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Ehe ich endlich wieder bei Anja war, war der Badezuber verlassen. Ich hatte also den besten Teil verpasst. Trotzdem war ich schnell, wäre ich tatsächlich auf dem Klo gewesen. „Das ging ja fix.“ Mit der Hand wedelnd spielte ich die Sache ein wenig herunter. „Ja, wundert mich auch.“ Verständnisvoll nickend reichte sie mir meinen Umhang, den ich mir bei den doch noch hervorgekrochenen Sonnenstrahlen durchaus hätte sparen können. Aber er gehörte nun mal dazu. Außerdem würde es gegen Abend definitiv wieder kühler werden – und dunkler. Da wollte ich ungern allein zum Auto laufen, nur um den Umhang zu holen.
Wir schlenderten weiter, blieben vor einer der Bühnen stehen, lauschten den rockigen Klängen, klatschten, tanzten und hatten Spaß. Anschließend amüsierten wir uns beim Gaukler. Wenig später beim Puppenspieler, der Märchen in gereimter, alter Mundart vortrug. Ich wusste jedoch auch, dass die Märchen gegen Abend, wenn keine Kinder mehr anwesend waren, ein wenig… spezieller wurden. Gegen zwanzig Uhr spürte ich meine Füße recht deutlich und war froh, als endlich ein Plätzchen auf einer der Bänke frei wurde. Zur Not hätte ich mich auch auf den Rasen gesetzt, aber dank des Korsetts, würde ich dabei an Sauerstoffmangel sterben. Oder zwar überleben, aber nicht mehr hochkommen.
Nicht ohne Kran!
Oder ohne mich zu blamieren.
Verdammt, wie hatten die feinen Damen früher gepicknickt? Und wer hatte sie anschließend von der Wiese gepflückt? „Ich habe mir bestimmt eine Blase gelaufen.“, jammerte ich, während ich meine schmerzenden Waden massierte, „Und ich bin zehn Zentimeter geschrumpft. Ganz ehrlich.“ Anja hob eine ihrer schön geschwungenen Augenbrauen, um die ich sie heftig beneidete. „Das kommt dir nur so vor. Außerdem ist es wissenschaftlich belegt, dass ein Mensch am Morgen größer ist als abends.“ Ich zog eine Schnute und bedachte Anja mit einem Dackelblick. „Ist ja schon gut. Ich gehe. Met?“ Ich nickte strahlend, streckte meine Beine aus – wenn jemand drüber fiele, wäre es mir egal – und freute mich des Lebens.
Roman war ruhig, was hieß, dass er immer noch mit dem Dämon beschäftigt war. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, wusste ich nicht. Doch ich war optimistisch. Roman konnte ziemlich überzeugend sein. Notfalls indem er nervte. Allerdings kannte ich diesen Sael nicht. Dennoch: Was wollte er einem Geist schon antun? Ihn wegpusten?
Ich bezweifelte, dass dies funktionierte.
Andererseits: Was wusste ich schon von Geistern und Dämonen?
Anja stellte den Krug neben mich, setzte sich, woraufhin ich mich bedankte und ihr versicherte, das Geld später zu begleichen. „Geschenkt. Ich bin heute nett. Und freizügig… Du musst mich jetzt sofort lieb haben!“ Wehmut überkam mich, als ich daran dachte, dass auch Anja nicht wissen würde, was mir passierte, wenn ich tatsächlich in ein paar Tagen verschwand. Ich umarmte sie, vielleicht ein wenig heftiger und länger, als sie erwartet hatte. „Geht’s dir gut?“ Es war niemand in Hörweite, die Situation war optimal. Aber sollte ich das wirklich tun? Es kam dem ersten Sprung in tiefes Wasser ziemlich nah; das Gefühl, jemandem etwas anzuvertrauen, was – theoretisch – nicht möglich war. „Ja. Und Nein. Nur weiß ich nicht, ob das hier der richtige Ort ist, um darüber zu reden. Trotzdem, ich bin gerade allein und vielleicht bekomme ich die Gelegenheit nie wieder.“
Skeptisch sah Anja mich an und runzelte die Stirn. „Allein, soso. Hast du sonst einen mitlaufen?“ Das kam meiner Begleitung durch Roman schon ziemlich nah. „Ja, kann man so sagen.“ Sie musterte mich kritisch, als erwartete sie, dass mir ein zweiter Kopf wuchs. „Erzähl.“
„Glaubst du an Geister?“
„Ja, wieso?“
„Hast du schon mal einen gesehen? Oder gehört?“
„Nein. Aber du?“ Ich nickte vorsichtig und wartete ab, ob Anja möglicherweise in Gelächter ausbrach. Doch das tat sie nicht. „Echt?“ Ich nickte abermals. „Momentan ist er beschäftigt.“
„Womit?“
“Er spricht mit einem… Mann.“ Fast hätte ich Dämon gesagt. „Ist er schwul?“ Wusste ich nicht. Glaubte es jedoch nicht. „Eher verzweifelt.“
„Sind wir das nicht alle?“
„Er kommt aus der Zukunft.“ Anjas ‚Oh!’ klang fasziniert, aber nicht ungläubig. „Du glaubst mir?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ja. Sollte ich das nicht?“ Spring , sagte ich mir, aber noch traute ich mich nicht, sie auf ihre mögliche Andersartigkeit anzusprechen. Ein Geist war eine Sache, doch das andere war persönlich. „Was will er von dir?“ Tja, was wollte Roman und wie sollte ich es ihr verklickern? „Ich bin quasi sein Dolmetscher, da ich offenbar die Einzige bin, abgesehen von dem Mann, mit dem er gerade spricht, die ihn hören kann. Und außerdem…“, ich sah Anja direkt in die Augen, „… versucht er, mich zu retten.“ Anjas Augen wurden erst riesig, dann verzog sich ihr rosiger Mund und schließlich fing sie an zu lachen. „Okay, sorry, tut mir leid. Er rettet dich. Als Geist. Vor was? Vor Sven? Will er ihn erschrecken?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Die Geistersache ist ein Problem, das er nicht einkalkuliert hat.“ „Und das andere?“ „Tja, er weiß nicht, was genau passiert. Er weiß nur, dass ich am 20. August verschwinde und niemand in der Lage sein wird, mich oder meine Überreste zu finden.“ Anja schluckte und trank einen großen Schluck aus meinem Krug. „Sag sowas bitte nicht, Briony. Damit spaßt man nicht.“ Ich seufzte. „Ich wünschte, es wäre Spaß. Und glaube mir, ich habe Angst. Aber was soll ich tun?“ „Was, wenn er dich für etwas benutzt?“ „Was, wenn er die Wahrheit sagt?“ Anja schwieg einen Moment und hakte dann nach. „Vertraust du ihm? Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, dass er nicht lügt? Ich meine, ja, Sven ist eine Plage. Aber glaubst du ernsthaft, er könnte dir etwas tun?“ Wenn ich ehrlich war, ich wusste es nicht. „Er droht mir, Anja. Ich habe verdammt oft Sprüche auf dem Anrufbeantworter, die könnten einem Psychothriller entsprungen sein.“ Anja nickte. „Vielleicht gaukelt dir dein Verstand deshalb diesen Geist vor? Als Ritter in schimmernder Rüstung?“ Das wäre möglich. Aber wie erklärte ich mir dann die Pir und diesen Sael? „Ich habe… Beweise. Unglaubliches. Und…“, ich holte tief Luft, „… du müsstest wissen, wovon ich spreche.“ Ein wenig sah es aus, als würde Anjas Gesicht einschlafen. „Was? W-wovon sprichst du?“ Wenn ich das nur wüsste! „Roman, also der Geist, behauptet, du bist anders. Er sagt, in seiner Zeit gibt es eine neue Menschenspezies, die sich movere nennt. Sie alle haben besondere Fähigkeiten und du scheinst einer dieser Menschen zu sein.“ Ich hatte, wie auch Anja, meine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. „Woher will er das wissen?“ „Soweit ich weiß, unterscheidet sich der Geruch eines movere von dem eines normalen Menschen.“ Ich malte kleine Gänsefüßchen in die Luft. Sie seufzte, was für mich nach einer Erleichterung klang. „Glaub mir, ich wollte es dir sagen. Aber ich hatte Angst, wie du reagieren könntest.“ Dafür hatte ich vollstes Verständnis. „Du bleibst trotzdem meine Anja. Immer. Aber bitte, geh damit nicht hausieren. Laut Roman wird es zu einer Revolution kommen, die furchtbar, furchtbarer, am furchtbarsten ist. Wenn du also irgendwann Kinder hast und sie so sind wie du, pass auf sie auf. Versprich mir das!“ Anja nickte schluckend, wobei ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. „Hey, du Heulsuse. Hör auf, sonst fange ich auch noch damit an.“ Sie umarmte mich und drückte mich so fest, dass ich fast glaubte, noch ein zweites Korsett zu tragen. „Willst du wissen, was ich kann?“, flüsterte sie in mein Ohr und wartete gespannt auf die Antwort. „Darauf kannst du wetten!“ Ich fühlte, wie sie nickte. „Ich zeige es dir. Aber nicht hier, ok?“ Ich konnte es kaum erwarten. Im Gegenzug musste ich ihr natürlich alles erzählen, was ich von Roman wusste. Und da sie ihr Geheimnis stets für sich behalten hatte, wäre auch dieses bei ihr gut aufgehoben war.
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