Den Tagesrest nutzte ich spontan für einen Abstecher in die schottischen Highlands.
Mein Lieblingsstrand unterhalb der Klippen wurde bei der Landung gut zur Hälfte von der herein rollenden Flut vereinnahmt. Zudem trieben Windböen einen waagerechten Regenvorhang an Land, der für meine minutenschnelle Ganzkörperdurchnässung sorgte.
Verdrossen trollte ich mich nach Lightninghouse Castle, um eben dort mit den schottischen Sternschwestern zu sprechen.
Ohne große Erwartungen nahm ich in der Hauskapelle meinen Platz auf dem Stuhl vor einem der schmalen hohen Fenster ein.
Überraschenderweise erhielt ich hier eine nette Begrüßung. „Lilia, wie schön dich zu sehen.“
Das wollte ich gerne glauben, außer Alexis gab es weit und breit keine irdischen Kontakte für sie. „Oder? Ich würde gerne ein paar Fragen an euch loswerden.“
„ Bitte, nur zu.“
„ Habt ihr außer Alexis und mir weitere Kontakte zu Mischwesen oder Elben?“
„ So ist es.“
„ Ach?! Sieh an.“
„ In London lebt ein Nachfahr der Lords of Lightninghouse mit dem Namen Fingal MacEideard.“
„ Die verschollene Linie?“ , warf ich dazwischen.
„ Gut gemerkt, Lilia.“
„ Ihm zur Seite steht sein alter Freund Lyall Alastair. Er entstammt ebenfalls einer Mischlinie. Die beiden erwarten dich.“
Verblüfft fragte ich: „Heißt das, ihr seid nicht nur für Schottland, sondern ebenso für England zuständig?“
Der Mädelchor tirilierte. Es klang zarter, als wenn sanfter Wind die filigranen Plättchen eines Glasspiels berührte.
„ Gehe ich recht in der Annahme, dass keinerlei Kontakt zwischen den Londonern und Alexis besteht?“
„ Bislang wurde beiden Seiten jegliches Wissen vorenthalten, dass noch weitere Angehörige am Leben sind. Doch den Grund dafür werden wir dir verschweigen.“
„ Reichlich brutal! Und ich bekomme nun eure Erlaubnis, die fiese Heimlichtuerei zu beenden?“
„ Ja, Lilia.“
„ Gut, aber London muss noch ein Weilchen warten.“ Denn vorrangig wollte ich die Lichtwesen zu Lightninghouse Castle befragen. „Irgendetwas ist faul an diesem Gemäuer.“
„ Was meinst du damit?“
Also erzählte ich von meinen Beobachtungen an Alexis. Wie sein Wesen sich stetig wandelte, je nachdem, ob er sich hier oder in Berlin aufhielt. „Mir geht es übrigens ähnlich“, fuhr ich fort, „spätestens nach einem Tag bedrückt mich das Castle. Zurück im Gartenhaus, fühle ich mich sofort wie von einer schweren Last befreit. Elin meinte vor einiger Zeit, möglicherweise hänge das Ganze mit Alexis abtrünnigem Vorfahr zusammen.“
Die Gesangsriege versprach, darüber nachzudenken. Wie ging noch gleich die alte Telefonansage: bitte warten, bitte warten, bitte warten…
Auf dem Fußweg hinauf in Alexis Büro erinnerte sich mein Gedächtnis: „Die Lichtwesen können nicht unter die Erde schauen. Och nee, etwa wieder im Keller zwischen Kerkern und anderen kuscheligen Ecken herumwühlen?“ „Oh doch, genau das wird dein persönlicher Fahndungsbeitrag“, verkündete mein Alter Ego schadenfroh. „Brrrh!“
„Hey Süßer! Findest du etwa, dein quatschnasses Land braucht noch mehr Regen?“ Weitere muntere Sprüche blieben mir angesichts der in seinem Büro wabernden fetten Wolke, bestehend aus schwermütigen Ausdünstungen seiner Emotionen, im Hals stecken. Ich schüttelte mich und begann reflexhaft zu leuchten.
„Habe zu arbeiten“, brummte Alexis misslaunig und tippte weiter stupide Zahlenkolonnen. Wuchernde Bartstoppeln und zerknitterte Kleidung verpassten ihm ein angewildertes Aussehen. Seit wann hockte er dort schon?
„Aber sicher, Mylord, auch ich freue mich wahnsinnig, dich zu sehen!“
Es dauerte geschlagene 15 Sekunden, bis dieser Satz seinen Gedankensirup durchdrang. „Entschuldige, ich brauche noch fünf Minuten.“
Sechs Minuten, sieben Minuten und mir langte es. Mit energischer Magie fabrizierte ich eine fehlerfreie Datenkolonne in seinen PC. „Komm mit.“
Er blickte auf, sah mich apathisch an und gleichzeitig durch mich hindurch.
Die ganze Situation hier vor Ort entpuppte sich als absolut haarsträubend. Warum hatte ich das mysteriöse Rätsel um den Zustand von Alexis dermaßen schleifen lassen? „Genau mein Reden!“ , trompetete mein Alter Ego. „Und was ist mit der sternelbischen Verantwortung?“ , fauchte ich zurück. „Warum haben die Alexis im Stich gelassen?“
„Wir müssen schnellstens hier raus“, drängte ich jetzt Alexis. Entschlossen ergriff ich seine Hand, zog ihn von seinem Stuhl hoch und schleifte Mylord über den Korridor, das Treppenhaus hinab, durch die Eingangshalle bis vor die Tür. „Wie eine Marionette“, dachte ich entsetzt. „Woher, zum Henker, stammt das bloß?“
„ Wir finden keine Antwort“ , vermeldeten die Lichtwesen nach ihrer ersten Fahndungsrunde in historischen Erinnerungen.
„ Sucht weiter! Seht ihn euch an! Wie konntet ihr Alexis so hängen lassen?“
Kein noch so winziger Versuch einer Rechtfertigung folgte.
Derweil schleppte ich Mylord durch den strömenden Regen zum Stallhaus. Durchgeweicht schlüpften wir hinein. Wenigstens zeigte sich dank meines Eingreifens am Horizont das ausgefranste Ende der Regenfront.
Feuchtwarmer Geruch nach Pferdeleibern und Stroh schlug uns entgegen.
Der feurige Hengst Esper ließ sein donnerndes Wiehern vernehmen. „Elbenkind, endlich hat die Langeweile ein Ende!“
„ Werdet ihr nicht gut versorgt, mein Freund?“
„ Ohne dich werden die Menschen trübsinnig, das wirkt ansteckend. Außerdem dürfen wir wegen des Dauerregens kaum hinaus.“
„ Na dann, die komplette Mannschaft auf zum Ausflug!“ , rief ich fröhlich in die Stallrunde.
Wiehern, Schnaufen und Hufescharren untermalten ihre Ungeduld, an die frische Luft zu gelangen. Währenddessen stand Alexis teilnahmslos neben dem Tor und stierte vor sich hin. Meine ursprüngliche Idee eines Ausritts wich der Überzeugung, allein ein strammer Fußmarsch würde ihn zur Besinnung bringen.
Die Pferde preschten über den Wiesenweg vor. Wir stapften hintendrein durch den Matsch, der bis in unsere Kniekehlen hochspritzte.
Alexis kalte Hand lag schlaff in meiner Linken. Erst jetzt nahm ich dies bewusst wahr. „Unsere halbelbischen Körper sind niemals kalt!“ Joerdis Seele regte sich. Automatisch brachte ich meine Gedanken zum Schweigen. Ein sanfter Energiefluss setzte sich in Bewegung und erreichte seine Hand. Gleichzeitig begann mein Körper erneut zu leuchten, bis das Licht uns beide umhüllte. In dieser einsamen Gegend würde höchstens ein Falke unsere seltsame Erscheinung erspähen.
Gerade als die Sonne mit ihren sommerlich warmen Strahlen durch die Wolken brach, drehte Alexis mir sein lächelndes Gesicht zu. „Ohne dich ist kein Leben in mir, Lil.“
Ein sehr langer Kuss hinderte meine grauen Zellen daran, den romantischen Moment mit rationalem Quark zu zerstören. In der Ferne fiel abklingender Nieselregen silbern auf einen Birkenhain mit schimmernden Blättern wie aus lindgrünem Glas.
Drei Stunden später standen die zufrieden schnaufenden Pferde auf der Weide. Ein einigermaßen klarköpfiger Alexis kehrte mit mir zum Dinner in das Castle zurück.
Kaum stand der von Butler Andrew servierte Hauptgang, asiatisches Pilzrisotto mit Wildsalat, auf dem Tisch, weihte ich Alexis in meine ausgetüftelten Pläne ein.
„Also, wir übernachten bis auf weiteres in Berlin. Zum Frühstück landen wir unbemerkt von deinem Personal wieder im Castle.“
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