»Immerhin starben einer Statistik zufolge sechs von sechsundzwanzig Personen, die bei der Graböffnung anwesend gewesen waren, innerhalb von zehn Jahren«, sagte Catherine, die sich gründlich informiert hatte.
»Ja, mag ja sein, Schatz, aber dieselbe Statistik sagt, dass nur zwei Personen von zweiundzwanzig bei der Öffnung des Sarkophages anwesenden starben. Beim Auswickeln der Mumie gab es zehn Anwesende, alle blieben unbehelligt, erlagen also keinem angeblichen Fluch. Welche Vermutung ich als einzige gelten ließe, werde ich dir ein andermal mitteilen. Können wir das Thema jetzt beenden?«
»Noch nicht ganz. Vorhin, als du mich fragtest, ob ich mir über den Fluch Sorgen mache, sagte ich auch , denn mir ist aufgefallen, dass deine Kollegin außergewöhnlich hübsch ist. Ihr Typ kann bei Männern in einem gewissen Alter durchaus so etwas wie ein Fluch sein, besonders bei verheirateten.«
»Diese Bemerkung ist so unpassend, dass ich dazu keine Stellung beziehen möchte, zumal ich morgen frisch und ausgeruht sein will. Sonst ereilt mich nämlich der Fluch der bösen Taten, wenn ich unkonzentriert aufgrund von Schlafmangel bin.«
»Solange es nicht der „Fluch des Pharao“ ist, den man bei Mittel- und Südamerikareisenden „Montezumas Rache“ beziehungsweise Reise-Diarrhoe/Reisedurchfall nennt«, lachte Catherine, aber ihr Lachen wirkte bei genauerer Betrachtung etwas aufgesetzt, denn, was Dominique Petit betraf, war Alain geschickt ausgewichen und hatte Catherines Befürchtungen nicht gerade entkräftet.
Am nächsten Tag saß Alain mit seiner Familie im Gartenrestaurant und genoss beim Frühstück die Sicht auf die farbenfrohen Sträucher. Danach brach er gut gesättigt und mit reichlich Proviant für den Tag zum Tal der Könige auf. Catherine war etwas erleichtert, dass er nur die Studenten in seinem Geländewagen mitnahm, und Dominique mit Serge fuhr.
»Was hältst du davon, wenn wir Frauen uns heute mal einen Schönheitstag gönnen?«, fragte Catherine ihre Tochter, »wir könnten zur Kosmetik gehen und uns die Haare machen lassen. Dein Bruder wird uns nicht sonderlich vermissen, weil er bestimmt vor seinem Laptop abhängt.«
»Maman, ich staune, wie du dich ausdrückst«, grinste Jeanne.
»Ja, ich auch. So langsam färbt eure Ausdrucksweise auf mich ab. Aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Wörter wie „geil“ werde ich nicht in mein Vokabular aufnehmen.«
»Das verlangt ja auch keiner. Es reicht schon, wenn du nicht immer die Stirn in Falten legst, falls uns dieses Wort mal rausrutscht. Auf jeden Fall ist es eine hübsche Idee, dass wir mal etwas alleine unternehmen, und nicht immer der Knirps dabei ist, wie zu Hause.«
»Du sollst nicht immer Knirps zu mir sagen«, protestierte Michel, »obwohl ich etwas jünger als du bin, sind wir fast gleich groß, wenn du nicht gerade Schuhe mit höheren Absätzen anhast.«
»Die Größe sagt gar nichts«, meinte Jeanne, »du brauchst nur den Mund aufzumachen, dann merkt man, dass du noch lange nicht trocken hinter den Ohren bist.«
»Tut mir einen Gefallen und streitet euch nicht schon beim Frühstück.« Catherine setzte eine gespielt finstere Miene auf. »Darf ich euch daran erinnern, dass wir den Besuch bei eurem Vater mit einer Zeit der Erholung verbinden wollten?«
»Entschuldige, maman, aber der Knirps hat so eine Art an sich…«
»Und am Abend könnten wir uns erkundigen, was heute in dem Pavillon stattfindet«, überhörte Catherine Jeannes Bemerkung. »Dort soll es regelmäßig Filmabende, Quiz und andere Aktivitäten geben.«
»Na, toll, ich wollte schon immer mal einen Film in ägyptischer Sprache sehen, bei dem ich kein Wort verstehe«, maulte Michel.
Catherine recherchierte dann im Internet, welches Hotel in Luxor am besten für ihr Vorhaben geeignet war. Ihre Wahl fiel auf das Sofitel Karnak Luxor Hotel. Denn dort gab es eine Sauna und Geschäfte wie Friseur und Schönheitssalon. Man konnte zwischen verschiedenen Schönheits- und Körperbehandlungen wählen und anschließend einige Runden in der Poolanlage drehen. Michel war nämlich das einzige Familienmitglied der Duvals, das nicht bedauerte, dass es im Shehrazade keinen Pool gab.
Jeanne war enttäuscht, dass es wieder nichts mit dem Sofitel Winter Palace Hotel wurde. Der Palast aus dem 19. Jahrhundert vereinte nicht nur Kolonialdesign mit der Pracht der Pharaonenzeit, sondern war immerhin einst die Winterresidenz der ägyptischen Königsfamilie gewesen. Auch Howard Carter hatte dort gewohnt, und nicht zuletzt hatte die berühmte Agatha Christie dort 1937 ihren Roman „Der Tod auf dem Nil“ verfasst, der später verfilmt worden war. Nur hatte das Sofitel Winter Palace keinen Wellnessbereich, und Massagen erhielt man nur auf Anfrage, wie Catherine herausfand, deshalb stimmte Jeanne schließlich zu, als ihre Mutter ihr eröffnete, dass sie stattdessen das Sofitel Karnak Luxor aufsuchen würden. Ein Einverständnis, das Jeanne kurzzeitig bereute, als sie bemerkte, dass es vom Bootsanleger aus am weitesten gegenüber den anderen Hotels war.
Erst die traumhaft schöne Anlage und die wohltuenden Behandlungen versöhnten dann den Teenager wieder. Sie rang sich sogar zu der Erkenntnis durch, dass Michel bestimmt seinen Spaß in den Pools gehabt hätte, und sei es nur, um seine Füße vom Rand aus zu kühlen, wenn er nicht so wasserscheu wäre und endlich seine Angst vor Wasser überwinden würde.
Als die beiden Frauen fort waren, surfte Michel ein wenig im Internet, spürte aber bald, dass er gedanklich bei etwas ganz anderem war. Ihm spukte immer noch das Kartenspiel im Kopf herum, Verbot seines Vaters hin oder her. Wenigstens einmal richtig ansehen oder gar ein Probespiel machen könnte man doch, dachte er. Sein Vater hatte zwar das Spiel in einer Kommodenschublade deponiert und den Schlüssel mitgenommen, aber übersehen, dass man nur die Schublade darüber herausnehmen brauchte, um an den Inhalt der darunter befindlichen heranzukommen.
Nachdem Michel die Karten gründlich betrachtet hatte, bedauerte er umso mehr, dass er die Sprache nicht beherrschte, in der die Anleitung und die Bemerkungen verfasst waren. Dann kam ihm eine Idee. Er nahm die kleine Schriftrolle und ging damit zur Rezeption hinunter. Dem einheimischen Rezeptzionisten, der fließend Englisch und Französisch sprach, legte er die Schrift vor, achtete aber darauf, dass er nur den Teil entrollte, der sich auf die Spielanleitung bezog. Wo die vorangehende Warnung endete, hatte sich Michel anhand des Schriftbildes gemerkt.
»Hat der junge Herr schon genug von unseren antiken Schätzen? Wollen Sie sich die Karten legen?«, fragte der dunkelhäutige, junge Mann mit perlweißen Zähnen.
»Nein, wir nehmen erst morgen an der Besichtigungstour teil. Das Grabmal von Thutmosis III., in dem mein Vater arbeitet, wird er uns aber persönlich zeigen. Meine Mutter und meine Schwester machen heute auf Wellness, da wollte ich mir etwas die Zeit vertreiben. Aber sagen Sie doch bitte „du“ zu mir, ich bin erst dreizehn.«
»Gerne, wenn du es wünschst…«
Der junge Mann überflog den Text und nickte. Ein Zeichen, dass er alles verstanden hatte.
»Zuerst musst du die Karten gut mischen. Dann legst du die zwölf obersten als Hilfsstapel in die Mitte. Darum werden acht weitere Karten mit der Schmalseite zum Hilfsstapel zeigend in Form eines Kreises offen ausgelegt.«
»Ach, das kenne ich. Diese Patiencevariation nennt man „das Rad“«, sagte Michel, »weil die Form an ein Wagenrad erinnert.«
»Soll ich trotzdem noch weiterlesen?«
»Ja, bitte, zur Sicherheit.«
»Die nächste Karte des Talons wird als Grundkarte unten ausgelegt. Daneben muss noch Platz für drei weitere Grundkarten bleiben. Darauf legt man im Wert aufsteigend abwechselnd Karten in Gelb und Grün.«
»Ja, ich weiß, ich kenne es mit Rot und Schwarz. Auf eine rote Acht kommt eine schwarze Neun und so weiter.«
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