Ohne aufgehalten zu werden erreichte ich das Eingangstor. Die wenigen, die mich gesehen hatten, schauten mir verwundert nach, doch es schien keinen weiter zu interessieren, was ich tat. Langsam ging ich unter der brennenden Sonne den Weg hinauf zum Bergkamm. Dort drehte ich mich um und schaute zurück.
Weit hinter mir, sodass man gerade noch erkennen konnte was es war, sah ich drei Gestalten auf dem Weg hinter mir herkommen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sich besonders beeilen würden um mich noch einzuholen, und im gleichen, ruhigen Tempo wie bisher setzte ich meinen Weg fort. Bald hatte ich auch die Stelle erreicht, an der ich wieder zu mir gekommen war. Nachdem ich mich einen Augenblick umgeschaut hatte, ging ich weiter in Richtung Fluss.
Die Sonne hatte nun schon fast ihren höchsten Punkt erreicht und die feuchtwarme Luft machte mir langsam zu schaffen. Ich schätzte, dass es bestimmt schon um die dreißig Grad warm war und es herrschte eine hohe Luftfeuchtigkeit, als wenn es eben stark geregnet hätte und die Sonne nun das Wasser wieder aufsaugte.
Als ich das Flusstal erreichte, folgte ich dem Weg, der parallel dazu flussabwärts verlief. Hier begegneten mir jetzt mehr Menschen, aber keiner konnte mich verstehen, wenn ich eine Frage an sie richtete. Sie waren fast alle barfuß, im Höchstfall trugen sie leichte, dünnsohlige Sandalen. Die Hosen gingen nur wenig über die Knie herab und ein leichtes, weitgeschnittenes Obergewand sowie ein Hut aus Reisstroh vervollständigte bei den meisten die Kleidung.
Verwundert sahen sie mich an, wenn ich sie ansprach oder an ihnen vorbeiging. Bald war ich mir ganz sicher, dass sie noch nie einen Europäer gesehen hatten. Ich war dem größeren Ort schon sehr nahe gekommen, als mir ein Reiter in vollem Galopp entgegenkam.
Mit einem Satz in die Büsche musste ich mich in Sicherheit bringen, damit er mich nicht umritt. Ich hatte beim Sprung noch sein Gesicht gesehen, war mir aber sicher, dass ich wenigstens genauso verblüfft dreingeschaut hatte wie er.
Der Anblick dieses Reiters bestätigte einmal mehr meine Vermutung, dass ich mich in einer anderen Zeit befand. Er war gekleidet und gerüstet wie einer dieser Krieger, die ich einmal in einer Terrakotta-Ausstellung gesehen hatte.
Ich schaute hoch und konnte sehen, dass der Reiter sein Pferd herumgerissen hatte. Es tänzelte und bäumte sich auf, während er zu mir herunterschaute. Doch bald drehte er sich um, schaute in die Richtung, aus der ich gekommen war und anscheinend war ihm wichtiger, was er dort sah, denn er setzte seinen eiligen Ritt fort. Als ich seinem Blick folgte sah ich, dass die drei Wanderer, die ich schon vom Bergkamm aus gesehen hatte, mir mittlerweile sehr viel näher gekommen waren. Ich konnte die Gesichter noch nicht erkennen, aber einer der drei hatte diese Mönchskleidung an, die ich schon bei dem Abt im Kloster gesehen hatte.
Der Krieger unterbrach seinen Ritt bei den drei Wanderern, stieg ab und verbeugte sich mehrfach vor dem Mönch. Dann überreichte er ihm etwas und versuchte anschließend sein Pferd zu beruhigen. Es schien ein Schriftstück zu sein, denn der Mönch begutachtete es ausgiebig und gab es dem Krieger dann zurück. Anschließend sprach der Mönch kurz mit einem seiner Begleiter und dieser schickte sich dann an, gemeinsam mit dem Reiter aufs Pferd zu steigen und den Ritt fortzusetzen. In meine Richtung deutend, sagte der Reiter noch etwas zu dem Mönch, doch dieser machte nur eine abwehrende Handbewegung und bedeutete ihm, dass er seinen Ritt fortsetzen solle. Dann setzte auch er mit seinem verbliebenen Begleiter seinen Weg fort.
Nun wurde mir das Ganze doch unheimlich. Folgten mir diese Leute etwa doch und wenn ja, was wollten sie dann von mir? Und wieso ritt hier eigentlich einer herum, der gerade einem Filmset entstiegen zu sein schien? Es wurde immer dubioser.
In der Zwischenzeit hatte ich mich aus der Umklammerung der Büsche befreit und strebte nachdenklich weiter meinem Ziel entgegen. Automatisch hatte ich meinen Schritt beschleunigt, um den Wanderern hinter mir zu entgehen. Doch es hatte keinen Zweck, denn die Entfernung zwischen mir und ihnen wurde trotz all meiner Bemühungen immer kleiner. Das Hemd klebte mir mittlerweile klatschnass vor Schweiß am Körper und mein Schritt verlangsamte sich wieder. Dem größeren Ort war ich nun schon so nahe gekommen, dass ich erkennen konnte, dass auch hier nichts von moderner Technik, die mir vertraut vorkommen würde, zu sehen war. Resignierend hielt ich bei einem Baum an, der mit seiner großen Krone Schatten spendete, und ließ mich an seinem Stamm nieder.
Es dauerte nicht lange bis der Mönch und sein Begleiter mich erreichten. Nun erkannte ich, dass es der Abt und der jüngere meiner beiden Führer von heute Morgen waren. Ich wollte mich erheben, um sie zu begrüßen, denn in ihrer Gegenwart hatte man das Gefühl willkommen und geachtet zu sein, doch der Abt bedeutete mir, sitzen zu bleiben. Dann nahm er mir gegenüber Platz und schaute mir tief in die Augen.
Dieser Mann hatte eine Ausstrahlung, die sich schwer beschreiben lässt. Alles an ihm wirkte beruhigend und verständnisvoll. Diese Aura umgab ihn und nahm jeden in seiner Nähe gefangen. Seine schmalen, asiatischen Augen schienen alles zu durchdringen, doch das hagere, von vielen Falten durchzogene Gesicht ließ keine Regung erkennen. Die kleinen Fältchen in seinen Augen- und Mundwinkeln verliehen dem Gesicht aber einen schalkhaften Ausdruck. Der dünne Oberlippenbart und der graue, langfaserige Kinnbart standen im Gegensatz zu dem kahlgeschorenen Kopf. Ebenso verhielt es sich mit dem restlichen Körper. All seine Bewegungen wirkten jugendlich und voller Energie. Die Hände waren erstaunlich kräftig und ich hätte sie eigentlich einem wesentlich jüngeren Mann zugeordnet.
Er streckte mir seine rechte Hand entgegen und forderte mich mit einer beruhigenden Geste auf, meine Hand in die seine zu legen. Sein Begleiter hatte sich seitlich von uns niedergelassen und nickte mir jetzt ermunternd zu. Zögernd folgte ich dieser Aufforderung und wusste im selben Moment, dass mir nichts geschehen würde. Als ich die Hand des Abtes berührte, durchströmte mich eine große Ruhe und Kraft. Es war als ob er mir sagte: ›Du brauchst keine Angst zu haben, wir möchten dir nur helfen.‹
Wieder sah er mir tief in die Augen und wieder hatte ich das Gefühl, dass er alles in mir sehen konnte. Ich versuchte mich dagegen zu sperren, zu wehren, mein Innerstes zu verbergen. Doch so richtig wollte mir das nicht gelingen. Nach einer Weile brach er den Blickkontakt ab und schloss die Augen, aber nur um sie gleich wieder zu öffnen und mir zu bedeuten, es ihm gleich zu tun. Zögernd folgte ich seinem Beispiel und schloss die Augen.
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