Ich schaute mich kurz um, ob jemand in der Nähe sei und zog mich dann kurz entschlossen aus, um mich zu waschen. Dies gestaltete sich aber schwieriger, als ich gedacht hatte, da der Rand des Wasserbeckens fast an allen Stellen steil, zwei bis drei Meter bis zum Grund der Beckens abfiel. Doch in der Nähe des Abflusses fand ich eine Stelle, die wie eine Plattform in einem Meter Tiefe genügend Platz zum Stehen bot.
Ich stieg in das ungewohnt kalte Wasser und sofort zog sich meine Haut zusammen. Mir stockte kurz der Atem, doch der Drang mich zu reinigen war stärker als der Wunsch, das Wasser sofort wieder zu verlassen. In Ermangelung von Seife oder anderen Hilfsmitteln wusch ich mich lange und gründlich. Als ich aus dem Wasser stieg, bemerkte ich das nächste Problem. Ich hatte ja kein Handtuch, wie sollte ich mich jetzt abtrocknen? Ich streifte das Wasser so gut es ging mit meinen Händen von der Haut und ließ den Rest durch die Sonne trocknen. Aber das pelzige Gefühl und der seltsame Geschmack im Mund störten mich immer noch und ich überlegte, wie ich das beseitigen könnte. Beim Anblick eines Busches kam mir dann ein Gedanke. Ich brach einen kleinen saftigen Zweig ab, franste ein Ende aus und nutzte es wie eine Zahnbürste. Es war zwar langwierig, aber am Ende der Prozedur fühlten sich meine Zähne wieder glatt und sauber an. Nachdem ich mich dann angezogen hatte, fühlte ich mich sehr erfrischt und trat den Rückweg ins Kloster an.
Als ich den Tempelvorhof erreichte bemerkte ich, dass sich die Mönche anscheinend immer noch im Haupttempel aufhielten und vorsichtig, um nicht zu stören, ging ich hinein. Langsam und leise ließ ich mich in der Nähe des Eingangs nieder und schaute mich aufmerksam um. Im selben Moment wusste ich, dass ich nicht so unbemerkt geblieben war, wie ich gedacht hatte. Als ich nach vorn sah, blickte ich direkt in die freundlichen Augen des Abtes, und bei einem Blick zur Seite konnte ich, nicht weit entfernt von mir, Wang Lee sehen. Das Lächeln auf seinem Gesicht zeigte mir, dass er mich ebenfalls bemerkt hatte.
Ich schloss die Augen und versuchte, mich so zu entspannen, wie es mir am Vorabend gelungen war, doch es brauchte einige Zeit, bis meine aufgewühlten Gedanken wieder zur Ruhe kamen. Es dauerte nicht lange und ich war wieder bei dem Gedanken angekommen, der mich im Moment am meisten beschäftigte.
Warum, weshalb und wie war ich hierhergekommen?
Bald merkte ich, dass meine Gedanken wieder so durcheinander wirbelten wie am Vorabend. Ich zwang mich zur inneren Ruhe, öffnete die Augen und schaute auf die betenden Mönche. Es war schon bewundernswert wie diese Menschen in sich und ihrem Glauben ruhten. Warum konnte das bei mir nicht so sein, warum war mein Glaube so schwach und oberflächlich?
Langsam versuchte ich, die Verbindung zu Gott wieder aufzubauen, denn eins war für mich sicher, es gab oder gibt den einen Gott! Wie er aussieht, wo er ist oder in welcher Form er existiert, das war unwichtig, nur seine Gegenwart und die Verbindung zu ihm zählten. Diese Erkenntnis brachte mich so sehr zur Ruhe, dass ich beinahe nicht bemerkt hätte, dass die Gebete der Mönche verstummt waren und sich einer nach dem anderen erhob.
Als ich die Augen öffnete und aufstand, sah ich in das lächelnde Gesicht des Abtes. Unbemerkt von mir, war er mit Wang Lee herangetreten. Er musterte mich, befühlte meine Arme und stieß leicht mit seinen Fingern in meinen Bauch. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen und krümmte mich nach dieser leichten Berührung. Nachdenklich betrachtete mich der Abt einen Augenblick und wechselte dann einige Worte mit Wang Lee. Dieser nickte zustimmend und forderte mich dann auf ihm zu folgen. Er führte mich zu dem Platz, der neben den Unterkünften lag und auf dem die Mönche schon wieder trainierten. Etwas abseits von den anderen begannen wir mit einem Krafttraining, das meine Arme, Bauch- und Brustmuskulatur stärken sollte. Er machte mir verschiedenes vor, ließ es mich dann nachmachen und immer dann, wenn ich aufhören wollte, weil ich dachte es ginge nicht mehr, musste ich noch so lange weitermachen, bis es wirklich nicht mehr ging. Auch wies er mich immer wieder darauf hin, dass meine Atemtechnik nicht gut war und dass das richtige Atmen sehr wichtig sei. Bei all diesen Übungen nahm er auch noch seinen Chinesisch-Unterricht wieder auf, doch nur in den kurzen Pausen, in denen er mir die nächste Übung vorführte.
Nach einiger Zeit, ich war völlig durchgeschwitzt und bei einigen Bewegungen hinderte mich meine zu enge Hose, ging er mit mir zu meiner Schlafstelle und hielt mir die Kleidung hin, die noch vom Vortag im Zimmer lag. Als ich nicht gleich zugriff, zeigte er mir, dass ich so ausgestattet viel mehr Bewegungsfreiheit hätte und auch nicht so schnell schwitzen würde. Das waren Vorteile, die mich überzeugten und ich begann mich umzuziehen. Beim Binden der Bänder, die Schuhe und Strümpfe hielten, hatte ich Probleme und erst durch die Hilfe Wang Lees bekam ich das in den Griff.
Nach dieser kurzen Unterbrechung setzten wir das Training fort und ich war fast am Ende meiner Kraft, als um die Mittagszeit wieder ein Gong ertönte. Auf dem Weg in einen Teil des Klosters, den ich bisher noch nicht kannte, begann mein Magen gewaltig zu knurren, denn ich hatte seit dem Vortag nur Wasser zu mir genommen und nach den Anstrengungen des Vormittages hatte ich wirklich Hunger.
Wir erreichten die ‚Küche‘, die mich sehr an die des Lokals erinnerte, in dem wir am Vortag gegessen hatten. Sie war nur um einiges größer, da ja auch mehr Menschen zu versorgen waren, aber ansonsten fast gleich ausgestattet. Auch die Katzen, die sich in der Nähe aufhielten, um etwas abzustauben, fehlten nicht.
Es gab wieder Reis mit einer Gemüsesoße, aber keinerlei Fleisch und wie ich später erfuhr, ernährten sich die Mönche aufgrund ihres Glaubens rein vegetarisch. Der Kampf mit den Stäbchen, den ich am Vortag aufgenommen hatte, setzte sich an diesem Tag fort. Doch Wang Lee half mir sehr, den Umgang mit den Essstäbchen zu erlernen. Ich hatte schon einiges gegessen, als es in meinem Bauch zu rumoren begann. Anscheinend vertrug ich diese ungewohnte Nahrung doch noch nicht so recht. Aber der Hunger war groß und ich aß alles, was ich bekommen konnte.
Nach dem Essen begaben sich die Mönche wieder in den Tempel, um zu beten. Ich folgte ihnen, dankbar für die Ruhepause und versuchte mich zu entspannen. Nach einer Weile schlug das ungewohnte Essen wieder durch. Doch wohin sollte ich gehen, ich hatte bis jetzt noch keine Toiletten bemerkt. Schnell begab ich mich vor die Klostermauern und einige Meter seitlich in einen kleinen Wald. Dort scharrte ich mit einem Ast ein kleines Loch, das ich nach meiner Notdurft wieder mit Erde überdeckte. Erleichtert aber immer noch mit Bauchweh ging ich zu der Kochstelle und versuchte dem Koch, der eben seine Mahlzeit zu sich nahm, begreiflich zu machen, dass ich gerne so einen Tee hätte, wie ihn mir Wang Lee am Vortag gebracht hatte. Es dauerte recht lange, bis er mich verstand, doch dann bereitete er mir den gleichen Tee zu. Die Wirkung war wieder überwältigend und ich bedankte mich sehr beim Koch. Dieser schien sich über den Dank und das Lob sehr zu freuen, lächelte mich freundlich an und bedeutete mir, dass ich jederzeit zu ihm kommen könne , wenn ich etwas benötigte.
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