Ich ging zu ihm und zeigte ihm meine leere Wasserflasche, ich sagte „Wasser, Wasser“, was er verstand.
Er nahm die Flasche, ging hinter sein Haus an den Brunnen und füllte die Wasserflasche ganz auf.
Ich dankte ihm und setzte mich wieder an die Straße. Das Wasser war herrlich frisch und schmeckte sehr gut.
Ich habe in letzter Zeit die Erfahrung gemacht, dass Wasser sehr wohl unterschiedlichen Geschmack haben kann.
Nach ungefähr einer Stunde öffnete sich die Haustür wieder und der alte Mann stand da und forderte mich auf, zu ihm zu kommen. Er hielt einen Teller in der Hand, auf dem offensichtlich Suppe schwappte.
Ich sollte sie probieren.
Er gab mir einen Löffel und ich probierte die Suppe.
Sie schmeckte ausgezeichnet, es war eine Hühnersuppe, die so raffiniert gewürzt war, dass der Hühnergeschmack zwar dominierte, gleichzeitig aber auch frische Kräuter wie Petersilie und Koriander zur Geltung kamen.
Ich gab dem alten Mann zu verstehen, dass ich die Suppe sehr gut fand.
Daraufhin lud er mich in sein Haus ein, ich sollte ihm beim Essen Gesellschaft leisten.
Ich folgte dem Alten also in sein Haus und stellte meinen Rucksack hinter die Tür.
Dann sagte ich, dass ich aus Deutschland käme, „Germany“ rief ich, „Germany!“
Da bekamen die Augen des Mannes ein Funkeln, auf seinem Bord im Wohnzimmer stand ein Foto von Schah Reza Pahlavi, wie er zusammen mit Bundespräsident Heinrich Lübke 1967 in Berlin war.
Das war zwar weit vor meiner Zeit, ich erinnerte mich aber an einige missliebge Begleitumstände des Schahbesuches.
Der alte Mann war wohl ein Kaisertreuer. Ich sagte „Schah Reza Pahlavi“ und zeigte dabei auf das Foto, das entsprach nicht ganz der Zufriedenheit des Alten, weil das h in Pahlavi wie das ch in Lachen ausgesprochen werden musste.
Er sagte mehrere Male den Namen in seiner korrekten Aussprache, und ich sprach ihn so lange nach, bis er zufrieden war.
Dann setzten wir uns an einen alten knarzenden Tisch, und der Alte holte den Topf mit der herrlichen Suppe. Er hatte auch frisches Brot, das wir zu der Suppe aßen, ein Festmahl.
Der alte stellte mit Genugtuung fest, dass es mir schmeckte, er schnitt weiteres Brot auf.
Nach dem Essen ging er mit mir wieder zu dem Bord und zeigte mir ein weiteres Foto, auf dem wohl seine Frau zu sehen war, die scheinbar tot war, er deutete jedenfalls so etwas an.
Daneben standen weitere Fotos, auf denen seine verheirateten Kinder mit ihren Familien zu sehen waren.
Der Alte war Großvater, seine Enkel waren auf den Fotos schätzungsweise acht bis zehn Jahre alt, es gab vier Enkel.
Er zeigte mir die Fotos mit einem gewissen Stolz.
Ich begann, mich in seiner Stube umzusehen.
Es war ein dunkler Raum und viel mehr als der knarzende Tisch, vier alte Stühle und eine windschiefe Kommode, auf der die Fotos standen, war in ihm nicht vorhanden.
Zwei Katzen liefen plötzlich durch das Zimmer und strichen dem Alten um die Beine. Mich beäugten sie misstrauisch.
Als ich meine Hand nach ihnen ausstreckte, fauchte die eine Katze, beide ließen sie sich aber von mir streicheln.
Der Alte führte mich herum, er hatte noch zwei Zimmer, das eine war sein Schlafzimmer, das andere war eine Art Gästezimmer, in dem seine Kinder mit seinen Enkeln schliefen, wenn sie mal zu Besuch kamen, überall lag Spielzeug herum.
Er bedeutete mir, mich auf dem Bett auszuruhen, er würde sich in seinem Zimmer auf sein Bett legen.
Das tat ich sofort und schlief ein.
Der Alte schlief auch, die Katzen sprangen auf mein Bett und legten sich zu meinen Füßen hin.
Nach ungefähr einer Stunde hörte ich den Alten herumfuhrwerken, er machte in der kleinen Küche, die nach hinten hin angelegt war, unser Essgeschirr vom Mittagessen sauber.
Ich ging zu ihm hin und bot meine Hilfe an, nahm ein Küchenhandtuch, das an einem Nagel in der Wand hing und trocknete die Sachen ab, die er gespült hatte.
Als wir fertig waren, bedeutet mir der Alte, ihm nach draußen zu folgen.
Wir gingen von der Küche aus in einen Hof, die Straße war hinter dem Haus bei weitem nicht mehr so laut wie vorne und in seiner Stube, die zur Straße hinausging und nur durch einfach verglaste Fenster gegen den Lärm geschützt war.
Der Hof war mit schlichten Betonplatten gepflastert, an der Seite standen Lämmerställe, in denen ich sechs Tiere zählte, ich glaubte, dass es iranische Lämmer waren.
Dann hatte der Alte noch einen Schuppen, aus dem er zwei Gartengeräte nahm und ging mit mir nach hinten über den Hof.
Wir kamen über die Höfe der Nachbarhäuser, überall grüßte der Alte die Bewohner und stellte mich vor, viele schienen verwandt mit ihm zu sein, er umarmte manche.
Wir gelangten auf eine Nebenstraße der A 83 und liefen diese entlang, bis sie nach zweihundert Metern im Nichts endete.
Es öffnete sich nach Süden hin die Wüstenebene, in die vorzudringen noch niemand gewagt hatte.
Ganz vornean hatten die Bewohner von Soltanabad ihre Gärten, die sie täglich aus einem Brunnen, der sich am Rand befand, wässern mussten.
Der Alte ging zunächst mit mir zu dem Brunnen und hieß mich, zwei Eimer mit Wasser zu füllen und ihm zu folgen.
Dann gingen wir zu seinem Garten, die Früchte standen gut, er hatte Erbsen, Tomaten, Bohnen und Paprika.
Er nahm einen Wassereimer und schüttete das kostbare Nass vorsichtig an die Pflanzen.
Das erinnerte mich doch stark an meine Jugend, als fast die ganze Gartenarbeit an mir hängengeblieben war, auch Kaninchen hatten wir, belgische Riesen, genau wie der Alte.
Ich sah Frau Aldenhoven in der Laube sitzen, während ich ein Kaninchen schlachtete, was manchmal vorkam, wobei das Schlachten eigentlich Vaters Arbeit war.
Der Alte pflückte ein paar Tomaten, nahm ein paar Paprika.
Dann harkte er ein Stück Land und wollte eine freie Stelle umgraben.
Da nahm ich den Spaten und grub, wie früher in unserem Garten, das Land um.
Der Alte staunte nicht schlecht, als er den Deutschen mit dem Spaten in der Hand arbeiten sah.
Die Sonne brannte wieder vom Himmel und ich kam schnell ins Schwitzen.
Anschließend liefen wir den Weg, den wir gekommen waren, mit dem geernteten Gemüse wieder zurück.
Im Hof angekommen zog ich meine Sachen aus und wusch mich am Brunnen.
Der Alte fuhr sich mit einer Hand voll Wasser durch sein Gesicht.
Er brachte das Gemüse in die Küche, kam aber sofort wieder heraus.
Er ging zum Lämmerstall und schnappte sich ein Tier. Dann nahm er sein Messer und schnitt ihm die Kehle durch.
Ein, zwei klagende Laute gab das Lamm von sich, dann war es tot.
Der Alte schob die Hinterläufe über die in die Schuppentür geschlagenen Nägel, dann nahm er eine große Schüssel und stellt sie unter das leblose, mit dem Kopf nach unten hängende Tier.
Gerade wollte er mit seinem Schlachtermesser dem Tier sein Fell an den Hinterläufen einschneiden, als ich „Stopp“ rief, was den Alten verdutzt einhalten ließ.
Ich ging zu meinem Rucksack und zog aus der Seitentasche mein Messer.
Dann ging ich wieder auf den Hof und zeigte dem Alten mein Prachtstück.
Er nahm mein Messer in die Hand und schaute bewundernd auf die ausgefeilte Schmiedearbeit. Ich deutete an, dass ich das Messer aus Istanbul hätte und der Alte nickte.
Er hielt die Schneide in die Sonne und sah, wie sich das Licht auf der Klinge brach.
Dann fuhr er vorsichtig mit dem Finger über die Schneide und stieß einen leisen Pfiff aus.
Ich gab ihm zu verstehen, dass ich mit dem Messer das Lamm schlachten wollte. Er schaute mich überrascht an und überließ mir dann die Arbeit.
Ich nahm mein Messer, es lag wirklich gut in der Hand, und schnitt dem Tier das Fell rund um die Hinterläufe ein, immer darauf bedacht, das Fleisch nicht einzuschneiden, worauf der Alte achtete, denn er schaute mir genau zu.
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