1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Fast wäre es mir gelungen.
„Briony, hab keine Angst. Ich tue dir nichts.“ Ich schrie und stürzte panisch ins Bad, das ganz am Anfang des Flurs lag. Darin schloss ich mich ein. Zu blöd, dass die Stimme in der Lage war durch Wände zu gehen. „Husch, verschwinde!“, kreischte ich und wedelte hysterisch mit den Händen, was mir ein Lachen der Stimme einbrachte, die – zu allem Überdruss – verflucht sexy klang. Prima, ich hörte also Geister. Oder ich war reif für die Klapsmühle. Keine der beiden Optionen war sonderlich erquickend. Vielleicht half mir eine kalte Dusche? Andererseits, wenn der Geist echt wäre, würde er mich nackt sehen. Ha, spätestens dann würde er grölend das Weite suchen. Ene, mene, Muh… Wer wagt, gewinnt… Soll ich oder soll ich nicht, das ist hier die Frage …
Nein, dafür war ich viel zu schüchtern. Ich würde mich ganz sicher nicht vor einem Geist entblättern, der mich heimsuchte. Selbst wenn er das nur in meiner Vorstellung tat, denn real konnte diese Heimsuchung unmöglich sein. Ich glaubte nicht an solchen Firlefanz wie Gespenster. Dann schon eher an Außerirdische. Mit lustig blinkenden Antennen und Glubschaugen. Und einem todschicken UFO, das mit allerlei technischem Schnickschnack ausgestattet war. Unglücklich atmete ich tief aus und wieder ein, während ich die Stimme ignorierte und bis hundert zählte. „Du kannst mir auch zuhören statt zu hoffen, dass ich nach der nächsten Zahl verschwinde.“, lachte die Stimme leise, was mich freudlos schnauben ließ. So fing der Wahnsinn an. „Warum ich? Kannst du dir nicht eine andere suchen, bei der du spukst?“ Die Stimme lachte nun lauter. „Ich spuke nicht, ich bin. Zwar körperlos, aber durchaus real. Und ganz sicher kein Geist oder ein Anzeichen für Wahnsinn.“ Hatte ich das laut ausgesprochen? „Hör mal, Robert…“
„Roman.“, verbesserte mich die Stimme. Ich winkte ab. „Wie auch immer. Ich bin müde, ich habe Hunger und bin wirklich nicht in der Gemütslage, mich mit einem körperlosen Individuum auseinanderzusetzen. Hättest du also die Güte und würdest gnädigerweise verschwinden?“ Es kam mir so vor, als knurrte die Stimme, was ich mir sicher nur einbildete. „Könnte ich schon, will ich aber nicht. Wenn du möchtest, lasse ich dich kurz allein, damit du dich frisch machen kannst. Aber dann müssen wir reden. Dringend. Es geht um Leben oder Tod.“ Wie theatralisch!
Ich rollte mit den Augen, was die Stimme schnauben ließ, während sie mir empfahl ihr zu glauben. Na aber sicher doch! Genauso gut könnte ich an den Weihnachtsmann oder den Klapperstorch glauben. Mürrisch kniff ich meine Lippen zusammen, damit er meine knirschenden Zähne nicht hörte. So zu tun, als ob die Stimme nicht existierte, stand außer Frage. Sie würde einfach so lang weiter reden, bis ich kapitulierte. Auch wenn sie nur in meiner Einbildung existierte. Aber wie bitteschön knebelte ich meiner Fantasie die lose Zunge? „Gut, wir reden dann. Sobald ich hier fertig bin.“ Die Stimme blieb ruhig.
Entweder war der – haha – Geist wirklich verschwunden oder spielte den stillen Spanner. Erst wollte ich mir aus reiner Vorsicht nur ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht werfen, doch dann entsann ich mich eines Besseren. Ich würde mir doch nicht von einem Geist – einem Geschöpf meiner überstrapazierten Nerven – meine Feierabenddusche verderben lassen!
Meine eigene Dummheit verfluchend zog ich mich aus und stellte mich unter die lauwarme Dusche. Um ganz kalt zu duschen war ich nicht hart genug, aber das lauwarme Wasser kühlte mich ausreichend ab. Herrlich entspannend prasselte es auf meinen müden, erhitzten Körper und wohltuend massierend auf meine Kopfhaut. Verklärt lächelnd seifte ich mich ein, wusch meine Haare und spülte mich gründlich ab. Am liebsten hätte ich Stunden unter der Dusche gestanden, doch ich hörte erstens meinen Magen knurren und zweitens mein Bett schreien. Schnell rubbelte ich mich trocken, föhnte meine Haare und schlüpfte in den weißen Bademantel. Vorsichtig öffnete ich die Tür, streckte meinen Kopf hinaus und lauschte.
Nichts.
Totenstille.
Bis auf das Ticken meiner Küchenuhr, die ich von hier aus sogar sehen konnte. Barfuß huschte ich über den Flur in meine halb offene Küche, horchte abermals, holte mir eine Flasche kaltes Wasser aus dem Kühlschrank, samt zwei Tomaten und dem Rest einer Gurke, woraus ich mir im Handumdrehen einen kleinen Salat zauberte. Eigentlich war ich viel zu müde zum Essen, aber mit knurrendem Magen schlief ich schlecht. Nur mit Mühe hielt ich ein Quieken zurück, als ich die Stimme direkt neben mir vernahm – der Geist hockte an meinem Küchentisch… oder stand neben meinem Stuhl… Natürlich verstreute ich ein paar Tomatenstücke, aber die Gabel hielt ich fest umklammert. Konnte man einen Geist mit der Gabel erstechen?
Vermutlich nicht.
Mit erhobener Gabel und fest entschlossener Miene brachte ich die Stimme zum Schweigen. Ein böser Blick wäre auch nicht übel gewesen, aber dafür hätte ich wissen müssen, wohin ich schauen sollte. „Klappe halten. Ich esse. Und dann gehe ich schlafen. Von dir will ich vor morgen früh keinen Mucks hören, sonst rufe ich die Geisterjäger an. Die buchten dich ein, ohne dass du eine Chance hast, je wieder irgendwo zu spuken!“ Die Stimme gluckste, blieb aber ruhig. Mein Bluff funktionierte, was mich derart freute, dass ich zufrieden grinste.
Geisterjäger, so ein Schwachsinn!
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Roman war alles andere als amüsiert. Er musste mit dieser Frau reden und die hatte nichts Besseres zu tun, als sich einzureden, er sei ein Geist, den sie mit irgendwelchen erfundenen Spukhaschern ärgern konnte. Vielleicht war er wirklich ein Geist. Doch ihm bekannte Definitionen dieser Wesen passten nicht zu dem, was er war. Er konnte nur hoffen, dass er sie am Morgen dazu überreden konnte ihm zuzuhören. Die Zeit lief ihm davon. Verdammt, hätte er geahnt, dass er ohne Körper in dieser Zeit auftauchen würde, wäre er früher angekommen.
Er wunderte sich, weshalb die Frau ihr Telefon abzog und die Klingel an ihrer Tür abstellte, ehe sie zu Bett ging. Unter diesen Bedingungen konnte niemand sie erreichen. Wozu sollte das gut sein? Nun, solange sie schlief, konnte er sich ihre Wohnung genauer ansehen. Wenigstens musste er sich keine Sorgen machen, wie er in dieser Form Nahrung aufnehmen sollte. Er war nicht hungrig, was er als sehr angenehm empfand.
Als sie schlief, verließ er ihre Wohnung und atmete vor ihrem Hauseingang tief ein. Aus reiner Gewohnheit. Denn in seinem jetzigen Zustand benötigte er keinen Sauerstoff. Gegenüber dem Eingang stand ein schwarzer BMW, in dem ein junger Mann saß und angestrengt nach oben blickte. Zu Brionys Etage? Er schien krampfhaft zu versuchen, jemanden telefonisch zu erreichen. Roman beobachtete ihn eine Weile und zählte eins und eins zusammen, als der junge Mann aus dem Wagen stieg, zum Eingang lief und Brionys Klingel betätigte. Der Kerl war zweifelsohne der Grund, weswegen Briony sowohl Telefon als auch Klingel abstellte.
Nach einer viertel Stunde gab dieser es auf und ging zurück zum Auto. Am liebsten hätte Roman dieses Arschloch in der Luft zerrissen. In seiner jämmerlichen Form waren ihm jedoch die Hände gebunden. Wie zum Kuckuck sollte er Briony, die er vorübergehend als seinen Menschen betrachtete, vor irgendwelchen Gefahren retten – ganz zu schweigen davon, ihr Verschwinden zu verhindern – wenn er nicht eingreifen konnte? Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben als einen Ker-Lon zu finden und diesen auszuquetschen.
Zu blöd, dass er dafür Briony brauchte. Zudem war er sich absolut unsicher, ob die Dämonen ihm überhaupt helfen würden. Oder Briony verschonen. Denn nur, weil die Revolutionen noch nicht stattgefunden hatten, bedeutete das nicht, dass die Dämonen – oder andere Wesen – sich anders verhielten als in seiner Zeit. Möglicherweise waren sie im Moment noch gefährlicher als nach ihrem Outing. Denn niemand der Obrigkeiten kam auf die Idee, die Ursache für diverse Zwischenfälle bei seiner oder anderen Rassen zu suchen, wie es nach den Revolutionen oft der Fall war. Und falls doch, bekamen die Behörden einfach eine Gehirnwäsche.
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