Von nun an aber begannen die Dinge in seinem Sinne ins Rollen zu geraten und die Seelenqualen ließen deutlich nach. Ja, Francesco verspürte sogar so etwas wie Erregung und Freude, wenn er sah, was Francesca und ihre Freunde anstellten, um Silvia zu retten. So machten sie Christopher ausfindig und auch das Tor zur Erde. Dass es ausgerechnet Matsumotos Enkel besaß, überraschte ihn sehr, denn er hätte seinem eher schüchternen und zurückhaltenden Freund nicht zugetraut, dass er überhaupt schon Sex gehabt hatte. Mit einem ehrlichen, erfreuten Lächeln musste er erkennen, dass er sich wohl in ihm getäuscht hatte und Matsumotos Wasser offensichtlich sehr tief gewesen waren.
Dann war die Zeit der Vorbereitungen vorbei. Douglas hatte Christopher gefunden und sie alle trafen zusammen. Silvias Freund, von dem Francesco wusste, dass sie ihn trotz all seiner Eskapaden mehr als alles auf der Welt liebte, erklärte sich nach vielem Hin und Her schließlich bereit, durch das Tor zur Hölle zu gehen, während Douglas versuchen wollte, das Tor zur Erde an sich zu bringen.
Ersteres gelang, Letzteres scheiterte – und Francesco erkannte sofort, dass all die Dinge nicht so liefen, wie sie sollten, was ihm auf eine äußerst unangenehme Weise sofort sowas von bekannt vorkam, dass es beinahe wehtat. Dass er aber weiterhin zur Untätigkeit verdammt war, machte ihn erneut total wahnsinnig. Hilflos musste er mit ansehen, was geschah und durchlebte wahre Höllenqualen.
Der Durchgang durch das Tor zur Hölle gelang Christopher, auch konnte er Silvia finden. Die aber hatte sich vollkommen verändert und Francesco wurde schmerzhaft klar, wie sehr sie in der Zeit in der Finsternis gellitten hatte. So kam es, wie es kommen musste. Silvias Liebe zu Christopher war merklich abgekühlt und ein anderer an seine Stelle getreten. Und natürlich musste Christopher sie dabei erwischen, wie sie sich mit Razor vergnügte.
Er sah Christopher das sichere Versteck verlassen, konnte seinen Schmerz fühlen, doch plötzlich gab es einen grellen Blitz und Francesco fand sich an einem vollkommen anderen Ort wieder.
Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war. Das Zimmer, in dem er sich befand, kannte er nicht, aber nachdem er sich umgeschaut hatte, glaubte er zu erkennen, dass es sich um das Dienstzimmer eines Arztes handeln musste. Schon nahm er Geräusche hinter der verschlossenen Tür wahr, die eindeutig darauf schließen ließen, dass es sich um einen Flur handeln musste, in dem Betrieb herrschte und seine Annahme bestätigten. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet und zwei Personen traten ein.
Eine von ihnen – sie trug einen Arztkittel mit der Aufschrift Dr. Palmer - war ihm vollkommen unbekannt, die andere aber kannte er nur zu genau: Es war Howard Freeman!
Francesco erschrak bei seinem Anblick beinahe, denn er hatte nicht damit gerechnet, ausgerechnet jetzt ein Bild aus der Vergangenheit seines Freundes zu sehen, doch als er die äußerst angespannten und ernsten Gesichter der beiden Männer sah, überkam ihn eine dunkle Vorahnung.
„Herrgott Howard…!“ hob der Arzt an, nachdem er hinter Freeman die Tür geschlossen hatte. Sein Gesicht zeigte einen sehr gequälten und unglücklichen Ausdruck und er schwitzte sichtbar. „…ich weiß verdammt nochmal noch sehr genau, was du für meine Familie getan hast. Ohne dich wären sie jetzt tot, hingerichtet von diesem Monstrum in Menschengestalt, dass ich mit eigenen Augen gesehen habe. Und ich weiß auch, dass ich dir dafür mehr als einen Gefallen schuldig bin. Aber…!“ Seine Stimme versagte, er schüttelte den Kopf und schaute Howard flehend an.
„Aber was?“ Howards Stimme klang hart und kraftvoll. „Ich bitte dich nur, mir zu helfen, dem Dämon nicht noch mehr Macht zu verleihen. Ich habe dir erklärt, was geschehen würde, wenn er in seinen Besitz kommen würde!“
Francesco spürte, wie er innerlich verkrampfte. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Es ging um das Tor zum Himmel.
„Ja, ja…!“ Palmer war nervös und zerfahren. „ „Das weiß ich ja alles, aber…warum der Junge?“
Francesco erstarrte.
Howards Blick blieb ausdruckslos. „Auch das habe ich dir erklärt. Das Tor muss an einen reinen Ort gebracht werden. Nur dort ist es vor dem Dämon sicher. Und der Herrgott ist mein Zeuge, ich habe überall nach einem solchen Ort gesucht, aber nirgendwo in dieser verschissenen, verdammten Welt einen finden können. Bis mir klar wurde, dass es keinen reineren Ort geben kann, als ein neugeborenes Kind!“
„Aber…!“ Palmer war sichtlich nicht überzeugt. „…er ist dein Enkelsohn!“
Francesco hielt den Atem an.
Jetzt wurde Howards Blick schlagartig sehr traurig. „Ja, ich weiß das! Aber sag mir Will, sollte ich ein fremdes Kind dafür nehmen?“ Howard schüttelte den Kopf. „Nein, er ist die einzige Möglichkeit, die ich habe. Entweder er…oder wir alle haben verloren. Früher oder später wird der Dämon das Tor finden...!“ Jetzt schaute er den Doktor mit flehendem Blick an. Doch Palmer reagierte nicht und blieb stumm. Daher hob Howard nochmals an. „Der Junge muss doch ohnehin operiert werden…!“
„Ja, aber das ist ein reiner Routineeingriff, eine reine Vorbeugungsmaßnahme. Was du aber verlangst, ist…!“
„Blödsinn!“ widersprach Howard sofort. „Alles, was du tun sollst, ist ihm das Tor dabei einzupflanzen! Ich bin mir sicher, dass ist überhaupt keine Sache für dich. Und für den Jungen auch nicht gefährlich!“
„Mag sein, aber…!“ Palmer sah Freeman direkt an. „Warum da?“
„Das Tor muss so platziert werden, dass es ihn töten würde, wenn man es entfernen wollte. Nur so ist sein Leben geschützt. Wenn er mit dem Tor in seinem Inneren sterben würde, würde es für immer zerstört sein!“
Palmer wollte im ersten Moment etwas erwidern, doch dann blieb er stumm und atmete nur tief durch. Dabei schaute er Howard direkt an. „Okay, ich mache es!“ sagte er schließlich, doch während Howard mit einem erleichterten Lächeln ein sichtbarer Stein vom Herzen fiel, blieb die Miene des Arztes ernst. „Aber damit ist meine Schuld getilgt, okay?“
Jetzt grinste Howard fast im Kreis. „Ja, natürlich, das ist sie!“
Plötzlich flammte ein greller Blitz auf und als er erlosch, fand sich Francescos Geist in der Ebene wieder, auf der Christopher verbittert in die Nacht hinein rannte.
Während er sein schmerzverzerrtes Gesicht sehen konnte, versuchte Francesco die Dimension dessen zu begreifen, was ihm dieser unerwartete Gedankenblitz gezeigt hatte: Howard hatte das Tor zum Himmel in den Körper seines Enkels Christopher einpflanzen lassen und damit tatsächlich jenen reinen Ort gefunden, an dem das uralte Artefakt sicher verbleiben konnte, ohne seine Eigenstrahlung abzugeben, die wie ein Magnet auf den Dämon wirkte.
Für eine kurze Sekunde bewunderte Francesco seinen alten Freund für dessen Weitsichtigkeit, sofort danach aber war ihm klar, in welch unendlich großer Gefahr Christopher in diesem Moment schwebte.
Schon umringten ihn rund zwei Dutzend Dämonen, doch Francesco konnte es sofort erkennen: Etwas stimmte nicht. Sie griffen ihn nicht an, um ihn zu töten, sie griffen ihn an,…um ihn gefangen zu nehmen. Und er konnte es fühlen: Sie taten das, weil… Jemand wusste, was er in sich trug. Ja, Francesco spürte es ganz deutlich: Jemand wusste um das Tor zum Himmel in Christophers Körper und wollte es an sich nehmen . Konnte es möglich sein, dass er in der Lage war, es zu nutzen? Christopher war ganz bestimmt das Paradebeispiel für einen sündhaften Menschen, sein Körper jetzt gerade wohl noch so rein, wie ein New Yorker Bahnhofsklo. Konnte der Schutz mittlerweile nachgelassen haben – so sehr, dass es gelingen konnte, das Tor zu entfernen?
Plötzlich wurde Francesco alles klar: Christopher, nein...sie alle schwebten in einer weitaus größeren Gefahr, als er das bisher vermutet hatte. Wenn es den Dämonen gelingen würde, Christopher gefangen zu nehmen, würden die Konsequenzen alles sprengen, was er sich jemals hätte ausmalen können.
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