1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Kopfschüttelnd setzte ich mich ans Steuer und fuhr zurück auf die Landstraße. Da ich zu dem Schluss gekommen war, dass es am besten wäre, wenn ich gleich jetzt mit dem Auto einen tödlichen Unfall verursachte, schaute ich mich nach einer passenden Stelle um. Schließlich kam ich auf eine lange Gerade, die in einer scharfen Rechtskurve endete. Am linken Straßenrand in dieser Kurve stand ein recht starker Baum.
Das ist ideal! dachte ich und beschleunigte. Da ich ein PS-starkes Auto hatte, war es kein Problem, es bis zum Ende der geraden Strecke auf 140 km/h zu bringen. Ich hielt genau auf den Baum zu. Da schoss mir aber noch ein Gedanke durch den Kopf:
Was ist, wenn ich nicht sterbe? Was, wenn ich diesen Unfall überlebe? Wenn ich nur zum Krüppel werde! Wenn ich ein Pflegefall werde! Nein das geht nicht! Das ist zu unsicher!
Im letzten Moment nahm ich den Fuß vom Gaspedal und riss das Lenkrad herum. Ich kann nicht mehr genau sagen, wie ich es geschafft habe, das schleudernde Auto wieder in den Griff zu bekommen, aber glücklicherweise kam mir kein Fahrzeug entgegen, sonst wäre es wohl nicht so glimpflich ausgegangen.
Nachdenklich fuhr ich nach Hause. Zwischenzeitlich kam mir die Firma in den Sinn, und dass ich ja noch einiges dort zu erledigen hätte. Doch nach einem Blick auf die Uhr verwarf ich diesen Gedanken schnell wieder. Erstens war es schon ziemlich spät und bevor ich in der Firma ankommen würde, wäre schon Feierabend. Und zweitens, was sollte ich noch dort, wenn ich meinen Plan wirklich durchführen wollte. Durch diese Gedanken wurde mir erst einmal bewusst, wie lange und wie weit ich eigentlich ziellos in der Gegend herumgefahren war.
Als ich an einer Bahnlinie vorbeifuhr, kam mir der Gedanke, mich vor einen Zug zu werfen. Doch auch das verwarf ich recht schnell wieder.
Egal, was ich in Erwägung zog, keine Möglichkeit wollte mir so recht gefallen. Vielleicht war es auch Selbstschutz oder die Angst vor der Endgültigkeit dieser Entscheidung, die mich immer wieder zurückschrecken ließ.
Schließlich entschied ich mich fürs Erhängen und zu Hause angekommen, suchte ich gleich nach einem passenden Strick. Mit diesem ging ich dann in ein nahe gelegenes Waldstück. Es dauerte auch nicht lange, und ich fand eine Eiche mit einem starken, fast waagerecht gewachsenen Ast. Dieser war der unterste auf der mir zugewandten Seite des Baumes und doch etwa drei Meter über dem Boden. Auf der anderen Seite des Baumes konnte ich durch Springen einen dünneren, nicht so hohen Ast erreichen, wodurch ich recht gut hinauf gelangte. Ich setzte mich auf den starken, waagerechten Ast und legte mir die Schlinge um den Hals. Das andere Ende des Strickes befestigte ich so am Baum, dass ich den Boden nicht mit den Füßen erreichen konnte. Nun machte ich mich bereit zu springen. Lange saß ich dort und konnte mich einfach nicht entschließen, diesen Schritt zu tun. Der Zwiespalt in mir war riesig. Einerseits wollte ich mich davonstehlen, allen weiteren Problemen aus dem Weg gehen und dem allen ein für alle Mal ein Ende setzen. Andererseits wehrte sich mein Verstand, der Selbsterhaltungstrieb in mir massiv dagegen. Als ich endlich soweit war, sich die Muskeln in meinen Armen spannten und ich mich vom Ast abstieß, geschah etwas Seltsames. Zuerst hatte ich das Gefühl, dass ich einem Feuer zu nahe gekommen wäre, denn es wurde unheimlich heiß um mich herum. Dann wurde mir kalt, und zwar so kalt, dass ich am Ende die Besinnung verlor. Doch bevor das geschah, hatte ich das Gefühl, ich wäre eingefroren. Ich bekam keine Luft mehr und mein Herz schien stillzustehen. Die Umgebung nahm ich nur noch verschwommen war, seltsame Farbspiele erschienen plötzlich vor meinen Augen und ich war nicht fähig mich zu bewegen. Das letzte, was ich wie durch einen Schleier wahrnahm, war mein Körper, der in verkrampfter Haltung auf dem Ast saß. Verstört schloss ich die Augen.«
»Eine angenehme Wärme durchströmte mich und unbekannte Vogelstimmen drangen in mein Bewusstsein. Ich sog die reine klare Luft in meine Lunge und mein Herzschlag beruhigte sich wieder. Was war geschehen? Wo war ich? Vorsichtig öffnete ich die Augen ein wenig und schloss sie im selben Moment, geblendet vom gleißenden Sonnenlicht, wieder. Ich hatte genau in die aufgehende Sonne geschaut.
War ich schon tot? War ich im Himmel? Nach einem Selbstmord? Darüber hatte ich in meiner Verzweiflung gar nicht mehr nachgedacht. Da ich den Glauben sowieso schon vernachlässigt hatte, hatte ich solche Gedanken in den letzten Stunden immer wieder verdrängt. Ein Leben nach dem Tod stand für mich einfach nicht mehr zur Debatte. Aber jetzt? Ich hatte keine Erklärung für das, was geschehen war. War ich wirklich gesprungen? Es war mir zwar noch bewusst, wie sich mein Körper angespannt hatte, um sich vom Ast abzustoßen, doch dann? Was war denn in diesem Augenblick nur geschehen?
Meine Hände fühlten den warmen Boden und die kleinen Steine des Weges, auf dem ich in ähnlicher Haltung wie auf dem Ast saß. Langsam drehte ich mich in dieser Stellung um, sodass ich die Sonne im Rücken hatte. Dann öffnete ich vorsichtig die Augen und riss sie erstaunt ganz weit auf. Ich hatte alles andere erwartet, nur nicht den Anblick, der sich mir jetzt bot. Die Sonne beschien vor einem strahlend blauen Himmel eine Landschaft, wie ich sie höchstens einmal im Fernsehen gesehen hatte. Ich befand mich auf einem Weg, der in einem sanften Bogen in ein schönes, lichtdurchflutetes Flusstal führte. An der Stelle, wo der Weg das Tal erreichte, war es sicherlich vier bis fünf Kilometer breit. Flussabwärts waren rechts und links des Flusses sauber abgetrennte Flächen zu sehen. Diese leuchteten in einem üppigen und gleichmäßigen Grün und ihre geometrischen Formen waren auf keinen Fall natürlichen Ursprungs.
Auf dem Wasser bewegten sich kleine Boote mit höchstens ein oder zwei Ruderern besetzt. Wenn man dem Fluss mit den Augen in die andere Richtung folgte, konnte man sehen, dass flussaufwärts die Berge das Tal weiter einengten. Es wurde enger und nur eine kurze Strecke weiter waren keine Felder mehr zu sehen. Die hohen, teilweise sehr steilen Berge schienen sich flussaufwärts fortzusetzen. Nur in der entgegengesetzten Richtung, wo die Landschaft ebener wurde und in weiter Ferne die Berge ganz verschwanden, schien es ausreichend Fläche zu geben, die urbar gemacht werden konnte.
Einige der Bäume und Pflanzen die am Wegrand standen waren mir unbekannt. Bei anderen dachte ich, dass ich sie schon einmal gesehen hätte. Vielleicht durch Filme, Abbildungen in Büchern oder durch Beschreibungen kamen mir diese bekannt vor. So erkannte ich etwas weiter unten am Wegrand einen kleinen Bambuswald, und das machte alles nur noch unverständlicher, denn wenn es wirklich einer wäre, dann müsste ich ja in Asien sein, dachte ich. Aber wie sollte das möglich sein? Was war denn nur geschehen?
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