Eine hochspringende Augenbraue signalisierte Erklärungsbedarf.
„Solange wir das dunkle Geheimnis von Lightninghouse nicht gelüftet haben, sollten wir uns so wenig wie möglich innerhalb seiner Mauern aufhalten.“
„Du bist also davon überzeugt?“
„Absolut. Leider wissen die Sternelben bislang keinen Rat. Deshalb müssen wir morgen von deinem Keller bis zum Dachboden sämtliche Winkel auf schwarzmagische Umtriebe hin inspizieren.“
„Hmmh.“
„Wie recht du hast“, stöhnte ich. Unerklärlich schien mir, warum Alexis überhaupt keine Eigeninitiative entwickelte, um ernsthafte Ursachenforschung zu betreiben.
„Du tust mir Unrecht! Ich habe die gesamte Bibliothek auf den Kopf gestellt und sämtliche Aufzeichnungen meiner Vorfahren studiert.“
„Und?“
„Nichts! Nothing! Niente!“, rief er mit theatralisch hochgeworfenen Armen aus. Leise fügte er hinzu: „Vielleicht bleibt tatsächlich nur die viel zitierte Leiche im Keller übrig, über die niemand etwas Schriftliches hinterlassen wollte.“
Ein fieser Schauder lief mir über den Rücken.
Am folgenden Morgen, nach unserer erholsamen Nacht in Berlin, befand sich Alexis in deutlich besserem Zustand. Entschlossen, den makabren Vorgängen endgültig auf den Grund zu gehen, verließen wir den Frühstückstisch im Wohnsaal von Lightninghouse.
Mit eingezogenen Köpfen stieg ich hinter Mylord die ausgetretenen Stufen zum Kellergewölbe hinab. Jeder mit einer großen Taschenlampe in der Hand, um auch noch den letzten Winkeln ihre vermeintlich dreckigen Geheimnisse zu entlocken.
„Sollen wir uns aufteilen?“, fragte Alexis noch im ersten Hauptgang, umhüllt mit einer Dunstglocke aus Unbehagen.
Während ich vehement den Kopf schüttelte, kam mir plötzlich eine Idee. Als Resultat entstand zwischen meinen Händen eine Lichtkugel, kaum größer als ein Tennisball. Die schwebte nun vor uns her.
Auf Alexis verwirrten Blick hin erklärte ich: „Lichtkugeln reagieren auf schwarze Magie.“
Diese wichtige Lektion hatte ich bei meinem Besuch in den verpesteten Höhlen unter Burg Amhuinn gelernt. Ein Gedankenfetzen zischte vorüber. Zu schnell.
Quietschend öffnete sich das verrostete Tor zum ersten rechts gelegenen Seitengang. Die schummrige Beleuchtung staubverkrusteter Deckenlampen zeigte auf der linken Seite des schmalen Ganges verrottete Holzverschläge.
„In diesem Teil des Kellers bin ich seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen. Hinter den Türen befanden sich ehedem Vorratskammern.“
Als Alexis den ersten Holzriegel bewegte, zerfiel die spillerige Tür. Hustend befahlen wir die aufgewirbelte Staubwolke zu Boden. Zunächst brachte nur das Licht meiner Kugel in der Kammer ein paar schemenhafte Umrisse von Regalreihen zum Vorschein.
„Ich hielt es damals nicht für nötig, die seit Langem unbenutzten Kammern zu elektrifizieren“, bedauerte Alexis, während wir unsere Taschenlampen einschalteten.
Jetzt huschten zwei Lichtkegel über schimmlige Holzbretter, beladen mit Steingut in diversen Braunschattierungen, schlank wie Flaschen oder dickbauchig wie Kartoffeltöpfe gearbeitet. Das reinste Museum. Gleiches Bild in der nächsten Kammer. Dahinter folgte eine Kammer mit Körben, danach eine weitere Kammer mit kleinen Fässern.
„Die Nischen auf der gegenüber liegenden Seite dienten ursprünglich der Lagerung von Wild, Fisch, Obst und Getreide“, erzählte Mylord.
Wir gingen auf dem Hauptgang ein paar Meter weiter und bogen wiederum rechts in den nächsten Abzweig ein. Statt Verschlägen erwarteten uns offene Kammern, angefüllt mit tragbaren Fässern, jedes mit einem Zapfhahn versehen.
„Ohne einen ausreichenden Vorrat an Bier, Whisky und Wein lief in vergangenen Jahrhunderten gar nichts“, verkündete Alexis mit breitem Grinsen.
Meine Lichtkugel drehte nutzlose Runden. Das einzig Beruhigende in dieser gruftigen Atmosphäre war das Hausverbot für Ratten und Mäuse im gesamten Castle.
„Lass mich einen Versuch starten, vielleicht können wir die Tortur abkürzen“, schlug ich vor und lotste die Lichtkugel langsam den gesamten Hauptgang hinunter.
Keine drastische Reaktion oder präzise erzählt: frustrierende Nullreaktion.
Schließlich stand unser Duo in dem riesigen Waffensaal, gelegen am Ende des Hauptgangs. Ich ignorierte das alte Mordwerkzeug, aber schritt möglichst dicht an der Wand entlang. Vor einem Eisentor, das wie neu aussah und schwache Magie abstrahlte, hielt ich abrupt an. Das Tor musste mir bei dem letzten Besuch hier drin entgangen sein.
„Was verbirgt sich dahinter?“
„Der Kerker.“
„Iiih! So etwas existiert tatsächlich? Den kannst du allein überprüfen.“
„Lil, stell dich nicht so an, dort liegen weder Skelette noch sonst Schauerliches herum, nur alte Folterinstrumente und Ketten.“
„Nur?! Wie reizend!“ Die bloß angedeutete Vorstellung mittelalterlicher Folterpraktiken schüttelte mich. Automatisch setzten sich meine Beine in Bewegung, um dem barbarischen Waffensaal den Rücken zu kehren. „Barbie macht heute auf Weichei“ , kicherte mein Alter Ego gehässig.
Doch kaum taten wir wenige Schritte weiter in den abknickenden zweiten Hauptgang, erlosch plötzlich meine vordem in Zeitlupe aufgezehrte Lichtkugel.
„Wir brauchen eine größere Lichtkugel aus der Kapelle.“ Ein scharfer Blick auf Alexis zeigte mir deutlich, dass er wieder diesen verschwommenen Gesichtsausdruck bekam. Unsanft zerrte ich ihn zurück zu der Kellertreppe. Dabei glaubte ich, einen kriechenden, bedrängenden Schatten durch meinen Lichtschild zu spüren.
Wir hasteten ins Erdgeschoss hinauf und weiter hinaus ans Tageslicht. Erst im Blumengarten sanken wir stöhnend auf die verwitterte Steinbank zwischen den zwei Jasminbüschen.
Die Sternelben meldeten sich. „Lilia, in dem Kerker wirst du vergeblich suchen.“
„ Woher wollt ausgerechnet ihr das denn wissen?“
„ Er verfügt über Lichtschächte.“
„ Aha, danke.“ Und an Alexis gerichtet: „Fühlst du dich besser?“
„Geht schon.“
„Dann lass uns in der Kapelle auftanken und sofort die nächste Tour starten. Fehlt noch viel?“
„Größtenteils besteht der restliche Keller aus Lagerhallen. Sie dürften schnell erledigt sein.“
Unter mürrischem Protest aktivierte auch Alexis diesmal seinen Schutzschild, bevor wir abermals die Kellertreppe hinabstiegen. Hatte sich seine fortwährende Distanz zu den Sternelben verschlimmert?
Die mitgebrachte Lichtkugel vom Umfang einer Wassermelone schwebte vorneweg. Der Keller nahm ungeahnte Ausmaße an, nachdem wir dem zweiten Hauptgang bis zu den Lagerhallen folgten. Allein der Weinkeller musste jeden Winzer mit Neid oder bestenfalls Ekstase erfüllen. In mächtigen Fässern reiften edle Tropfen heran. Übrigens im Gegensatz zum Rest des Kellers picobello sauber! Ebenso der Whiskykeller. Ja, in Schottland benötigte allein das Nationalgetränk einen kompletten Saal. Und so alkoholgeschwängert, wie die Luft roch, dürften etliche Fässer randvoll gewesen sein.
Die letzte Halle verbarg sich hinter einer Geheimtür. Sie führte durch ein anderthalb Meter hohes getürktes Eichenfass. Echter Schottenwitz!
Mit aufgebrochenen oder aufgeschlitzten, achtlos hingeschmissenen Kisten, Säcken, Ballen und Truhen darin bot dieser Kellerraum ein absurdes Bild völliger Verwüstung.
„Hier versteckten wir früher Schmuggelware, Kriegsbeute und ähnliches.“ Mein ungläubiger Seitenblick veranlasste Mylord zu dem empörten Ausruf: „Das ist kein Ammenmärchen!“
Abermals fundlos, kletterte Alexis vor mir zurück durch das Fass und hielt für mich die ovale Deckeltür auf.
Wenn Mylord so vor sich hin leuchtete, sah er einfach umwerfend verführerisch aus. Der Kontrast zwischen schwarzem Haar und seiner üblichen schwarzen Kluft, umhüllt von weißem Licht, wirkte betörend.
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