uns gehen.", antwortete sie.
Sie traten in ihre geräumige Badezimmer-Toilette ein und Ferry schloss die Tür hinter sich. Sie stellten sich nebeneinander vor die gekachelte Wand hinter der Türe und drückten die Kacheln, hinter denen sich ihre Spinde verbargen. Schweigend holten sie ihre Uniformen heraus und zogen sich um.
Anschliessend fuhr Ferry die Systeme hoch und wandte sich dann der Toilette und dem Bidet zu, ihren beiden Rocket Stools, um sie vorzubereiten. Laura gab in der Zwischenzeit die Koordinaten für ihren Flug nach P1 ein.
Sie fuhren erschrocken herum, als es plötzlich an der Badezimmertür klopfte.
"Petra? Hast du etwas vergessen?", rief Laura und beeilte sich, die Türe zu öffnen. Sie prallte zurück, als ob sie gegen einen Baum gelaufen wäre.
"Was…?", stammelte sie und starrte entgeistert in den Flur.
Ferry war schnell neben sie getreten, um zu schauen, was im Flur vor sich ging. Sein Mund klappte auf, ohne dass ein Ton herauskam.
"Hallo! Dürfen wir reinkommen?", rief Dan Parker, der Australier, in breitestem Aussie-Englisch. Die Frage war vermutlich rhetorisch gewesen, denn er war bereits in die Toilette getreten und hatte die verdutzte Laura einfach zur Seite geschoben.
Hinter ihm folgten Jane McCarthy, Carla Suarez, Youssef El Kaouini und zuletzt Judy Grant.
"Schön habt ihr es hier!", meinte Jane fröhlich und sah sich um, als ob sie bei einer Hausbesichtigung wäre.
"Hola!", rief Carla, die aus Panama stammte, und fiel Laura um den Hals. Die Latinos und Latinas des Corps hatten schon immer ein besonderes Verhältnis zueinander gehabt. Egal, woher sie stammten, Latinos sahen sich immer als eine einzige, grosse Familie an.
Youssef, der Marokkaner, hielt sich wie immer dezent im Hintergrund. Er tat zwar so, als ob er die alten Armaturen des Bades interessant fände, doch Ferry wusste aus Erfahrung, dass sein eigenes Bad um einiges schöner und eleganter war.
"Hallo.", grüsste Judy knapp. Sie war kein Mensch der vielen Worte. Die Afro-Amerikanerin schien ein wenig zu erröten, als Ferry ihr die Hand zum Gruss reichte. Dann umarmte sie Laura. Die beiden waren gute Freundinnen.
"Was macht ihr hier?", fragte Ferry in autoritärem Ton, als sich die erste Begrüssungswelle gelegt hatte.
"Wir sind der Begleitschutz.", meldete sich ein Bass aus dem Türrahmen. Dort stand Master Paris mit finsterer Miene. Er sah nicht aus, als ob er eine Diskussion über ihr Auftauchen dulden würde.
"Paris!", riefen Laura und Ferry gleichzeitig.
Der grossgewachsene Schwarze trat ein, schloss die Tür hinter sich und verriegelte sie.
"Flieg los. Keine Diskussion. Wir sind alle erwachsen und wissen, was wir tun.", brummte er.
Ferry schüttelte nur stumm den Kopf in schierer Ungläubigkeit.
"Aber…", begann er, doch Paris unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
"Ihr seid nicht die einzigen Sturköpfe des Corps, nur um das mal klarzustellen. Ausserdem muss man manchmal die Zeichen der Zeit lesen…" Paris machte ein wichtiges Gesicht und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Schulter.
Jetzt erst fiel Ferry auf, dass alle ihre Uniformen trugen. Er fragte sich, ob sie so durch die Stadt gefahren waren. Das musste ein ulkiges Bild im Tram gewesen sein.
Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um auf Master Paris' Schulter schauen zu können. Laura hatte sich zu Carla umgedreht, die etwas kleiner als sie selbst war und stiess einen kurzen Schrei des Erstaunens aus.
Auf Paris' Schulterpatte erkannte Ferry dasselbe runenartige Zeichen, welches er und Laura selbst trugen: den goldigen Bogen, das Zeichen der Grauen.
"Die Toilette hat uns ausgesucht.", meinte Paris knapp. "Heute morgen haben wir alle unsere Uniformen so in unseren Schränken gefunden. Die Leute haben mich kontaktiert, und wir sind uns schnell einig geworden, dass wir diesem Aufruf Folge leisten." Er schaute Ferry mit hochgezogenen Brauen an. Er wusste, dass Ferry an die Entscheidungen der Toilette glaubte und sie akzeptierte. Dieser konnte nur wieder ungläubig den Kopf schütteln. Er drehte sich im Kreis und vergewisserte sich, dass wirklich alle das Zeichen trugen.
"Wir sind alle freiwillig hier.", sagte Jane eindringlich, mit ihrem starken schottischen Akzent. "Niemand hat uns gezwungen, diesem Zeichen zu folgen. Paris hat uns ausdrücklich die Wahl gelassen!"
"Also ich bin froh, dabei sein zu dürfen!", rief Dan. "Endlich wieder etwas zu tun! In dem Verein stirbt man ja vor Langeweile!" Er brach in lautes Gelächter aus. Ferry war sich sicher, dass er es so meinte, wie er es sagte. Dan kannte keine Furcht. Obwohl diese vielleicht ratsam gewesen wäre, in dieser Situation.
"Ich glaube, ich schulde euch noch was. Es ist mir eine Ehre, dabei sein zu dürfen.", meldete sich Youssi. Er spielte wohl darauf an, dass er Laura und Ferry beinahe abgeschossen hätte bei ihrer Rückkehr aus Atlantis. Ferry drehte sich zu dem drahtigen, zähen Araber um und drückte seine Hand. Youssef war ein erfahrener Pilot und Ferry war froh, ihn dabeizuhaben.
"¡Unidos, lo haremos!", rief die zierliche Frau aus Panama und stiess die Faust in die Luft. Zusammen werden wir es schaffen! Sie hatte ganz rote Bäckchen, die hervorragend zu den rosa Streifen auf ihrer silbrigen Uniform passten. Die meisten Piloten belächelten die Pink Squad als die Barbie-Squad, doch Carla hatte sich nie daran gestört. Sie war offensichtlich stolz, dass gerade sie von der Toilette ausgesucht worden war. Laura nahm die junge Pilotin in den Arm und drückte sie fest.
"Habt ihr die Queen dabei? Nur für den Fall…", fragte Judy. Sie stand in der Ecke und schien ein wenig verlegen. Sie mochte es nicht, dass um sie ein grosses Tamtam gemacht wurde. Sie war mehr der Typ Arbeitsbiene. Nicht fragen, einfach machen, das war ihr Motto. Ferry wusste aus Erfahrung, dass sie nebst Laura die vermutlich beste Kampfpilotin des Corps war. Sie hatte ihm bereits einmal das Leben gerettet im Einsatz. Er würde sich alle Mühe geben, sich zu revanchieren. Er drehte sich zu ihr um und lächelte sie an, dabei klopfte er auf seine Brusttasche.
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