„Kein Anschiss. Ich möchte dir eine wahre Geschichte erzählen, über die es sich nachzudenken lohnt.“
Mühsam kämpfte die junge Frau gegen mieses Bauchgefühl und vernebelten Verstand an.
„Du hältst mich, mein gesamtes Leben für obercool“, begann ich.
Schmerzverzerrtes Nicken.
„Mein Dasein dient nur einem Ziel, und dieses Ziel liegt als langer schwarzer Schatten auf mir.“
Rachels grünlichblasses Gesicht deutete ein Fragezeichen an.
So erzählte ich ein wenig vom Kampf der überirdischen Mächte in unserer Stadt. Gerade genug, um begreifen zu können, doch zu dünn, in ihr Panik auszulösen. Schließlich endete ich: „All das ist keine esoterische oder sonst wie geartete Spielerei, sondern eine todernste Angelegenheit.“
Rachel begriff. „Du hast dir das gar nicht ausgesucht.“
„Dennoch muss ich dafür die volle Verantwortung tragen“, nickte ich. „Denk nur an all die Toten in jener verhängnisvollen Frühlingsnacht.“
Sie schaute mir direkt in die Augen und ich fragte: „Noch immer obercool?“
Unfähig zu antworten, wandte die junge Frau ihren Blick ab. Doch meine Botschaft grub sich tief in ihre Seele ein, der innere Frieden würde folgen.
„Für Katja wäre es ein echter Tiefschlag, wenn du deinen Job hinschmeißt. Zumal euer Team in absehbarer Zeit erneut ohne mich klarkommen muss.“
Durstig geworden, zauberte ich ein Glas mit Eistee auf den Tisch. Sofort blitzten Rachels grüne Augen auf.
„Magie darfst du dir ziemlich präzise als verführerischen Zuckerguss auf dem Rücken einer Tarantel vorstellen“, flötete ich.
Wir lachten, bis die Tränen kullerten.
Beruhigt landete ich im Park von Lightninghouse.
Alexis saß faulenzend auf der Terrasse.
„An die Arbeit, Mylord. Zunächst müssen wir den Energiefluss des Doraodhs unterbrechen, will sagen, dein Keller ruft.“
„Ich habe Andrew vorhin gefragt. Er hat keine Ahnung, wo sich der alte Hausbrunnen befindet.“
„Eine Idee?“
„Möglicherweise im Weinkeller. Wir sollten nach einer Abdeckung im Boden suchen.“
Kurz versorgten wir uns in der Kapelle mit einer Riesenlichtkugel. Auf dem langen Weg von dort bis hinab in das Kellergewölbe berichtete ich von meinem Zusammentreffen mit Elin, dem Amulett sowie den spontan geladenen Gästen aus London.
Leicht pikiert versetzte Alexis: „Fühl dich hier ganz wie zuhause.“
Ein Knuff in seinen Bizeps brachte ihn versöhnlich grinsend zurück in die Spur.
„Und unserer gestrengen Elin schlafe ich zu lange? Hahaha!“, amüsierte Alexis sich noch, als er die Kellerlampen über den Weinfässern anknipste.
„Deinen Lichtschutz knips mal auch direkt an.“
Während wir aufmerksam den Weinkeller durchschritten, entwickelte die vorweg schwebende Lichtmelone eine sichtbare Schrumpfkur. Zwischen zwei Fässern, exakt in der Mitte des Weinkellers, lag, eigentlich völlig unübersehbar, eine massive, runde Steinplatte. Hoch darüber hing der verrostete Flaschenzug. Auf den hätte ich selbst ohne Magie keinen Cent gewettet.
Alexis schickte die, wahrscheinlich von seinem abtrünnigen Vorfahr nachträglich mit einem kleinen Luftloch versehene Steinplatte beiseite. Prompt flackerten unsere Schilde von der nun ungebremst hinaufströmenden, unheilvollen Magie. Vorsichtig lugten wir in den finsteren, miefigen Brunnenschacht. Unsere abgespeckte Lichtkugel passte gerade so in das Loch, als ich sie langsam hinab dirigierte. Ungenießbar grün-bräunlich schimmernde Brühe schälte sich jetzt aus der Brunnentiefe.
„Das soll Trinkwasser sein?“, ekelte ich mich.
Alexis ersparte uns einen geistreichen Kommentar über mittelalterliche Gepflogenheiten. Und nein, die Lichtgabe hatte keinerlei Kläreffekt.
Zuletzt zogen wir mit kreisenden Händen eine dicke magische Versiegelung über den Brunnen. Äußerst vorsichtig schwebte der geflickte Deckel nieder.
„So, Keller erledigt.“
Mylord schlug vor, direkt auf den Dachboden zu springen. „Dort könnten wir am ehesten ein geeignetes Transportgefäß für das Doraodh auftreiben.“
Tatsächlich fand sich nach einigem Wühlen in den verstaubten Antiquitäten – oder auch dem antiken Sperrmüll – eine ausrangierte Schmucktruhe. Wir nahmen sie mit hinunter in die Hauskapelle.
Im Lichtstrahl der Sternelben erwartete mich eine Überraschung der extrem herausfordernden Art. Sie unterwiesen mich darin, aus der Schmucktruhe eine Art magische Falle zu fabrizieren. Klingt simpel? Tatsächlich verlangte die Aufgabe erstmals ein Zusammenspiel von Magie und komplizierter Tonfolge. Ihr Chor hätte den Job mit Links selbst erledigen können! Jedoch wollten sie heimlich herausfinden, ob das Duo aus Joerdis und mir „mächtige“ Fortschritte machte.
Aber die Elbenfürstin ließ mich erstmal ganz perfide in meinen menschlich unzulänglichen Stimmbändern hängen. Da ich nun mal keine Karriere als Opernsängerin vorzuweisen hatte, lag ich schon bei der Wiederholung ihrer vorgesungenen Tonfolgen ziemlich schief. Nach etlichen Anläufen – ich glaubte, das wäre es jetzt – zeigten sie sich zufrieden. Leider gingen die Gesangsschwestern als Nächstes zu den entscheidenden Feinheiten über: Viertelton oder Halbton, leise oder anschwellend …
Sieben, acht vergebliche Versuche, da zeterten die Lichtwesen: „Mit knurrendem Magen wirst du keinen Erfolg haben, Lilia.“
Alexis saß feixend daneben und biss sich auf die Lippen.
„ Logischerweise hättet ihr mal vorab eine Lektion über diese blöde Gesangskunst in mich hinein kippen sollen!“ , mäkelte ich zurück. „Und du hör auf zu grinsen, sonst kriegst du den Job spendiert.“
„Du brauchst wirklich dringend Lunch“, lachte Mylord schallend.
In der Küche orderte Alexis einen großen Teller mit Sandwiches.
Vollmundig kommentierte ich kurz darauf: „Nur gut, dass die Sonne heute erst spät untergeht. Beim letzten Mal kam ich auf den allerletzten Lichtfetzen aus den Höhlen zurück.“
Obwohl Alexis dank exakter Beschreibung wusste, was uns dort erwartete, wuchs sein Unbehagen bei der bloßen Erwähnung massiv.
Deshalb mahnte ich: „Konzentriere dich in den Höhlen unbedingt auf deinen Willen, sonst wird die Sache verflucht brenzlig.“
Schlussendlich landeten wir erst spätnachmittags vor dem Höhleneingang von Amhuinn.
Vollbepackt mit zwei riesigen Lichtbällen, der gnädigerweise von Joerdis doch noch besungenen Gefahrguttruhe in meinem und Petroleum in Alexis Rucksack. Kurz rief ich uns Elins wertvolle Anweisungen für die Vernichtung des Doraodhs ins Gedächtnis.
Wir aktivierten unseren Körperschutz und traten ohne Zögern durch die Felsspalte. Finsternis schloss das Tageslicht wie abgeschnitten aus. Alexis keuchte hinter mir auf.
„ Wird er die Qualen aushalten? Soll ich besser allein gehen?“ , sinnierte mein Verstand. Und wie würde Belians Seele reagieren, die nie zuvor in der Unterwelt war? Kurz drehte ich mich zu Alexis um und erblickte sein grimmig entschlossenes Gesicht. „Nun denn.“
Trotzig stemmte sich unser Duo dem schwarzmagischen Widerstand entgegen, bis wir in die zweite Höhle gelangten. Dort deutete ich auf einen der drei Durchgänge. „Den kenne ich, also probieren wir die dort drüben.“
Langsam stapften wir durch die zähe „Luft“. Ohne nachzudenken, was ohnehin zwecklos gewesen wäre, bog ich in den rechten der unbekannten Gänge ein.
Überrascht registrierten wir sehr bald, dass dieser Gang gar nicht abwärts, sondern nach oben führte. Der schwarzmagische Widerstand wuchs stetig. Schritt um Schritt trieben wir unsere Beine wie Bergsteiger den Mount Everest empor. Lahm wischten wir die Schweißbäche aus unseren Gesichtern. Schleichend bemächtigte sich Trägheit unserer Gehirne.
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