1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Ohne mir einen Reim auf all das machen zu können, schaute ich mich auf der Suche nach etwas Bekanntem weiter um. Ich hielt Ausschau nach einer Asphaltstraße, modernen Gebäuden oder anderen technischen Bauwerken. Doch die einzigen Gebäude, die ich sah, waren einige kleine Häuser, eher Hütten, am Rande der Felder. Viel weiter flussabwärts war am Talrand eine größere Ortschaft zu sehen. Obwohl es weit weg war, hatte ich doch den Eindruck, dass es auch dort recht einfach aussah.
Ich konnte nichts erkennen, was nach fortschrittlicher Zivilisation aussah. Der Weg, auf dem ich mich befand, führte an den Feldern entlang bis zu dem größeren Ort. Dort verzweigte er sich in verschiedenen Richtungen. Einer schlängelte sich in vielen Windungen den Hang hinauf in die Berge hinein. Ein weiterer folgte dem Tal weiter flussabwärts, bis man ihn in weiter Ferne aus den Augen verlor. Und dann gab es da noch einen, der zu einer kleinen Anlegestelle führte. Von dort aus schien es eine Art Fährbetrieb zu geben. Der Fluss war an dieser Stelle breiter und floss ruhig und gleichmäßig dahin. Auch die Fähre, eher ein größeres Floß, konnte man sehen. Sie hatte eben das andere Ufer erreicht und man sah einige kleine Punkte, die sich in verschiedene Richtungen von der Fähre entfernten.
Die Sonne wärmte nun mit einer Kraft, die mich langsam ins Schwitzen brachte. Ich zog die Jacke aus und wollte mich gerade auf den Weg ins Tal machen, als ich hinter mir leise Männerstimmen hörte. Daraufhin drehte ich mich um und bemerkte nun erst, wie anders die Gebirgslandschaft hinter mir eigentlich war. In der Nähe des Flusses waren die Berge noch bis zu den Gipfeln bewaldet, doch dann wurden sie höher und schroffer. Ab einer gewissen Höhe waren sie nur noch mit Sträuchern und anderen niedrigen Pflanzen bewachsen und der graubraune Fels dominierte.
Aber was meinen Blick nun fesselte, waren die beiden Männer, die in diesem Moment hinter der Baumgruppe, die den Blick auf den weiteren Weg versperrte, hervor kamen. Sie unterhielten sich halblaut und ihr Schritt stockte kurz, als sie mich sahen, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass sie meine Anwesenheit sonderlich überraschte. Ihre Unterhaltung unterbrechend kamen sie dann mit zielsicheren Schritten auf mich zu.
Die beiden hatten asiatische Gesichtszüge und ihr Kopf war kahlgeschoren. Ein weites, locker sitzendes Obergewand reichte fast bis zu den Knien. Es war aus grobem Leinen, an den Seiten bis in Schritthöhe aufgeschlitzt und wurde von einem Stoffgürtel zusammengehalten. Die ebenfalls lockere Beinbekleidung steckte bis zu den Knien in Strümpfen, die mit kreuzweise umwickelten Bändern gehalten wurden. Die Hosen waren aus dem gleichen Stoff wie das Obergewand und nichts behinderte ihre Träger in ihren Bewegungen. Das leichte, geschmeidige Schuhwerk verlieh ihnen einen fast geräuschlosen Gang und ihre Bewegungen waren weich und gleichmäßig. Man sah sofort: sie waren eins mit der Natur.
Der Jüngere der beiden schien etwa Mitte zwanzig zu sein, war bestimmt nicht größer als einen Meter siebzig und hatte ein rundliches Gesicht. Die flache Nase und die leicht abstehenden Ohren verstärkten die jugendliche Wirkung noch. Kräftige, dunkle Augenbrauen überschatteten die schmalen, aber kaum schräggestellten Augen. In den Mundwinkeln hatte er viele, kleine Falten, die dem Gesicht einen schalkhaften Ausdruck verliehen.
Den zweiten schätzte ich auf etwa fünfzig Jahre, und er wirkte würdevoll, bedächtig, aber dennoch aufgeschlossen anderen gegenüber. Er war nur wenig kleiner als sein jüngerer Begleiter, doch das wurde durch sein hageres Erscheinungsbild wieder aufgehoben. Sein Mund war schmal und die schräggestellten Augen nur schmale Schlitze.
Trittsicher, ohne auf dem unebenen und steinigen Weg einen Stein anzustoßen oder zu straucheln, legten sie die kurze Strecke bis zu mir zurück. Sie stoppten vor mir, verbeugten sich, die rechte Hand im rechten Winkel vor die Brust haltend, und sprachen mich an. Die ganzen Umstände wurden immer unverständlicher für mich, denn dem Klang der Sprache nach konnte es wirklich nur chinesisch, vietnamesisch oder etwas ähnliches sein.
Ich deutete ebenfalls eine leichte Verbeugung an und schaute unsicher zu ihnen auf. Der ältere der beiden stellte, von Gesten begleitet, offenbar eine Frage an mich. Ich hatte den Eindruck, dass es nur wenig anders klang als ihre ersten Worte, vielleicht ein anderer Dialekt war, doch auch das konnte ich nicht verstehen.
Langsam fasste ich mich.
›Entschuldigung, ich habe Sie leider nicht verstanden. Sprechen Sie auch Deutsch oder Englisch?‹
Nach einer kurzen Pause:
›Do you speak English?‹
Keine Antwort, nur ratlose Blicke.
›Wer sind Sie? Wo bin ich hier? Wie bin ich hierhergekommen?‹
Wieder keine Antwort.
›Das gibt’s doch gar nicht, bin ich denn hier im falschen Film? Wieso versteht mich denn keiner? Was ist denn bloß los hier?‹
Wie so oft in letzter Zeit war ich ratlos, unsicher und zu keiner vernünftigen Handlung fähig, doch die beiden schienen das zu spüren. Sie verständigten sich kurz mit einem Blick und forderten mich dann mit Gesten und beruhigenden Worten auf, ihnen zu folgen. Sie zeigten immer wieder auf den Weg, der in die Berge führte, und der ältere der beiden legte sanft seine Hand auf meine Schulter und drückte mich vorsichtig in diese Richtung.
Was wollten sie bloß von mir? Hatten sie mich etwa gesucht? Was war denn nur geschehen, seit ich mir die Schlinge um den Hals gelegt hatte? Die Schlinge, ja, natürlich! Ich fuhr mir mit der Hand an den Hals und tastete nach Spuren des Seiles, doch ich fühlte nichts als glatte Haut.
Mein Handeln muss für sie völlig unverständlich gewesen sein. Aber was sollte es, sie verstanden mich ja anscheinend sowieso nicht und eigentlich war es auch egal, ob ich ins Tal gehen oder ihnen folgen würde. Vielleicht würde sich ja auch alles aufklären, wenn ich ihnen folgte, denn irgendwie schien meine Anwesenheit ja nicht ganz unvermutet für sie zu sein. Also setzte ich mich zögernd in Bewegung. Erfreut lächelnd liefen sie neben mir her. Bald hatten sie wieder diesen gleichmäßigen, weit ausgreifenden Schritt erreicht, den ich vorher schon bei ihnen bewundert hatte. Am Anfang konnte ich ihnen noch folgen, obwohl ich schon fast in einen Laufschritt verfallen musste, um mitzuhalten, doch später mussten sie ihren Schritt verlangsamen, da ich auf die Dauer dieses Tempo nicht halten konnte.
Der Weg führte in vielen Windungen stetig bergauf bis er einen Bergsattel erreichte. Von da an ging es wieder abwärts und ich konnte Atem schöpfen. Nun hatte ich auch wieder die Kraft, um mich umzuschauen.
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