Endlich erschien im Licht der schwindenden Kugeln vor uns eine Tür. Instinktiv stieß ich Hormin dagegen. Sie krachte mitsamt Angeln zu Boden.
„Das muss ein Zugang zu dem Haus im hinteren Teil der Burganlage sein“, krächzte ich atemlos.
Bestialischer Verwesungsgeruch breitete sich aus. Wir würgten.
Alexis drängte sich an mir vorbei. „Lil, verschließ deine Gefühle, das hier wird hässlich, fürchte ich.“
Doch dieser Raum war leer. Also weiter. Fast in Zeitlupe bewegte sich Alexis vor mir auf den daneben liegenden Raum zu.
„Beim Licht!“
Entlang der Wände standen dicht an dicht rostige Käfige. In manchen lagen Kinderskelette.
„Spielzeug für seine Sklaven“, erklang gequält seine Stimme.
Joerdis gepeinigte Seele verhüllte sich.
Die Tür am anderen Ende brachte uns in den Wohnsaal des Hauses.
„Ein Wohnsaal ohne Fenster?“ Das war ja noch abartiger als die fensterlose Bibliothek von Lightninghouse.
„Entweder für dämonische Zwecke zugemauert oder als Kriegsschutz“, meinte Alexis.
Unsere Lichter schwebten unter die morsche Holzdecke und erweckten eine brutale Szenerie zum Leben. An den Wänden und verstreut über den Boden entdeckten wir barbarische Folterinstrumente. In der Mitte des Saales aber thronte ein massiver schwarzer Tisch. Auf seiner klebrig glänzenden Platte lagen verwesende Leichenteile.
Weitere Details ersparte ich meinen Augen. Stattdessen strebte ich dem Treppenhaus entgegen, das durch die offen stehende Flügeltür zu erkennen war. Alexis verharrte noch starr vor Entsetzen auf dem Fleck.
In meiner ultrakurzen Erinnerung an die Vernichtung der hiesigen Dämonenwache, bei der ich vom Wachturm herab sah, besaß das obere Stockwerk einige Fensterschlitze. Durch die gedachte ich abzuhauen.
Per energischem Handzeichen forderte ich Mylord auf, mir zu folgen. Mühsam erklommen wir die Treppe und betraten dann das erstbeste Zimmer. Dort kletterten wir auf die zwei steinernen Fensterbänke, quetschten unsere Körper durch die schmalen Schlitze und sprangen in den Burgfried hinab.
Obwohl die 66 Dämonenwächter längst unter den Toten weilten und sich über dem Burgfried dunstig blauer Himmel zeigte, war selbst hier die schwarze Magie überdeutlich präsent. Dennoch atmeten Mylord und myself tief durch.
„Wir haben viel Zeit verloren“, japste Alexis.
„Nein. Für mich war es wichtig, dies zu sehen.“
„ Lilia, nähere dich auf gar keinen Fall der schwarzmagischen Eingangstür“, durchkreuzten die Sternelben meine eben begonnenen Überlegungen, den flammenden Zorn über das eben Gesehene an irgendetwas abzureagieren. „Selbst Hormin vermag die Runentür nicht zu zerstören.“
„ Höchst bedauerlich“ , entgegnete ich, „am liebsten würde ich die komplette Burg sprengen.“
Sie summten verständnisvoll.
Skeptisch betrachtete Alexis unsere arg gebeutelten Lichtbälle. „Reichen die noch für eine zweite Runde?“
„Keine Chance. Besser, wir kehren in die Kapelle zurück.“
Kaum saßen wir auf unseren Stühlen in der Hauskapelle, entlockte das reinigende Lichtbad uns leise Seufzer.
„Sollen wir die Aktion auf morgen verschieben?“, fragte Alexis rücksichtsvoll.
„Aufschieben provoziert bloß Albträume.“
Plötzlich reichte er mir ein winziges Fläschchen mit klarer Flüssigkeit herüber.
„Was ist das?“
„Chinaöl. Tupfe ein bisschen davon unter deine Nase.“
Neugierig schraubte ich den Deckel ab und schnupperte. „Riecht das gut!“
Satter, belebender Pfefferminzduft breitete sich aus.
„Bereit?“
„Bringen wir den Teufelsmarsch hinter uns.“
Diesmal blieb nur noch ein unbekannter Gang unter Burg Amhuinn übrig.
Ungeduldig schleiften wir unsere Füße durch den schwarzmagischen Luftschlamm hinab in die Tiefe. Der dritte Gang führte uns geradlinig und sehr steil abwärts.
Ein massives Tor mit einer einzigen eingebrannten Rune in der Mitte stoppte unsere Expedition. Hormin tat seinen zustechenden Job, dem ein kleines Erdbeben folgte. Irgendwo in der Finsternis löste sich Deckengeröll.
„Passiert nicht zum ersten Mal“, beruhigte ich Alexis, der sich reflexartig duckte.
Plötzlich schwang das Tor geräuschlos wie von Zauberhand auf. Die höllenmagische Druckwelle aus dem Inneren der unbekannten Stätte erfasste uns unvorbereitet. Stolpernd wichen wir links und rechts des Durchgangs aus, stürzten zu Boden. Mehrere Steinbrocken prasselten herab. Jeder von uns richtete seine volle Konzentration in dem Chaos einzig darauf, die eigenen Beine zum Aufstehen zu bewegen.
„ Lichtgeschosse rein!“ , brüllte ich energiesparend im Geiste.
Synchron feuerten wir mehrere gleißende Salven ins Finstere. Die sogenannte Luft in der jetzt halbwegs erahnbaren Höhle begann wie ein Hexenkessel zu brodeln, der mit schlierendem Teer gefüllt war. Unsere weißen Blitze verpufften darin wie billige Silvesterraketen.
„Bleib draußen, Alexis.“
„Nein.“ Vornüber gebeugt stemmte er sich gegen die magische Barriere an, noch leidlich abgeschirmt von seiner Minimelone.
Unsere Lichtschilde flatterten wie fadenscheinige Leichentücher, während wir in die Höhle vordrangen. Entlang ihrer Wände standen schwarze Steine aufgereiht. In unseren pausenlos abgefeuerten Lichtblitzen schimmerten darin eingemeißelte Namen ähnlich Grabsteinen auf. Jetzt entdeckte Alexis den Namen seines Urahns. Er murmelte etwas, das wie „feiger Verräter“ klang. Angewidert wendete er sich ab.
Ich hingegen speicherte sämtliche Namen im Hinterkopf ab. „Beeilen wir uns.“
Der magische Feuerkreis war kaum erkennbar, bestand er doch aus schwarzen Steinen auf schwarzem Grund. Alexis klaubte den Kanister aus seinem Rucksack und goss das Petroleum darüber, während er den Kreis schlurfend umrundete. Aber seine Streichhölzer vermochten das Feuer anschließend nicht zu entfachen.
„Tritt beiseite.“ Mit maximal gestrecktem Arm für eine größtmögliche Distanz hielt ich Hormins Spitze in die Nähe des erstbesten Steins. Eine tiefrote Stichflamme antwortete auf seinen silbernen Strahl. Blitzschnell fraß sich die Flamme einmal durch die Runde.
Nur mehr in Zeitlupe fischte ich das präparierte Schmuckkästchen aus meinem Rucksack, öffnete den Deckel, hievte es mit Bleiarmen über den Steinkreis, setzte zur Kippbewegung an – und sah mich dem Dämonfürsten gegenüber.
Der Vorteil, wenn die Gefühle weggesperrt sind: Man erschrickt nie. Während der schwarze Fürst mit seiner wutverzerrten Fratze noch ungläubig das Szenario zu erfassen suchte, kippte ich seelenruhig das Doraodh ins Feuer. Es antwortete mit schlangengleichem Zischen. Augenblicklich schlugen die Flammen bis zur Höhlendecke empor und verbreiteten einen Hitzesturm à la Death Valley. Der oberste Unterweltler aber brüllte infernalisch, bevor er flüchtete.
„ Tschüs, Feigling.“ Behutsam klappte ich nebenbei Alexis herunter hängenden Unterkiefer zu.
Berstendes Gestein ließ Mylord einen weiteren Lichtblitz zu seinem Ahnenstein senden. Quer durch den Namenszug verlief ein tiefer Riss.
„Feierabend“, krächzte Mylord voreilig.
Denn das teuflische Aas schickte uns zur Rache vier seiner Anführer vorbei. Völlig unvorbereitet schlugen sie dicht am Feuerkreis auf. Allein der höllisch in ihren Augen brennende Anblick von Hormin genügte, ihre eigenen Klingen gar nicht erst zu ziehen, sondern schleunigst wieder zu verstinken. Dabei hätten die dämonischen Kämpfer uns, halb verdurstet und halb verdampft wie wir inzwischen waren, mit links beseitigen können.
„Waschlappen!“, wollte ich hinterherbrüllen, als mir siedend heiß klar wurde, dass mich mein verschlamptes Training vor wenigen Sekunden in akute Lebensgefahr gebracht hatte. „Und Alexis“ , fügte mein Alter Ego den härteren Teil der Wahrheit hinzu.
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