1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Draht würde sich am liebsten gleich die nächste Zigarette anstecken.
„Für diese Ermittlung fordere ich, nur für die Nachforschungen im Leben des Opfers, Verstärkung aus Saarlouis an. Alles Andere erledigen Sie mit Ihren Leuten. Und wenn Sie einen Grund wissen wollen, weswegen Sie schnell und erfolgreich arbeiten sollten, beugen Sie sich mal aus dem Fenster. Die Meute hat sich schon auf mich eingeschossen. Der erste Mord seit vier Jahren in Saarbrücken. Totschlag, okay da hatten wir ein paar mehr. Aber geplanter, kaltblütiger Mord?“
Sie legte die Hand auf die Schulter der Kommissarin. „Fangen Sie bloß nicht wieder an zu rauchen! Halten Sie mich auf dem Laufenden. Auch mitten in der Nacht. Rufen Sie mich auf dem Handy an, wann immer Sie wollen.
Wir sehen uns morgen früh um 10 bei Ihrem Chef.“
Karin Siebert ging wieder in den Raum. Zwei Männer stritten gerade, ob der Täter in den Park oder in den Wald geflohen sei. Auf dem Tisch lagen eingeschweißt die Haube aus Plastik, deren Bedeutung schon klar war – wenn auch nicht die Befestigung und woran; des Weiteren die Handschuhe und der Pullover, nebst der Plane. Alle mit Schmauchspuren. Definitiv auch aus den Pulvergasen dieser Waffe. Die Verbrennungspartikel waren identisch mit denen vom Fensterrahmen.
Sie nahm das Gewehr in die Hand. Schwer. Aber nicht unhandlich. Karin war eine recht passable Schützin. Sie legte richtig an. Zog die Waffe in die Schulter und visierte durch das Fenster über den Hof, in das Büro dieser Verwaltungstussi.
Nein, sie würde den Kollegen jetzt nicht die Freude machen und aus Spaß ein Geräusch machen, das einen Knall imitiert. Durch die Optik erkannte sie den Bundesadler auf dem Schreiben, welches obenauf neben der Teetasse dieser blöden Kuh lag, einer, im ganzen Haus nicht sonderlich geachteten, Ermittlerin der Staatsanwaltschaft. Deren Tasse wäre jetzt ein gutes Ziel. Der mittlere Pfeil der Visierung passte genau in den Griff der Tasse.
Das Gewehr lag erstaunlich gut in der Hand. War leicht auszubalancieren. Der Abzug ging relativ schwer. Das kannte sie anders.
Und wie bekommt der Schütze das Gefühl für den Druckpunkt des Abzuges? Mit zwei Paar Handschuhen.
Sie setzte das Gewehr ab, legte es auf den Tisch. Automatisch ging die linke Hand in die Tasche ihres Jeansrockes. Kurzwahl 2 ist Draht.
„Ja, bitte.“ Ihren vollen Namen auszusprechen, hätte den Gesprächspartner schon satt Geld gekostet, weshalb sich die Staatsanwältin immer nur so am Telefon meldete.
„Ich weiß was mich irritiert. Derjenige der weglief, warf Handschuhe weg und hatte trotzdem noch Handschuhe an. Dieses Paar Handschuhe zog er erst am Container aus. Das sagen alle Zeugen. Er hatte ein Paar in den Händen und das andere angezogen.“
„Schlussfolgerungen?“
„Oh, Frau Staatsanwältin, nicht so schnell. Ich bin auch nur eine Frau, die sich überlegt, was sie sagt. Ich melde mich wieder. Wir werden jetzt erst einmal alle auf die Suche nach dem zweiten Paar Handschuhe gehen. Glücklicherweise haben wir den Container beschlagnahmt. Er steht hinten im Hof. Riecht lecker bei der Hitze.“
„Petri Heil“, lautete die lakonische Antwort der Staatsanwältin.
Rostock, zwei Stunden später
Hauptkommissar Magnus Sturm beeilte sich sehr, das Ende des Flures zu erreichen. Nicht weil er zu Perlhuber sollte. Er musste dringend aufs Klo. Keine zehn Meter vor seinem Ziel stoppte ihn ein Ruf.
„Chef, wir haben was Neues.“
Widerwillig drehte er sich um. Bloch, der wegen seiner Bandscheiben zum Innendienst Verdammte, kam hinkend an und wedelte mit einem Zettel.
„Die Computerfreaks haben auf dieser Kamera was retten können.“
„Erwin, ich hab eine wichtige Aufgabe für dich. Bewach den Flur, ich geh jetzt pinkeln.“
Bloch, den nichts mehr erschüttern konnte, hob die gestreckte Hand an die Stirn und meldete: „Zu Befehl!“
„Los komm mit, kannste mir auch auf dem Klo erzählen. Was gibt’s denn?“
Sturm trat hinter die Sichtwand und Erwin Bloch setzte sich aufs Waschbecken. Magnus Sturm war mehr als zwei Meter groß. Bloch konnte die Haare seines Vorgesetzten über die Trennwand hinweg sehen.
„Auf der Kamera ist ein Video, das lässt sich nicht mehr wiederherstellen. Nur die Anfangssequenz ist erhalten geblieben. Du siehst den langen Weg unten in Gehlsdorf, der runter zur Warnow führt. Zwei altersschwache Hunde und ein Pärchen auf Fahrrädern. Im Hintergrund siehst du die Kulisse der Innenstadt und die „Santa Barbara Anna“, das Schiff, auf dem Gelbert in der Crew war. Dann fehlt ganz viel. Und am Ende findest du nur noch ein Knallgeräusch, was der Schuss sein könnte, und dann ein Gewirr von Tönen, die nur von der Zerstörung des Mikros herrühren können, als drüber gefahren wurde. Mehr war nicht zu holen.“
Sturm spülte.
„Sagtet ihr nicht, dass die Kamera so ein Billigding war? So ein Ding, was du bei Tankstellen als Punktesammelbonus bekommst?“, fragte Sturm, seinen Hosenschlitz schließend.
„Stimmt genau!“ Bloch nickte, machte seinem Chef Platz am Waschbecken.
„Na dann pass mal auf, mein Freund. Du schwingst dich ans Telefon und rufst alle Tankstellenfirmen an, die du im Internet findest. Frag bei denen nach, ob die Seriennummern dieser Kameras irgendwie mit einem Kunden in Verbindung gebracht werden können. Zum Beispiel bei Garantiefällen. Manchmal muss man wohl etwas dazu bezahlen. Die Kunden zahlen vielleicht mit Kreditkarte. Morgen, zum Mittag, hab ich die Resultate in meinem E-Mail Eingang.
Erwin Bloch schüttelte den Kopf: „Das ist wieder mal typisch Magnus Sturm. Immer diese E-Mails. Dein Traum vom papierlosen Büro. Du scheinst der Einzige zu sein, der niemals Papier benötigt.“
Sturm warf ihm eine herumstehende Klopapierrolle zu: „Manchmal brauche sogar ich Papier.“
Er ging hinaus und ließ den verdatterten Bloch einfach im Klo stehen. Er würde sofort anfangen. Dann hatte sein Abteilungsleiter, Magnus Sturm, die Antwort in seiner Morgenkaffeemaillesepause.
Magnus Sturm klopfte an die Tür, die nur angelehnt war.
„Ach, Herr Sturm, kommen Sie nur herein. Er hat gleich Zeit für Sie. Hinsetzen lohnt sich nicht.“
Sturm gehorchte. Der Vorzimmerlöwe des Staatsanwaltes, Ursula Murrmann, war so alt, dass sie vermutlich noch auf einer richtigen, mechanischen Schreibmaschine gelernt hatte zu tippen. Und sie war so alt, dass auf dieser Maschine bestimmt noch der Reichsadler angebracht war. Dennoch hatte ihre Fürsorge und auch ihre Resolutheit etwas von Miss Moneypenny aus den Bond-Filmen. Er, Sturm, kannte nur die alten Filme der Reihe und den letzten, mit diesem Blonden. Sean Connery war sein Favorit. Und dieser Australier der gegen Kojak in den Schweizer Alpen angetreten war. War das überhaupt der Australier?
Er nannte, heimlich versteht sich, Ursula immer Ulla, wenn ihm etwas gegen den Strich ging oder Moneypenny, wenn alles gut lief. Perlhuber wusste das und fand es prima, machte sogar mit. Einmal war ihm Moneypenny sogar mal rausgerutscht. Sie hatte es gelassen genommen und sah sogar aus, als würde sie sich geschmeichelt fühlen.
„Der Herr Staatsanwalt lässt bitten.“
Er nickte Moneypenny freundlich zu und ging ins Büro. Perlhuber war nicht allein. Eine Dame, die er sicherlich nicht beim ersten Hinsehen attraktiv finden würde, und für länger hatte er keine Zeit, und ein bebrillter, großer Mann mit Igelschnitt.
„Magnus, setz dich!“
Schon diese vertraute Ansprache zwischen Staatsanwalt und Unterstelltem gefiel der Dame nicht. Sie wurde ihm als Regina irgendwas vorgestellt. Den Namen des Mannes vergaß er noch schneller. Die beiden seien aus Schwerin und wegen des Toten auf dem Segler hier. Er solle Bericht erstatten.
Aha, also LKA. Wollten die sich einmischen oder übernehmen? Immerhin war es der erste wirkliche Mord in Rostock seit Jahren.
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