Der Abt nickte mir aufmunternd zu und ging, gefolgt von seinen Begleitern, zurück in den Tempel. Nur der Mönch, mit dem der Abt gesprochen hatte, blieb zurück. Missmutig sah er mich an und gab dann meinen beiden Begleitern einige Anweisungen. Diese verneigten sich ehrerbietig vor ihm und forderten mich mit Gesten dazu auf, ihnen zu folgen.
Meine Unsicherheit steigerte sich. Ich sah hinauf zu dem Tempel, denn der Abt hatte mir Vertrauen eingeflößt, doch es war nichts mehr von ihm und seinen Begleitern zu sehen. Als der jüngere meiner beiden Führer mich schließlich am Handgelenk fasste und vorsichtig in die gewünschte Richtung zog, folgte ich ihnen immer noch hoffend, dass sich bald alles aufklären würde.
Wir verließen diesen Teil des Klosters und erreichten kurz darauf einen Bereich, der Ähnlichkeit mit einer Kaserne hatte.
Auf dem großen Hof, an dessen Rand wir entlanggingen, führte eine Gruppe von etwa einhundert Männern, in höchster Konzentration, mit synchronen Bewegungen kraftvolle Schlag- und Trittkombinationen aus. Es erinnerte mich sehr an ein Kung Fu-Training, über das ich einmal einen Bericht im Fernsehen gesehen hatte. Ich wäre gerne stehen geblieben, um zuzuschauen, doch meine beiden Begleiter drängten mich weiter. Wir gingen bis zu einigen einstöckigen Gebäuden im hinteren Teil der Klosteranlage. Sie waren in einer barackenähnlichen Bauweise erstellt, und in ihnen befanden sich anscheinend die Unterkünfte der Mönche.
Meine beiden Führer geleiteten mich in eines von ihnen und führten mich einen langen Gang entlang bis zu einer einfachen Zelle. Schon auf dem Weg den Gang entlang, hatte ich durch die offenen Türen in einige Räume sehen können. Die ersten waren größer gewesen und es standen immer mehrere Pritschen in diesen Unterkünften. Am Ende des Ganges waren dann einige kleinere Zellen, in denen nur eine oder zwei Pritschen standen.
In die äußerste dieser Unterkünfte wurde ich geführt. Dort lag auf der einzigen Liege, die sich in diesem Raum befand, ordentlich zusammengelegt, Kleidung wie sie meine Führer trugen. Der ältere der beiden sprach mich wieder an und deutete dabei auf die Kleidung, den Raum, die Pritsche und mich. Seinen Gesten entnahm ich, dass dieser Raum sowie die Kleidung für mich bestimmt war und dass ich mich umziehen sollte. Ich schüttelte den Kopf.
›Entschuldigung, ich möchte nicht hierbleiben! Ich weiß ja nicht einmal genau wo ich bin! Führen Sie mich doch bitte einfach zu einem Telefon, dann kann ich versuchen, das alles aufzuklären.‹
Verständnislos sahen die beiden mich an und zuckten nur bedauernd mit den Schultern. Frust stieg in mir auf.
Warum versteht mich denn bloß keiner? Wie soll ich’s ihnen denn nur erklären?
Ich deutete mit Gesten das Telefonieren an, doch die beiden zuckten wieder nur mit den Schultern.
Instinktiv griff ich in meine Jackentasche und berührte meine Brieftasche. Im ersten Moment atmete ich auf, doch die Freude über diesen Fund ebbte sofort wieder ab. Was sollten mir diese Dinge hier auch nützen, da wir uns ja nicht so recht verständigen konnten, würden sie sicherlich auch nichts mit einem Ausweis oder etwas ähnlichem anfangen können.
Da fiel mir mein Handy ein, ich zog es heraus und wollte wählen, doch es war kein Netz vorhanden. Fieberhaft überlegte ich. Gab es bloß hier keins, in diesem Gebirgstal, oder war generell keins vorhanden? Ich musste in einem fremden Land sein, soviel stand fest. Aber war ich überhaupt noch auf der Erde, in meiner Zeit? Oder war ich vielleicht tot? Aber ein Leben nach dem Tod, sollte das so aussehen? Träumte ich vielleicht nur? Aber dann müsste ich ja langsam mal aufwachen. Alles war so primitiv, so einfach. Auf dem ganzen Weg bis hierher hatte ich keinerlei Spuren von irgendwelcher modernen Technik gesehen.
Irgendwie war alles wie im Mittelalter und als ich wieder zu den beiden hinsah, bemerkte ich, wie sie das Handy in meiner Hand fixierten. So ein Gerät hatten sie mit Sicherheit noch nicht gesehen und als das Licht im Display wieder ausging, fuhren sie erschrocken zurück.
Nachdenklich steckte ich es wieder weg. Ich hatte keine Vorstellung, wie ich mich weiter verhalten sollte. Aus irgendeinem Grund schienen sie mich, nach ihrem Verhalten zu urteilen, erwartet zu haben, aber weshalb? Ratlos sah ich sie an, doch der ältere der beiden bedeutete mir nur wieder, dass ich die Kleidung, die auf der Pritsche lag, anziehen sollte.
Verständnislos schüttelte ich den Kopf und zeigte auf meine Kleidung, um ihnen zu zeigen, dass ich ja nicht unbekleidet war. Sie zuckten nur resignierend mit den Schultern, drehten sich um und ließen mich allein in der Mönchszelle zurück.
Zu keiner vernünftigen Handlung fähig, setzte ich mich auf die Pritsche und begann zu grübeln. War das die Strafe dafür, dass ich Selbstmord begangen hatte? War ich überhaupt tot, oder war das alles nur ein Traum?
Nach einer Weile stand plötzlich der Mönch, mit dem der Abt diskutiert hatte, im Raum. Immer noch oder schon wieder wütend sah er mich an. Er kam auf mich zu und ich sprang erschrocken hoch, denn ich hatte das Gefühl, dass er mich jeden Augenblick packen und durchschütteln würde. Doch er griff nur nach der Kleidung auf der Pritsche und drückte sie mir energisch in die Arme. Dabei schimpfte er die ganze Zeit vor sich hin. Er besah sich meine Hände, betastete meine Oberarme, sah mir ins Gesicht, schüttelte den Kopf und bedeutete mir wieder, dass ich mich umziehen solle. Ich konnte keinen Grund erkennen, warum ich das tun sollte, wollte ihn andererseits aber auch nicht noch mehr verärgern. Mit dankenden Worten legte ich die Kleidung wieder auf die Pritsche, doch er verstand mich ja nicht. Energisch und mit wütendem Gesichtsausdruck drückte er sie mir zum wiederholten Male in die Arme und als ich daraufhin erneut abwehrte, sah er mir kurz in die Augen und verließ mich dann mit einer wegwerfenden Geste.
Ich hatte gehofft, Aufklärung über meine Anwesenheit an diesem Ort zu erhalten, doch irgendwie wurde hier alles nur noch verworrener. Auch die Abneigung, die ich bei diesem Mönch gespürt hatte, machte es noch schwerer, etwas Positives hier zu sehen.
Aus diesen Gründen entschloss ich mich, das Kloster gleich wieder zu verlassen. Der größere Ort am Fluss schien im Augenblick das sinnvollste Ziel zu sein. Vielleicht konnte ich dort Aufklärung erhalten, oder ich fände einen Weg zurück in meine Welt.
Nachdenklich ging ich über den Hof, auf dem die Männer immer noch diese Übungen durchführten. Konzentriert, ruhig und gleichmäßig bewegten sie sich wie ein einziger Mann. Auch meine beiden Führer hatten sich eingereiht und nichts deutete darauf hin, dass sie oder die anderen mich bemerkten.
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