Joachim Seidel
HimbeerToni
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Inhaltsverzeichnis
Titel Joachim Seidel HimbeerToni Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Problem-Charts, der neue Nachbar und das Schluckaufbaby
2. Der ultimative Chartbreaker: Von null auf eins und fünf nach zwölf!
3. Herr Blümchen, die Achtziger und eine Fata Morgana
4. Kurtchen in Farbe, eine lange Reise und jede Menge Dosenbier
5. Fünfundzwanzig Jahre Remo Smash, Balkanpunk und ein Pfefferminzkuss
6. Zwölf zahlende Gäste, fremde Federn und eine Telefonnummer auf einem Bierdeckel
7. Punk’s not dead, PM Schangeleidt und eine adrenalisierte Schwertkämpferin
B-Seite
1. On-/off-Beziehung, das Back-Stopp-Portal und Kuschelboxen statt Sex
2. Eine kleine Feier, die Spüli-Therapie und ein unorthodox? gekrümmter Handbremsknüppel
3. Roter Korsar, rote Beete, rote Lippen
4. Dreamkarl, Frau Gähdes und ab ins Flugzeug
5. Dick und Doof in Andalusien
6. Serge Gainsburg, Jane Birkin und ich
7. Gebrauchtes Vinyl, ein echter Punk,und Herr Blümchen lernt schwimmen
8. Hecheln mit Dörthe, Klapperschlangen im Bad und Ofen aus
9. Der elektrische Reiter, Stelzen-SOS und der doppelte Kurt
10. Fruchtwasser, zwei zuckende Augen und ein dreifacher Geburtstag
11. Ein singender Müllmann, Showdown mit Mutterkuchen und das Geheimnis des Brotteufels
12. Eine Woche voller Samstage und Welcome to Holgi Helvis & The Presleyholics featuring Radulescu Ursu and his famous Elvis Puppet Show
Coda/Bonus-Track
PRESSESTIMMEN:
Impressum neobooks
1. Problem-Charts, der neue Nachbar und das Schluckaufbaby
Anton aus Tirol – DJ Ötzi
Das Problem Nummer drei in meinem Leben ist seit einigen Jahren mein Name: Ich heiße Hornig, Anton Hornig, und die meisten nennen mich Toni. Natürlich bin ich nicht der Anton aus Tirol, aber diese DJ-Ötzi-CD habe ich, als sie damals erschien, gleich von drei Freunden zum Geburtstag geschenkt bekommen. Und fortan sangen alle, wenn sie mich trafen: »Er ist so schön, er ist so toll…«
Damit hätte ich mich vielleicht gerade noch arrangieren können, doch nur ein paar Monate später brachte Mousse T. ein Lied mit meinem Nachnamen im Refrain auf den Markt, und alle grölten jetzt: »I’m so Horny, Horny, Hornig« oder nannten mich gleich Horny Hornich. Und als dann Sponge Bob auf Super RTL lief, gesellte sich auch noch Plankton, jener amöbenhafte Widersacher von Mister Krabbs auf der erfolglosen Jagd nach der Krabbenburger-Geheimformel, in mein unseliges Spitznamenregister.
In letzter Zeit denke ich immer öfter daran, meinen Namen ändern zu lassen, aber meine Mutter ist gebürtige Finnin und heißt Sinisalo, was so viel heißt wie Blau (sini) und Ödwald (salo) – und Toni Sinisalo finde ich auch nicht wirklich besser.
Mein Problem Nummer eins aber heißt ganz klar Ada Teßloff, ist sechsunddreißig, sieht wahnsinnig gut aus, und wir zwei hatten seit Wochen keinen Sex, obwohl Ada und ich gerade mal seit vier Monaten zusammen sind.
Dabei bin ich eigentlich ’ne Frohnatur, doch in letzter Zeit – vor allem wegen der Probleme eins bis fünf – fühle ich mich manchmal wie Blödwald der Laue, ErdbeerSchorsch und Brause-Paul zusammen, kurz: wie der HimbeerToni vom Dienst.
Früher war ich Basser in ’ner amtlichen Punkband, und Probleme kannte ich eigentlich nur vom Hörensagen. Remo Smash war vorbildlich abgehangene 78er-Schule. Wir haben uns damals in Berlin getroffen und eine der besten Punkplatten überhaupt aufgenommen: Toilet love. Jetzt bin ich über vierzig (Problem Nummer vier), arbeite als freier Textknecht für verschiedene Verlage und versuche in der restlichen Zeit, bislang vergeblich, etwas Bleibendes für die Nachwelt zu hinterlassen (Problem Nummer fünf).
Aber ab heute, Freitagnachmittag, wird zurückgeschossen, denn wir, Remo Smash, feiern unser fünfundzwanzigjähriges Bandauflösungsjubiläum, und dazu werden erwartet: ihre Durchlaucht Herr Blümchen, mein ältester Freund am Schlagzeug, ich natürlich und Sänger Holgi Helvis, mein direkter Wohnungsnachbar. Fehlen werden Guitar-King Kurtchen »König« Reich, denn er ist seit einigen Wochen wie vom Erdboden verschluckt (Problem Nummer sechs), und natürlich Papa Punk, unser Leadgitarrist und Songschreiber, den es vor über zwanzig Jahren schwer zerrissen haben muss und der seitdem verschollen ist.
Mein Neueinsteigerproblem auf Platz zwei wohnt seit ein paar Tagen direkt über mir und meinem Etagennachbarn Holgi Helvis in Stockwerk sechs und hört, soviel ich weiß, auf den Namen Ursu – ein Mann, der so aussieht, als stamme er aus Gregorgisien oder einer anderen dieser früheren sowjetischen Teilrepubliken. Er ist der Logiergast von Ioan Rustavi, dem Intendanten des Theater- und Kulturzentrums unserem Haus gegenüber, wo Ursu, wie Rustavi sagte, schon letzten September mit seiner Puppe aufgetreten ist. Rustavi ist fast nie zu Hause und Hauptmieter der Dachgeschosswohnung über mir, in der diese Ursu-Knallcharge gerade wieder auf meinen und vermutlich auch Holgis Nerven rumtrampelt.
Zermürbt gehe ich rüber zu Holgi. Wir müssen etwas gegen diesen Radau tun. Seine Tür ist wie immer offen. Mein Nachbar liegt zwischen Stapeln von Autoprospekten und pennt. Dann öffnet er die Augen und bläst sein Bazooka-Kaugummi auf. Ich sehe mich um. Rechner und Scanner sind angeschaltet. eBay-Dreamkarl, so nennen wir Holgi manchmal, hat offenbar noch nicht Feierabend. Unter der Woche läutet Holgi nämlich seinen Feierabend für Job Nummer eins gegen zwölf Uhr mittags gewöhnlich mit einer bettschweren Einliterdose Elephant-Bier ein, die nach Verzehr sein Einschlafen beschleunigt. Ich nehme einen tiefen Zug aus Holgis Dose, die auf einem Prospektestapel steht, seinem provisorischen Nachttischchen.
»Mensch, tut das gut!«, sage ich. Über uns poltert es.
»Ey, lass uns hochgehen, Alter!«
Holgi richtet sich auf, greift sich ein frisches Bier. Ich wische mir den Mund am Ärmel meiner Adidas-Joggingjacke ab. Dann gehen wir ins Treppenhaus und tapern treppauf: General Anton Blech mit seinem Blechbüchsenarmisten Holgi Helvis im Schlepptau. Die Dosen im Anschlag, halten wir in Stockwerk sechs inne. Ich bücke mich, presse ein Ohr ans Türschloss. Drinnen spricht ein Mann mit hartem Akzent Englisch. Holgi lauscht ebenfalls. Er liegt mit seinem Tipp wohl richtig, dass der Fremde dort drinnen entweder mit sich selber kommuniziert und einen an der Marmel hat oder aber in ein Telefon spricht. Holgi geht in die Knie, späht durch den Briefschlitz. Ich drücke mein Ohr jetzt fest gegen die Tür.
»Yeah, fine, babe… No, I’ll start at about nine … last time old show, Ursu’s world’s famous magical puppet show, see ya tonight, Adä.«
Adä! Woher kenne ich den Namen? Klingt wie Ada, nur mit ä am Ende, denke ich, während ich mich aufrichte. Und Ada ist meine Geliebte. Direkt vor meiner Nase befindet sich ein Stück verchromtes Metall ohne Aufprägung. Kein Name. Weder Usus, Ouzo, Ursus der Schreckliche noch der des Kulturbetriebs-intendanten.
Ich drücke mein Ohr wieder an die Tür. Zack, geht die Tür auf. Holgi und ich fallen vor Schreck fast vornüber, mit den Ohren noch dort, wo eben noch die Tür war.
»What are you doing here?«
Wir heben die Köpfe und wandern mit dem Blick an einem dunkelhäutigen Mann mit Schmerbauch empor, den er unter einer Tunika aus schwerem schwarzen Vorhangstoff verbirgt. Etwas lugt aus der Tunika heraus. Es sieht einem toten Politiker ähnlich, den ich aus dem Fernsehen kenne, nur in klein. Das Etwas starrt uns aus geröteten Augen an. Dann zieht es sich in den schwarzen Umhang zurück.
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