Aus heutiger Sicht, und nur aus heutiger Sicht, sah es in der Tat aus wie frisch gezapft.
Leises Stöhnen ließ mich zu Alexis schauen. Sein Lichtschild flackerte wie im Sturm. Das verfluchte Ahnenblut witterte sein Blut, erkannte es als gleich.
„ In die Kapelle, sofort!“
Das mussten sie uns kein zweites Mal befehlen. Die Geschichte wurde zunehmend widerlicher, eben typisch dämonische Ausgeburt.
Nachdem die Sternelben unsere Sinne gereinigt hatten, sprang ich eilends nochmals unter das Dach, um die Eingangstür lichtmagisch zu versiegeln. Diarmad fasste gerade die Dachtreppe in ihr Neugierauge.
„ Wozu überhaupt ein Dienstmädchen, wenn Magie zur Verfügung steht? Sauber zaubern ist wohl unter Mylords adelsgeschwängerter Würde?“
In der Zwischenzeit erfuhr Alexis von den Sphärensängerinnen das Geringe, was sie über die Umtriebe seines Urahns wussten. Doch alles unterirdisch Dämonische, sprich die entscheidenden Fakten, fehlte der kosmischen Ordnung gemäß.
Frustriert begleitete er mich anschließend durch den Obstgarten. Dort konnten wir unbelauscht reden.
„Dein Dienstmädchen wird zu einem Problem. Gerade erklimmt Diarmad die Treppe zum Dachboden.“
Er nickte abwesend, in Gedanken völlig von dem obskuren Stern gefangen. „Welchem Zweck er wohl dient?“
„Jedenfalls starten wir keine Versuchsreihe“, entgegnete ich energisch. „Für heute langt es mir total.“
Schweigend setzten wir unseren Spaziergang bis zu den Felsblöcken am Bach fort.
Dort angekommen, zauberte Alexis aus heiterem Himmel los: Plaid, Tee, Picknickkorb.
„Magst du Kirschtörtchen mit Schokoladensauce zum Tee?“
„Mmmh, ein verlockendes Angebot.“
Für den Rest des Tages wischten wir in stillem Einvernehmen sämtliche schwarzgefärbten Fragen beiseite.
Spät abends, weit nach dem Dinner, folgte mir Alexis höchst bereitwillig ins sichere Berliner Gartenhaus.
In der Nacht aber erreichte mich zum ersten Mal seit Langem eine Traumbotschaft:
Noch einmal kämpfe ich mich durch den langen Gang, der unter Burg Amhuinn in die Dämonenhöhlen führt. In der ersten Höhle blicke ich suchend umher. Drei Durchgänge führen weiter. Aber nur einen davon probiere ich aus.
Dadurch erwacht, formulierte ich laut die entscheidende Frage: „Wohin führen die übrigen Durchgänge?“
„Lil, du redest im Schlaf“, murmelte Alexis.
„Nein, ich bin hellwach. Vielleicht finden wir unseres Rätsels diabolische Lösung unter Burg Amhuinn.“
„Wie?“
„Schlaf weiter.“
Leise schlich ich in die Küche hinunter, um nachzudenken.
Traumbotschaften enthielten jedes Mal einen Schlüssel, darauf durfte ich mich hundertprozentig verlassen. „Stern und Höhle. Wo opferte der abtrünnige Lord sein Blut für diesen Satanspakt? In einer rituellen Stätte, quasi als Gegenstück zu den spirituellen Kirchen der Elben?“
So lange Zeit vor mich hin grübelnd, stand plötzlich Elin neben mir.
„ Darf ich dich mit einer fiesen Frage überfallen?“
Sie betrachtete mich aus ihren unergründlichen Augen.
„ Ich möchte dir einen dämonischen Gegenstand zeigen.“ Und ergänzte rasch als Entschuldigung: „Weil ich Hilfe benötige.“
Reflexartig wich die Elbe zurück, sammelte sich jedoch schnell und begutachtete entschlossen meine Erinnerungen.
Dünnstimmig erklärte sie daraufhin: „Es handelt sich um ein Doraodh, ein Feuersiegel ewiger Knechtschaft. Es öffnet das Tor in die Finsternis. Früher nagelten die menschlichen Anhänger des Dämonfürsten solche Feuersiegel in ihre Hausbrunnen, weil schwarze Magie unter der Erde ähnlich wie euer elektrischer Strom fließt. Das Doraodh ist mächtig, solange es von dem Ort mit Magie genährt wird, an dem es entstand.“
Resigniert kommentierte ich: „Also müssen wir tatsächlich nochmal in die Höhlen von Amhuinn kriechen. Bliebe die klitzekleine Frage offen, wie man das Ding zerstört.“
Ein gewitztes Lächeln erschien auf dem schönen Elbengesicht.
Aus dem Buch „Inghean“
Die Zeit ist für Lilia gekommen, das rein Böse zu bezwingen. Dies wird ihre zweite, schwere Prüfung. Möge das Schicksal uns Elben wahre Gnade erweisen.
Derweil ich mich voll auf das Castle konzentrierte und somit sauber abgelenkt war, verschwendete ich null Gedanken an etwaige Umtriebe des Dämonfürsten. Jener heckte in London seinen fintenreichen Schachzug gegen Joerdis und ihre Anhänger aus. Einerseits führte er sowohl Elin als auch die Sternelben in Berlin blindlings um die Fichte. Die von ihm längst mobilisierten Dämonen polterten keineswegs in großen Horden gen Hauptstadt. Der Fürst ließ sie unauffällig über sämtliche Landesgrenzen eintröpfeln. Mal zwei, mal drei seiner Sklaven reisten als unsichtbare Passagiere per Nachtzug, Lkw oder Schiff aus den umliegenden Ländern an. Also die klassische Salamitaktik. Seine bestialische Mobilisierung reichte von den Alpenländern bis ins südliche Schweden.
Doch die Lichtgeschöpfe pflegten allen Unterweltwarnungen zum Trotz ihren entrückten Sphärengesang.
Andererseits störte den Herrn der Grüfte mein offensichtliches Interesse für die Highlands. Aus diesem Grund hatte er bereits vor etlichen Wochen in nächtlicher Heimlichkeit den schwarzmagischen Fluss aus den Höhlen unter Burg Amhuinn zu seinen mächtigen Doraodhs vervielfacht. Allerdings stieß der Dämonfürst selbst in seinen abartigsten Traumfantasien nicht auf die Verrücktheit, ich könnte abermals in seine Höhlen eindringen, nachdem das Sternsilber von dort gestohlen war.
Bevor Alexis und ich am folgenden Morgen aus meinem Gartenhaus nach Lightninghouse aufbrechen konnten, um dem Doraodh endgültig aufs Blut zu rücken, traf ein Hilferuf der Sphäre für Katja ein.
„Alexis, schwöre mir, dass du dich weder dem Dachboden noch den Höhlen allein näherst“, verlangte ich und ließ ihn zugleich meine ängstliche Sorge spüren.
„Ruhig Blut, Lil, du hast mein Ehrenwort.“
„Kommst du heute Abend hierher?“
„Versprochen.“
Ein hastiger Kuss, schon verschwanden wir auf getrennten Wegen.
Im Konferenzraum des Berliner Kriminalkommissariats liefen bei meinem Eintreffen hitzige Spekulationen über das von einem Hund-Herrchen-Gespann aufgeschnüffelte Laubgrab in der Jungfernheide. Kein „guten Morgen, schön dich mal wieder zu sehen“, tönte mir entgegen. Stattdessen wild durcheinander geschossene Fragen, noch bevor ich auf meinem Hintern saß.
„Wer war es?“ „Seit wann liegt die Frau da?“ „Wieso konntest du das denn nicht verhindern?“ Und so fort.
„Euch ebenfalls einen wundervollen Morgen, meine Lieben.“
Katja kam aus ihrem Büro herbei geeilt. Problemlos übertönte sie den Lärmpegel ihrer Mannschaft. „Setzt euch, damit wir anfangen können.“ Und an mich gewandt, kurz und knapp: „Startklar?“
Da meine Miene ehrlicherweise eine Mischung aus Ekel und Trauer ausdrückte, schlug die mannschaftliche Jagdstimmung sekundenschnell in angespannte Aufmerksamkeit um.
„Der Hund hat eine Leiche freigebuddelt“, eröffnete ich. Mein nachfolgender Blick in die Runde verursachte leise Stöhnlaute.
„Wieviele insgesamt?“, fragte die Chefin ergeben.
„Fünf.“
Heftiger Tumult brach sich Bahn, den ich per Handzeichen abwürgte. „Vielleicht erinnert ihr euch noch an den vertrackten Fall einer weit verzweigten Sippe, deren Ehefrauen vor zwei bis sechs Jahren spurlos verschwanden. Der Täter, oder präzise ausgedrückt, die Mörderin, wurde nie gefasst.“
„Eine Serienmörderin?“, krakeelte Jan dazwischen. „Das wird ja immer besser!“
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