Wortlos reichte Lachmann die Kladde an sein Gegenüber.
„MP 5 von Heckler und Koch, vermutlich die SD?“, las Sturm laut mit.
„Warum SD?“ Lachmann kratzte sich am nicht mehr sonderlich behaarten Kopf.
„Also sehen Sie, es ist so. Die SD hat einen modifizierten Verschluss. Die Mündungsenergie wurde absichtlich verringert, genauso wie die V-Null auf 285 m/s reduziert wurde.“
„V-Null heißt?“ Wollte Perlhuber wissen. Sturm war erfahren genug, seinen Chef nicht bloßzustellen und schaute genauso dämlich.
„Die V-Null ist die Geschwindigkeit des Geschosses direkt nach Verlassen des Laufes“ erklärte Lachmann bereitwillig. „Die SD ist eine Spezialanfertigung für Schalldämpfer. Den hätten Sie schon noch drauf schrauben sollen, dann hätte ich das nicht erkannt. Die dritte Waffe halte ich für eine Walther PPK oder eine Mauser HSc. Das kann ich nicht unterscheiden. Ich bin aber, wie gesagt, ein Spezi für Ostblockwaffen. Haben Sie nicht was schön Historisches?“
Perlhuber nickte Sturm zu und ging. „Okay, wir servieren Ihnen noch vier Waffen. Wenn Sie die richtig haben, haben Sie gewonnen.“
„Was gewonnen?“, wollte Lachmann wissen.
Sturm übergab die Kladde und sagte: „Erstens ein Mittagessen mit dem Staatsanwalt und mir. Zweitens können Sie eine Honorarforderung an uns stellen.“
Lachmann griff die Kladde. „Was war denn nun eigentlich die dritte Waffe? Wenn ich raten dürfte, würde ich auf die PPK tippen.“
„Sie sind ja wohl der eigenartigste Zeitgenosse, den ich in den letzten Jahren kennen gelernt habe. Es war meine Pistole, eine PPK.“
Wieder erscholl ein Knall. Lachmann grinste nur und notierte, diesmal ohne die Hilfe seines Computers, Skorpion 61in der 7,65mm Version. Die nächste Waffe forderte nicht einmal mehr ein Grinsen von ihm. Ganz klar die alte AK 47.
Die dritte Waffe wurde auf sein Handzeichen noch einmal abgefeuert. Nach dem ersten Schuss stand schon Valmet 60 auf seinem Block. Eine finnische Variante der russischen AK. Nach dem zweiten Schuss schrieb er 7,62 mm dazu.
Dann erfolgte ein Schuss, der dafür sorgte, dass Lachmann aufsprang und sich umdrehte.
Kein Schütze lag dort. Da saß ein Mann an einem Laptop hinter Kisten. Da war auch der Lautsprecher. Lachmann stiefelte auf den Mann los.
„Dragunow“, rief er. „Das ist ein Dragunow. Wollt ihr mich auf den Arm nehmen oder was? Das war doch klar, dass dies kein Originalschuss war. Völlig verkehrtes Echo hier am Waldrand. Aber es ist ein Dragunow. Ein SVD.“
Sturm hatte, hinzu geeilt, die Kladde von der Bank mitgebracht. Perlhuber kam gerade eben bei den Männern an. „Er hat wieder alles richtig“, sagte er zum Staatsanwalt.
„Erstaunlich“ antwortete dieser.
Lachmann fühlte sich geschmeichelt. „Das ist eben meine Fähigkeit. In irgendwas sind Sie sicherlich auch eine Kapazität. Sie wollten mich doch nur in Bezug auf das Dragunow prüfen, richtig?“
Perlhuber, die Kladde mit den absolut beeindruckenden Ergebnissen und der wirklich einmalig gleichmäßigen, sehr angenehmen Handschrift an Sturm weiterreichend, antwortete.
„Woher haben Sie es so schnell gewusst?“
„Das ist mein Job. Ich verdiene mein Geld damit. Im Auto habe ich eine CD-Kollektion mit Geräuschen von fast 98 % aller Waffen dieser Welt. Sortiert nach Herstellungsland, Produktionsfirma, Baujahr, Kaliber, Zusatzausrüstung und verschiedenen Arten der Munition.“
Er fingerte sich eine Zigarette aus der Schachtel, die in seiner Jackentasche auf Leerung wartete. Das von Perlhuber dargereichte Feuerzeug unabsichtlich übersehend, ließ er sein Zippo aufschnippen und gab die benzinbefeuerte Flamme frei.
„Ich kann Ihnen sogar schon die Geräusche von Waffen liefern, die noch nicht im Truppendienst sind. Zum Beispiel von der australischen Entwicklung der Pistole mit der höchsten Feuergeschwindigkeit der Welt. Die finden Sie sogar im Guinness-Buch.“
Die beiden Beamten folgten Lachmann, diesen links und rechts flankierend. Dieser sprach mit der qualmenden, filterlosen Kippe im Mund einfach weiter, da keine Fragen gestellt wurden.
„Sie können diese Geräusche modifizieren nach freier Ebene, Wald oder Innenräumen. Auch die Ausrichtung können Sie variieren. So als stünden Sie hinter dem Schützen, als wären Sie das Ziel, oder Sie stehen hinter einer Mauer und der Schütze steht auf der anderen Seite. Alles möglich. Können wir irgendwo was essen?“
Perlhuber reagierte vor Sturm.
„Mein Herr, Sie sind eingeladen.“
Fünfunddreißig Minuten später saßen Lachmann, Perlhuber und Sturm im Rostocker Ratskeller.
Zwei der Männer hatten ein Bier vor sich, Perlhuber bestellte sich eine Weißweinschorle.
Lachmann musste berichten. Dann erklärte Sturm ein paar Hintergründe. Irgendwann fragte Perlhuber:
„Könnten Sie uns die CDs für Vergleiche zur Verfügung stellen?“
Amüsiert lehnt sich Lachmann zurück.
„Sagen wir mal so. Selbst wenn Rostock nicht pleite wäre, würde die Landesregierung Ihnen einen solchen Kredit nicht gewähren.“
Sturm verschluckte sich an seinem Bier, Perlhuber antwortete: „Gut, dann will ich nicht mehr wissen. Immerhin hängt da jahrelange Arbeit drin. Dennoch kann ich nicht umhin, Ihnen meinen Respekt auszudrücken. Und mich bei Ihnen zu bedanken. Magnus, du bearbeitest das persönlich mit der Honorarrechnung für Herrn Lachmann. Was mich noch, auch bezogen auf die Geschichte hier in Rostock, interessiert: Was war denn da in Sachsen-Anhalt genau los?“
Lachmann fing wieder an zu berichten. Die anderen beiden fragten immer mehr nach, entwickelten immer waghalsigere Ideen zum Tathergang, erzählten ihrem neugewonnenen externen Fachmann mit Sicherheit mehr, als der wissen durfte, bestellten auch nach dem Essen immer neue Lagen. Gegen halb zehn klingelten die Handys von Sturm und Lachmann gleichzeitig. Der eine drehte seinen Kopf auf die eine Seite, der andere stand auf und ging zu seinem Mantel.
Lachmann legte zwei Visitenkarten auf den Tisch. „Meine bessere Hälfte, sprich, meine derzeitige Freundin. Ich muss jetzt nach Hause.“ Sturm hatte das Gespräch ebenfalls beendet, steckte wie Perlhuber nach kurzem Betrachten die Visitenkarte weg.
„Das war Schwerin. Das Projektil ist eine sogenannte Gewehrpatrone sowjetischer Bauart vom Typ M 1908/30.
Es sind geringe Spuren der Züge des Laufes erkennbar. Solange wir aber keine Waffe haben, können wir das nicht zuordnen. Das Projektil sei arg demoliert. Mehr können die Jungs uns jetzt nicht liefern.“
Lachmann, der unweigerlich mithören musste, hatte, seine Jacke schon in der Hand, sich von Perlhuber verabschiedet, hielt jetzt aber dennoch inne.
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