Die ganze Tortur dauerte nur wenige Augenblicke, doch für Christopher wirkten sie beinahe endlos. Dann riss der Dämon die feuerrote Rauchsäule ruckartig wieder aus seinem Körper. Obwohl die Schmerzen daraufhin fast abrupt endeten, registrierte Christopher diesen Umstand erst Sekunden später und dann auch nur wie durch einen dichten Nebelschleier aus taubem Schmerz.
Als er zumindest wieder halbwegs klar denken und blicken konnte, sah er in die breit grinsende Fratze des Dämons, der sich an seinem Schmerz – wie auch nicht anders zu erwarten – köstlich weidete. Obwohl Christopher klar war, dass er wohl kaum noch einen Nachschlag würde verkraften können, bäumte sich sein Ego nochmals auf und er wollte der Bestie ihren Triumph nicht gönnen. „Woher weißt du, wo mein G-Punkt liegt, Alter?“ stöhnte er abgehackt. „Noch ein bisschen mehr davon und ich krieg echt einen Steifen!“
Das Grinsen verschwand aus dem Antlitz des Dämons und die toten Augen funkelten verärgert. Daraufhin musste Christopher lächeln, weil er sah und spürte dass seine Worte Wirkung zeigten.
Die Strafe in Form von weiteren furchtbaren Schmerzen folgte auf dem Fuße und während er wieder aus Leibeskräften schrie, wusste er absolut nicht, ob es nicht vielleicht das letzte Mal in seinem Leben war.
Er konnte niemanden sehen, doch Francesco war mehr als klar, dass wachsame Augen seine Schritte beobachteten.
Der Weg zur Burg war eine steinerne Rampe, die in einer sanften Rechtskurve stetig bergauf führte und damit lang genug war, damit dem Alten genügend Zweifel kommen konnten, ob er wirklich das hatte, was alle anderen von ihm erhofften: Einen Plan zur Errettung Christophers.
Aber wie sollte er auch?
Er war schließlich vollkommen unvorbereitet hierhergekommen.
Als er vor nicht ganz einem Jahr auf dem Dach des WTC gestorben war und die ihm bekannte Welt verlassen musste, tat er das beinahe mit einem Lächeln auf den Lippen, weil er glaubte…nein, weil er mehr als sicher war , dass er seine Schuld, die so viele Jahre auf ihm gelastet hatte, vor und mit seinem Tode noch sühnen konnte.
Noch während er den Sog spürte, der ihn fortzog, sah er den Dämon tödlich verletzt in die Tiefe und in das geöffnete Tor zur Hölle stürzen. Letztlich war der Kreatur zwar die Rückkehr in das Reich der Finsternis geglückt, doch hatte sie dafür mit dem Leben bezahlt.
Dann wurde um ihn herum alles gleißend hell und er hatte das Gefühl, irrsinnig schnell durch pures Licht zu rasen. Sein Gehirn wurde dabei vollkommen leergefegt. Wie lange dieser Zustand andauerte, vermochte er am Ende nicht zu sagen, doch irgendwann endete das Licht und er nahm wieder bewusst etwas wahr.
Und er war mehr als überrascht, als er feststellen musste, dass er offensichtlich in den Himmel aufgestiegen war. Dabei verspürte er eine gewisse Genugtuung, dass seine fast lebenslange Jagd nach dem Dämon somit geglückt war und dieser Umstand entsprechend gewürdigt wurde.
Tatsächlich musste er ab diesem Moment keinen Mangel mehr erleiden. Weder körperlich, noch geistig, doch dass er im Himmel gelandet war, stimmte nicht – zumindest nicht ganz.
Denn Francesco konnte die Menschen auf der Erde sehen. Nicht alle, aber doch die, die ihm in seinem irdischen Leben etwas bedeutet hatten – allen voran natürlich seine Frau Francesca. Er sah sie in ihrem Haus in Italien, auf der Terrasse im Licht der untergehenden Sonne, ein Glas Rotwein und etwas Bruschetta auf knusprigem Weißbrot neben sich auf dem Tisch, ihr Strickzeug auf dem Schoss, als sie plötzlich inne hielt, ihren Kopf anhob, auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne starrte, ihr Gesichtsausdruck dabei immer trauriger und schmerzvoller wurde, bis plötzlich ihre Augen zu glänzen begannen und erste Tränen über ihre Wangen liefen.
Francesco sah es, als würde er direkt vor ihr stehen. Unendliche Sehnsucht nach dieser Frau, die er mehr liebte, als alles andere, befiel ihn. Doch schon im nächsten Moment verspürte er wahnsinnige Trauer, großen Schmerz und große Angst…über seinen eigenen Tod. Im ersten Augenblick ziemlich überrascht, erkannte er sehr schnell, dass es nicht seine eigenen Empfindungen waren, die er fühlte, sondern die seiner Frau.
Er konnte sie offensichtlich nicht nur sehen, sondern auch fühlen, was sie fühlte. Und da war ihm klar, dass er wohl keineswegs im Himmel gelandet war, sondern allenfalls in einer Vorstufe davon – eine Art von Fegefeuer vielleicht - und die nachfolgende Zeit sollte zeigen, dass er recht damit hatte.
Sich körperlich jung und kraftvoll und geistig erfrischt fühlend, durchlebte er seelisch echte Qualen, als er die Trauer und den Schmerz seiner Frau um seinen Tod quasi hautnah miterleben musste.
Wobei er sehr schnell auch total überrascht war, als er erkennen musste, dass seine Frau, vor der er in seinem Leben nichts, nur eben die Tatsache um die Geschehnisse mit dem Dämon, verheimlicht hatte, so gut wie alles über diesen furchtbaren Fluch zu wissen schien. Er konnte zwar nur erahnen, wie sie das angestellt hatte, nahm aber an, dass er irgendwann im Schlaf geredet haben musste, sodass sie darauf aufmerksam geworden war und in seinen Unterlagen nachgeforscht hatte, als er wieder einmal auf der Jagd gewesen war. Diese Erkenntnis traf ihn hart und er brauchte ein wenig, um das zu verdauen.
Der nächste Schock aber stand ihm schon wenig später bevor, als seiner Frau von Douglas Maroon offenbart wurde, dass auch seine geliebte Enkeltochter Silvia beim Kampf gegen den Dämon den Tod gefunden hatte. Die Tatsache, dass es genau im Anschluss an seine letzten Bilder, die er noch von dieser Welt im Kopf hatte, geschehen war, bestürzte ihn zutiefst.
Aber als er dann hörte, wie sie gestorben war, wusste er, dass alles ganz anders war, als Douglas und auch Francesca es gerade sahen. Denn jetzt wusste er, dass Silvia eben nicht tot, sondern nur in die Hölle gegangen war. Nicht tot, sondern als lebendes Individuum.
Irgendwie hatte er geahnt, ja fast gewusst, dass Silvia bei der Jagd nach dem Dämon in tödliche Gefahr geraten würde. Deshalb hatte er ihr im Mount-Sinai-Krankenhaus den Custos angelegt. Er hatte die Macht, sie zu beschützen, genau für den Fall, der letztlich auch eingetreten war. Er hätte ihren Tod in dieser Welt nicht verhindern können, wohl aber den beim Übergang in die Hölle und ihrem Dasein dort.
Francesco war so froh, dass Silvia nicht tot war, doch schon im nächsten Moment erlitt er den größten Schock von allen: Er wusste es, aber nicht seine Frau und auch nicht Douglas. Sie dachten, Silvia wäre tot und taten daher nichts, außer zu trauern, anstatt zu versuchen, sie zu befreien.
Francesco wurde fast wahnsinnig, als er sehen und fühlen konnte, was vor sich ging, aber nicht einzugreifen vermochte.
Dann aber kam der Moment, da er Douglas allein sah, wie er in einen dunklen Keller ging und dort einen versteckten, alten, mit Blei massiv verkleideten Tresor öffnete. Und als Francesco sah, was sich dort im Inneren befand, wäre er beinahe ausgerastet vor Aufregung.
Großer Gott, das war die Pyramide, das Tor zur Hölle! Francesco hatte seit seinem Tod keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, sie schlichtweg vergessen. Schon im nächsten Moment wurde er total nervös, weil er sich ausmalte, was mit diesem Artefakt alles möglich war. Silvia, sie konnte gerettet werden, zumindest konnte Jemand zu ihr gehen und ihr sagen, dass das überhaupt möglich war. Der Custos beschützte sie in der Hölle vor dem Tod, doch war dieser Ort sicherlich kein Platz, an dem man auch mit dieser Gewissheit je sein wollte.
Um Silvia jedoch zu retten, brauchte man die zweite Pyramide – das Tor zur Erde. Aber gerade als Francesco über die Tatsache, dass er das wusste, nicht aber die anderen, erneut wahnsinnig zu werden drohte, erklärte Francesca Douglas, seiner Frau Cynthia und Erics Frau Talea (die beide mittlerweile dazugekommen waren), dass sie das Tor zur Erde würden suchen und finden müssen, bevor sie Christopher mit einbezogen, um dann das Tor zur Hölle zu öffnen und machte Francesco damit aufgrund ihres fundierten Wissens erneut sprachlos.
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