1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Magnus Sturm legte seine Jacke ab, goss sich aus der Karaffe Wasser in ein bereitstehendes Glas und legte los. Nach der Beantwortung mehrerer Fragen, vor allem von dem Mann, fiel Sturm noch die Kloinfo von Erwin ein. Nachdem er das dann auch noch berichtet hatte, übernahm Perlhuber wieder.
„Wie schätzt du das mit der Kamera ein? Wenn es ein Spaziergänger war, der die Kamera verlor, dann war der Zeuge der Tat. Weshalb ist dieser Zeuge nicht tot? Wir haben nur eine Leiche, wir haben nur Zeugen für einen Schuss, wir haben keine Vermisstenmeldung.“
Die Frau stellte ihren Kaffeebecher auf den Tisch.
„Was, wenn es nun ein gedungener Killer war? Der wollte die Tat filmen, als Nachweis dafür, dass er sein Geld verdient hat.“
Sie hatte eine einfach nur geile Stimme, dachte Sturm. Im Hinterkopf hörte er schon: Null hundertneunzig – ruf mich an. Sturm stand auf, ging zum Fenster. Seine breiten Schultern ließen keinen Blick an ihm vorbei aus dem Fenster zu. Er drehte sich wieder in den Raum.
„Dann haben wir ein Problem. Denn die Spuren sind wirklich perfekt verwischt. Vom Tatort hat sich niemand auffällig entfernt. Sowohl die Taxifahrer, als auch die Straßenbahner und die Omas aus dem Kurheim sind befragt worden. Aus der Reha-Klinik, ein Stück weiter stromaufwärts, haben wir auch keine Meldung. Die Waffe ist verschwunden. Muss schon was richtig gutes gewesen sein. Bei einem Schuss über diese Entfernung. Wie kam der Kerl vom Tatort weg?“
Der Mann aus Schwerin meldete sich.
„Werter Kollege Sturm, was wäre, wenn der Täter mit einem Boot über die Warnow geflohen ist? Sie haben diese Reifenspuren. Kann das nicht auch von einem kleinen Handtrailer sein, mit dem man ein Boot transportieren kann? Kann der Trampelpfad im Schilf nicht auch von Kindern stammen? Oder gar als Weg in die Irre vom Täter selbst angelegt worden sein?“ Und dann, nach einem Räuspern, was deutlich für Raucherlunge der übleren Sorte sprach: „Wir wollen uns hier nicht einmischen. Es ist Ihr Fall. Sie sind extra aus Ihrem Urlaub geholt worden, weil der Herr Staatsanwalt Sie für den Besten hält. Wir bieten Ihnen jegliche Unterstützung. Brauchen Sie Leute?“
Sturm bereute, dass er den Namen dieses Menschen nicht hatte hören wollen.
„Danke, aber wenn ich Ermittler benötige, erfahren Sie es sofort.“
Mit dem Kopf auf Perlhuber weisend.
„Mein Chef hat Ihre Kontaktdaten?“
Der Staatsanwalt übernahm. „Wir unterrichten Sie über jeden Fortschritt. Wenn Sturm bis jetzt keine Leute benötigt, dann schätzt er das richtig ein. Den Gedanken mit dem Trailer verfolgst du weiter, verstanden? Ich hab nämlich auch so ein Boot. An der Deichsel zwei kleine Räder und an der Achse zwei Räder, die auf so ein Stadtrad, neudeutsch wohl Citybike, passen. Und ich will unbedingt die Daten über das Opfer.“
Da für Sturm das Gespräch beendet war, machte er es wie immer. Er ging zu Alois Perlhuber, drückte ihm die Hand.
„Versprochen, morgen Mittag bei dir auf dem Tisch.“
Dann zu den Anderen: „Meine Dame“, sie hatte grüne Augen, fantastisch, „mein Herr“, dessen Augenfarbe war ihm scheißegal.
Wieder in seinem Büro, kam die Meldung, dass man jetzt die ersten Resultate zum Leben des Opfers hatte. Außerdem hatten die Jungs aus der Computerabteilung, die seine Aversion gegen Papier verstanden, eine Mail geschickt. Eine zwei Seiten umfassende Erläuterung zu dem, was er im Anhang finden würde, nämlich das Video. Er schaltete den Viewer an und die Lautsprecher. Man sah eine Aufnahme, die sehr verwackelt war. Die beiden Hunde, die Rahen des Schiffes verschwinden eben hinter den Baumwipfeln, die Stadtsilhouette. Dann wird der Bildschirm schwarz und man hört nur noch kratzen und krächzen. Keine anderen Geräusche, nur dieses Schleifen und nicht zu identifizierende Geräusche. Plötzlich, unvorbereiteter konnte man nicht sein, hört man den Schuss. Danach kratzende, knarzende, die Ohren schmerzende Töne. Ein Schleifen. Und aus. Der Knall. Er schob den virtuellen Regler mit der Maus zurück und hörte noch mal auf den Knall. Zweimal. Dreimal. Viele Male mehr. Das war also das Geräusch zum Schuss. Und was stellte man jetzt damit an?
Karin Siebert hatte den Auftrag zum nochmaligen Sortieren des Containerinhalts an ihre Kollegen weiter gereicht. Kommissar Grewe war sichtlich erfreut, dass er nicht zum Müllkommando gehörte. Mit Karin Siebert, erreichte er den Flur, auf dem der Raum lag, aus dessen Fenster geschossen worden war. Das Türschloss ließ sich vermutlich auch durch ein lautes Husten öffnen. In dem Raum, Grewe hatte einen Nachschlüssel, fand sich nur ein Schrank, in dem Reinigungsmaterialen und Besen aufbewahrt wurden. Dann der kleine Wagen, zwei Etagen, vier Räder, vollgepackt mit Spraydosen für dies und Fläschchen gegen jenes. Tücher, Lappen aus Leder, aus Stoff und Papiertücher. In dem Raum war sonst nichts. Aber für den Mörder war er perfekt gewesen. Mehr brauchte er nicht. Perfekte Sicht. Durch den Vorbau kann man den Schützen nur sehr schwer von außen ausmachen. Die Nachbarn hatten nichts gehört. Der Raum interessierte die Mieter alle nicht. Die Reinigungsfirma sandte zweimal in der Woche ihre Leute.
Grewe und ein uniformierter Kollege klingelten noch mal an den Türen, wo bei der ersten Befragung niemand anzutreffen gewesen war. Die Siebert stand in dem kleinen Raum. Weshalb sind hier zwar Spuren der Räder des Wagens sichergestellt worden, aber keine Fußspuren des Täters? Der konnte doch nicht fliegen. Nur die Reifenspuren des Wagens...?
Sie holte das mitgebrachte Zielfernrohr aus der Tasche. Visierte in Richtung des Tatortes.
Ein Mann kam aus der Nummer 87, ging zu einer Garage. Öffnete, fuhr rückwärts ein Trike heraus und setzte sich drauf. Drei hübsche Mädchen, zwischen sechs und 10 Jahren alt, kamen zu ihm und kletterten auf dem Trike rum. Alle lachten herzlich. Die Haustür der Nummer 87 öffnete sich wieder. Ein lauter Pfiff erscholl. Die Frau in der Tür winkte die aufmerksam gewordenen Kinder in das Haus. Der Mann versendete einen Luftkuss in Richtung der Frau und beschäftigte sich wieder mit dem Trike.
Familienidyll, denkt sie. War ihr nie vergönnt.
Sie konnte dem Mann direkt ins Gesicht sehen.
Italienische Brille, dezent unrasiert, lockiges, nicht zu kurzes Haar, längliches Gesicht, buschige Brauen, ein faszinierendes, feinsinniges Lächeln. Interessant. Die Gedanken an ein Date wurden schnell verworfen. Konzentration auf den Job.
Der Schütze konnte also definitiv die Mimik des Opfers erkennen. Wenn es ein gedungener Killer war, dann hätte ein Schuss gereicht. Weshalb schoss er zweimal? Weswegen saß erst der zweite Schuss? So kam sie nicht weiter. Das Problem war die Diskrepanz zwischen ihrem Gefühl und den Fakten.
Ihr Handy summte in der Tasche. Es war der Leiter der Spurensicherung. Einer der routinierteren Ermittler. Beinahe hätte dieser damals den Posten von Karin bekommen, wäre da nicht ein altes Problem mit der Mischung aus Alkohol und Frauen.
„Was haben Sie Neues?“
„Wir haben ein weiteres Paar Handschuhe gefunden. Hauchdünne Seidenhandschuhe. So was tragen wohl Kampfpiloten unter ihren eigentlichen Druckhandschuhen. Gibt es bei eBay für 10 Euro. Aber der eigentliche Hammer kommt jetzt. Wir haben die Aussagen der Zeugen durchgesehen, deren Auswertung Grewe und die Streifenpolizisten am Wochenende nicht mehr geschafft haben. Ein Zeuge aus dem Nachbargebäude, der mit am Container stand, als unser mutmaßlicher Täter die Sachen entsorgte, sagte aus, dass der Typ die Handschuhe auszog. Darunter aber trug der Mann noch solche Silikonhandschuhe. Solche „Erste Hilfe“ oder OP-Dinger. Er ist sich sicher. Chefin, ich sage Ihnen, das war ein Profi. Der vermied es nicht nur, Spuren zu hinterlassen, der vermied sogar, Spuren am Tatort aufzunehmen. Die Spurensicherung hat vorhin angerufen. Die sind mit der Auswertung dessen fertig, was wir gefunden haben. Diese gebogene Plastikplatte ist oben eingeschnitten und durch Wärme so verformt worden, dass man sie am Schirm einer dieser Sportmützen, dieser Basecaps, befestigen kann. Nirgendwo verbleiben Hautpartikel oder Haare. Die Schmauchspuren der Waffe kommen nicht an den Körper. Der wusste sehr genau, was er tat.“
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