Briony, komm mit. Ich habe einen Ker-Lon entdeckt. Na der war witzig. Und wie sollte ich das anstellen? Was weiß ich, lass dir was einfallen. Aber schnell! „Anja? Ich… äh… muss mal kurz wohin. Wartest du hier?“ Sie nickte. „Soll ich deinen Umhang halten?“ Eigentlich war das nicht notwendig. Aber da sie annahm, dass ich auf Toilette ging, wäre es unklug abzulehnen. „Ja, danke dir. Bin gleich wieder da.“ Eiligst hetzte ich durch die Massen in die Richtung, in die Roman mich dirigierte. Da vorn, siehst du ihn? Groß, Hut, Trenchcoat. Ich sah ihn. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ein Dämon war. Hallo? Er sah aus wie ein verstaubter Detektiv aus einem Schwarz-Weiß-Film. Beeil dich! Was dachte er, was ich hier machte? Einen Spaziergang? Rufe ihn! Sein Name ist Humphrey, falls er den schon benutzt. Der Name passte wie die Faust aufs Auge. „Humphrey, warten Sie!“ Entweder war der Kerl taub oder meine Stimme zu leise. Versuch es mit Sael. Meinetwegen konnte er Picard heißen! Aber falls Roman dachte, ich würde sämtliche Namen mit ihm durchgehen, lag er falsch. „Sael, verdammt nochmal. Rennen Sie nicht so!“ Mister Trenchcoat blieb abrupt stehen und drehte sich ganz langsam zu mir um. Fast erwartete ich, ein grässliches Gesicht mit geschlitzten Augen zu sehen. Oder zumindest irgendetwas Schleimiges. Oder Schuppiges. Ich entdeckte nichts dergleichen. Dafür stahlgraue Augen, die vor Energie sprühten. „Kennen wir uns?“, fragte er mit einer tiefen Stimme und einem angenehmen, britischen Akzent. „Äh… nein. Noch nicht.“ Und falls Sie nicht wirklich ein Dämon sind, möchte ich auf der Stelle im Erdboden versinken. Roman zischte nah an meinem Ohr, während ich wartete, ob sich der Erdboden auftat. „Der Erdboden wird sich nicht auftun.“ Oh, vielen Dank auch für die rechtzeitige Warnung, dass der meine Gedanken ebenfalls hören konnte! Er packte mich am Ellenbogen und im nächsten Augenblick stand ich in einem dunklen Kellergewölbe. Verdammt, ich hasste das! Fluchend, mit ausgestreckten Armen tastete ich nach den kaum erkennbaren Wänden und stützte mich ab, da meine Beine viel zu wackelig waren. „Was wollen Sie?“ Zuallererst einmal wollte ich ihm nicht auf die Schuhe kotzen, aber das war sicher nicht der Grund seiner Frage. Ich für meinen Teil wollte gar nichts von ihm. „Ich… na ja… äh, habe da ein winziges Problem mit einem Geist.“ Wo genau der Mann stand, wusste ich nicht. Seine Stimme jedenfalls schien von überall her zu kommen. „Das ist nicht mein Problem, sondern Ihres.“ Zähneknirschend stampfte ich mit dem Fuß auf. „Das sagen Sie ! Ich könnte gut und gern auf seine Anwesenheit verzichten. Aber da ich anscheinend die Einzige bin, die ihn hört und er unbedingt möchte, dass ich Ihnen ein paar Fragen stelle, tue ich das lieber. Wissen Sie, er kann sehr nervtötend sein.“ Das Rascheln des Mantels verriet mir, dass er näher kam. „Ich bin nicht auf Geister spezialisiert.“ Ich etwa? „Sag ihm, dass ich ein Briam bin.“, wies Roman mich an. Tja, das wollte ich gerade tun, als Sael auf Roman reagierte. „Ein Briam? Wieso kontaktierst du einen Menschen?“ Bloß gut, dass der Mann meinen verblüfften Gesichtsausdruck nicht sah. Obwohl… möglicherweise konnte er im Dunkeln sehen? „Sie hören ihn?“ Zugegeben: Selbst wenn er mein dummes Gesicht nicht sah, würde er es an meiner sich überschlagenden, leicht quietschenden Stimme erkennen. „Natürlich.“ Gerade so konnte ich ein hysterisches Kichern unterdrücken. „Heißt das, Sie unterhalten sich mit ihm allein? Ich kann gehen?“ Sein Einverständnis kam sehr rasch. „Schön, dann beamen Sie mich doch bitte wieder zurück.“ So viel Zeit würde er wohl haben. „Mädchen, gehen Sie einfach den Gang geradeaus, um die Ecke und durch die Tür. Dann stehen Sie direkt im Burghof.“ Haha. „Ich sehe noch nicht mal die Hand vor meinen Augen, Sie Scherzkeks!“ Eine starke, warme Hand ergriff meine und drückte mir ein Feuerzeug hinein. „Sie können es behalten. Gehen Sie.“ Bevor ich loslaufen konnte, fasste er mich an den Schultern und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung. „Da lang.“ Ich murmelte ein leises Dankeschön und stapfte davon. Wuuhuuh! Dafür, dass ich eben einem leibhaftigen Dämon begegnet war, hielt ich mich doch ganz, ganz großartig.
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Sael sprach Roman in einer sehr alten Sprache an, die dieser nur bruchstückenhaft verstand. „Warte. Ich bin ein Briam, aber deine Sprache verstehe ich kaum. Sprich bitte Deutsch mit mir.“ Sael gab einen knurrenden Laut von sich, der Roman sogar in seinem jetzigen Zustand eine Gänsehaut bescherte. Sofern das möglich war. Doch er hätte schwören können, dass er sie spürte. „Du bist ein Briam, sprichst unsere Sprache nicht und brichst die Regeln! Wie erklärst du mir das?“ Sael war wütend und Roman wirklich froh, dass er seine Wut nicht an Briony ausgelassen hatte. „Willst du die lange oder die kurze Version hören?“ Sael reichte die kurze. „Ich wurde als Vampir geboren, wurde zum Briam und später zum Pir. Dies hier ist mein erster Zeitsprung und abgesehen davon, dass ich die Magie der Ker-Lon beherrsche, verfüge ich über keinerlei Wissen darüber oder über die Regeln.“ Sael holte tief Luft und sah Roman genau in die Augen, wenn dieser das auch für puren Zufall hielt. „Ein Vampir, der zum Briam wird. Interessant. Eine ähnliche genetische Mutation, wie bei den Menschen, gibt es also auch bei euch?“
Roman wusste nicht, ob dies ein Grund für seine Abweichungen war, denn er kannte keinen anderen Vampir, der war wie er. Trotzdem hielt er es für möglich. „Wieso hat deine Saphi dich nicht aufgeklärt?“ Roman räusperte sich. „Sie ist tot.“ Saels wortlose Akzeptanz überraschte Roman nicht. „Warum hast du einen Zeitsprung gemacht? Willst du die Vergangenheit verändern? Das ist verboten. Die Konsequenzen sind nicht tragbar und stören das Zeit-Raum-Gefüge.“ Roman nickte. „Ich recherchiere. Die junge Frau, die du eben kennengelernt hast, wird am 20. August spurlos verschwinden und niemand weiß, was passiert ist. Ich versuche, dies herauszufinden.“ Außerdem erwähnte er, dass er vorhatte den Tod einer anderen zu verhindern. Ihren Namen verschwieg er vorsichtshalber. Man konnte nie wissen, woran sich dieser Ker-Lon in ein paar Jahrzehnten noch erinnerte. „Lass das!“ Sein ganzes Sein sträubte sich gegen diese Aufforderung. Und so sagte er das, was ihm auf der Zunge lag. „Das kann ich nicht. Sie ist eine der veränderten Menschen. Wir nennen sie movere . Und sie ist eine Saphi. Durch ihre Fähigkeiten hat sie einen Teil ihres Briam als neue Fähigkeiten hinzugewonnen. Ihr Herz verkraftet das allerdings nicht, was unweigerlich zu ihrem Tod führen wird, weil es niemand ahnt. Sie ist mit mir verbunden. Wäre ich nicht im Todesschlaf gewesen, um zum Pir zu werden, hätte ich es gespürt. Verstehst du, was ich meine? Es war nicht ihr Schicksal zur Saphi zu werden. Darum kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es ihr Schicksal war, zu sterben.“ Sael sagte eine Zeit lang nichts. „Woher weißt du, dass es nicht ihr Schicksal war?“ Wenigstens musste er bei einem Dämon seine Worte nicht mit Bedacht wählen, und er erzählte Sael von Sams Freundin, die ihr als Geist erschienen war. Sam hatte ihm das irgendwann einmal beiläufig erklärt. Oder war es sogar Alan gewesen? Roman erinnerte sich nicht genau. „Verstehe.“, murmelte der Dämon, den Roman anders in Erinnerung hatte. Die Narbe fehlte. Vermutlich hatte er sie sich während der Revolutionen zugezogen. Oder war ein Teil seiner späteren Tarnung. Wenn er es recht bedachte, hatte er auch immer angenommen, der Trenchcoat gehöre zu Saels Tarnung. „Wie hieß deine Saphi?“ Roman wurde nachdenklich. Er würde möglicherweise zu viel sagen. „Ich bin mir nicht sicher, ob du das wissen solltest.“ Der Dämon brummte und griff direkt nach seinem Hals, was Roman die nicht benötigte Luft rätselhafterweise dennoch abschnürte. „Antworte mir!“ Abrupt ließ er ihn los. „Wie hast du das gemacht? Kannst du mich sehen?“ Sael lachte. „Ich spüre und sehe deine Energie. Von Anfang an war mir klar, dass du da bist. Aber ich wollte sehen, was die Menschenfrau sagt. Und jetzt antworte mir!“ Roman konnte den Namen seiner Saphi nicht offenbaren. Der Frau, die ursprünglich für Sael vorgesehen war. „Das würde die Zukunft verändern. Dessen bin ich mir sicher.“ Sael lachte erneut. „Zumindest lernst du.“ Roman schnaubte. „Sieht so aus.“ Das Lachen verstummte. „Du kennst mich in der Zukunft persönlich?“ „Du bist ziemlich neugierig für jemanden, der die Regeln kennt.“ Sael stimmte ohne großes Überlegen zu. „Du kennst mich also aus der Zukunft. Wie ist unser Verhältnis? Sind wir Freunde oder Feinde?“ Roman kratzte sich an seinem nicht vorhandenen Kopf. „Deine Saphi war meine beste Freundin. Also danach. Später. Herr Gott, das ist verzwickt!“ Sael nickte angespannt. „Gut. Das reicht mir. Also, frag, was du wissen willst.“ Roman tat es äußerst ungern. Doch wenn er eine Chance haben wollte, sowohl Sam als auch Briony zu retten, musste er mit dem Ker-Lon kooperieren. Zur Not hätte er rostige Nägel gegessen, wenn er Sam damit helfen könnte.
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