Ooo-kay, der Typ las offenbar ebenso meine Gedanken wie Roman, der Geist. Wo war der eigentlich? „Ich bin hier, keine Sorge, Briony“ Keine Ahnung, warum ich erleichtert war. Aber ich war es. „Nun, bevor wir auf das zu sprechen kommen, was der Geist von mir will, erzählen Sie mir etwas von sich.“ Ich hörte Roman fluchen, aber offenbar wollte er nicht, dass ich widersprach. Und ich für meinen Teil würde dem nichts entgegensetzen. Denn hier war ich auf fremdem Territorium und kein bisschen mutig.
Also begann ich, von mir erzählen.
Ich plapperte einfach immer weiter, da ich vor lauter Nervosität nicht wusste, wann ich aufhören sollte. „Sie sind interessant. Ein normaler Mensch, ohne veränderte Gene, hört einen Geist, der behauptet ein Pir zu sein, der aus der Zukunft kommt. Noch dazu ein Pir, der zur Hälfte Briam ist, was an und für sich utopisch genug ist.“ Mein Versuch zu lächeln scheiterte kläglich. Obwohl dieser Stépan vermutlich der schönste Mann war, den ich je gesehen hatte, fühlte ich mich in seiner Gegenwart nicht sonderlich gut aufgehoben.
Die Hälfte dessen, was Roman mir erzählt hatte und dieser Mann nun wiedergab, obwohl ich die letzte halbe Stunde nur über mich gesprochen hatte, begriff mein Verstand sowieso nicht. Aber mir war aufgefallen, dass er mich als normalen Menschen ohne veränderte Gene bezeichnete. „Heißt das, es gibt bereits Menschen, die anders sind?“ Stépan nickte kaum merklich. „Natürlich. Nur weil die Wissenschaftler deiner Art diese Veränderung noch nicht bemerkt haben, heißt das nicht, dass sie nicht bereits vorhanden ist. Evolution findet nicht von heute auf morgen statt.“ Das wusste sogar ich. Aber ... Oh man, irgendwie wäre ein kleiner Nervenzusammenbruch jetzt genau das Richtige.
„Nun, was auch immer dein Pir aus der Zukunft, der momentan in diesem bedauerlichen Zustand ist, von mir möchte, er muss sich ein wenig gedulden. Ich befürchte, dass momentan kein guter Zeitpunkt zum Reden ist. Er wird wissen, was ich meine. Am Freitag wäre es passend. Sagen wir zum Mittag, Punkt 12.“ Das war keine Frage gewesen, sondern eine Festlegung. Mein Einverständnis wurde vorausgesetzt. Er drehte seinen Kopf zur Tür, in der kurz darauf der rothaarige Mann erschien. „Ian bringt Sie zurück.“ Noch ehe ich fragen konnte, wie ich am Freitag zu ihm kommen sollte, ob mich jemand abholte oder dass ich erst in meinen Terminplan schauen müsste – haha – stand ich wieder in meiner Wohnung und taumelte gegen die Flurwand. Mein Magen schlug mehrere Purzelbäume. Meine Beine fühlten sich an, als hätte ich vier Flaschen Wodka auf Ex getrunken. Hah! Mir würde sicher schon eine reichen, um nicht mehr stehen zu können. Himmel, Herr Gott nochmal, war mir schlecht. Von dem rothaarigen Riesen mit Engelsgesicht fehlte jegliche Spur. Romans Stimme sprach beruhigend auf mich ein. „Es wird gleich besser, Briony. Dein Körper braucht nur einen Moment, um die molekularen Dissonanzen auszugleichen.“ Die molekularen … Was auch immer! Ächzend stieß ich mich von der Wand ab und konzentrierte mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. „Bleib bloß draußen!“, fauchte ich dem Romangeist entgegen, bevor ich ins Bad stolperte, mit der festen Absicht, mich nicht vor seinen Geisteraugen zu übergeben. Der Geruch des Haders, mit dem ich heute Morgen die kläglichen Reste vom Balkon aufgewischt hatte, gab mir den Rest. Ich schaffte es trotzdem rechtzeitig, den Klodeckel hochzuklappen und mich hinzuknien. Was für ein Glück, dass ich noch kein Abendbrot gegessen hatte!
Anschließend spülte ich mir den Mund aus, wischte ihn ab und warf den Hader mit spitzen Fingern in die Waschmaschine, bevor ich mir gründlich die Hände wusch. Ich fühlte mich besser. Vor allem hatte ich nicht mehr das Gefühl mit Gummibeinen auf Rollschuhen zu stehen. Na ja… ich machte auch ohne Gummibeine eine eher klägliche Figur auf diesen Dingern. Am Freitag würde ich mir definitiv ein Taxi nehmen oder Anjas Auto borgen. Ich wollte diesem Stépan auf keinen Fall vor die Füße kotzen.
Obwohl ihm das ganz Recht geschähe.
Das Zittern hörte auf. Recht gelassen trabte ich in die Küche, in der ich mir als erstes einen Schluck Wasser gönnte. „Geht es dir besser?“ Ich nickte. „Danke, ja. Erzähl mir von dir.“ Hauptsächlich forderte ich ihn dazu auf, weil ich die unangenehme Stille füllen wollte. Doch ein kleiner Teil von mir war neugierig, wie sein Leben aussah. „Was willst du wissen?“ Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern, während ich im Kühlschrank Ausschau nach etwas Essbarem hielt. „Irgendwas. Hast du Familie, Frau, Freundin, Kinder? Einen Beruf, Hobbys? Leichen im Keller?“ Eine ganze Weile hörte ich lediglich ein gluckerndes Geräusch, dass ich als zurückgehaltenes Lachen interpretierte und verdrehte die Augen. „Meine Güte, dann lass es. Ich werde dich nicht mehr danach fragen. Von mir aus kannst du in deinem Zeitalter in quer gestreiften Plastiktüten über die Straßen laufen und der Sonne huldigen. Oh, ich vergaß, Vampire und Sonne vertragen sich nicht. Gilt das auch für Pir?“ Ob es ihn stört, wenn ich die nächsten Tage irgendetwas mit Knoblauch koche? Jetzt wurde das Lachen noch lauter. Regelrecht schallend. Er bekam sich gar nicht mehr ein. Mit einem immer noch hörbaren Glucksen äußerte er sich zu meinem für ihn anscheinend ständig lauten Gedanken. „Tue dir keinen Zwang an zu kochen, was immer du willst. Ich persönlich liebe Knoblauch, auch wenn ich nichts Grünes esse. In der Hinsicht bin ich ziemlich wählerisch. Die Sonne stört weder Vampire noch Pir. Das ist dummer Aberglaube, den sich die Kirche vor Urzeiten ausgedacht hat, um die Menschen in Sicherheit zu wiegen. Obwohl die vermutlich nie einem echten Vampir oder Pir über den Weg gelaufen sind. Und falls doch, haben sie es entweder vergessen oder gar nicht überlebt. Auch diverse andere vermeintliche Hilfen sind nutzlos. Silber, Pflöcke, fließendes Wasser, Weihwasser, Kirchen, Kreuze oder die Einladung, eine Wohnung zu betreten. Alles Humbug. Wir sind keine verwandelten Menschen, Briony. Wir sind eine andere Rasse. Ihr Menschen stammt von den Affen ab; wir Vampire von Dämonen. Man kann uns verletzen, wenn man schnell genug ist, aber … Nun, das willst du nicht wissen. Du solltest deine Weltanschauung zumindest für den Augenblick, in dem du mich an deiner Seite hast, grundlegend überdenken.“ Nur für den Augenblick ? Herrje, er eröffnete mir eine völlig neue Welt und erwartete von mir, dass ich sie innerhalb eines Fingerschnippens akzeptierte? Zugegeben, billigen musste ich sie, nachdem ich gesehen hatte, wie Stépan und der andere sich einfach durch die Gegend zappten. Oh, nicht zu vergessen: auch mich. Oder seitdem ich mit einem Geist sprach, der erwiesenermaßen sehr real war. Aber das hieß nicht, dass ich es auf der Stelle begreifen musste! So viel Fassungsvermögen hatte mein Kopf nicht. Die Informationen mussten ein wenig sacken, bevor er mir neue geben konnte. Sofern sich das alles nicht als ein abgekartetes Spiel mit einer Menge Statisten entpuppte, was ich ebenfalls für eine plausible – wenn auch leicht paranoide – Erklärung hielt. Wer sollte sich denn eine derart kostenintensive Vorstellung leisten können? Die Antwort lag mir auf der Zunge, bevor ich den Gedanken zu Ende dachte. Sven. Er schwamm zwar nicht unbedingt in Massen von Geld, aber als Bankkaufmann verdiente er sehr viel mehr als ich. Trotzdem lag das Unwahrscheinliche näher an den in zu Betracht ziehenden Möglichkeiten. Denn selbst mit einem ganzen Zug voller Gold war das Beamen aus dem Sichtwinkel der Normalität nicht erklärbar. „Teleportieren, nicht beamen.“, korrigierte mich der Geist. Mir schwirrte der Kopf. So hatte ich mir den Beginn meines Urlaubs weiß Gott nicht vorgestellt. Das würde ein ziemlich vermasselter Urlaub werden. Zum Glück war ich Sven nicht begegnet. Wenn auch seine Sprüche auf dem Anrufbeantworter, den ich tagsüber anschaltete, immer derber wurden. Zähne knirschend löschte ich seine Drohungen und den gequirlten Mist, den er sich in seinem verkorksten Hirn zusammenreimte. „Wenn ich über einen Körper verfügte, würde ich mich dieses Problems annehmen. Aber mir sind leider die Hände gebunden, Briony.“ Ich wusste seine Anteilnahme zu schätzen. Doch wie er es bereits sagte: Ohne Körper konnte er nichts gegen Sven ausrichten. Oder doch? „Kannst du ihn nicht irgendwie in Besitz nehmen?“ Hoffnungsvoll sah ich in die Richtung, in der ich Roman vermutete. „Ich bedaure. Selbst wenn, fehlt mir die Kenntnis, wie ich das anstellen soll.“ Zumindest hatte ich gefragt. Vielleicht sollte ich diesem Stépan einen dezenten Hinweis geben? Sozusagen einen kleinen Wink mit dem Zaunpfahl oder notfalls auch mit dem gesamten Gartenzaun. Irgendwie zweifelte ich jedoch daran, dass dieser mir aus reiner Nächstenliebe diesen Gefallen erwies. Er hatte keinen Grund dazu. Ich war nur der Überbringer einer Nachricht, quasi ein Briefumschlag und somit entbehrlich. Er war zu überhaupt nichts verpflichtet, was mir mit Erschrecken bewusst wurde. Mitsamt der nächsten Erkenntnis, dass nicht vereinbart worden war, dass ich unversehrt aus dieser Sache heraus käme. Was, wenn mich Stépan zum Mittag einlud, weil er mich als solches betrachtete? Bei der Vorstellung wurde mir ganz schlecht.
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