Dennoch warf sie sich sofort wieder so herum, sodass sie sehen konnte, was am Ausgang der Höhle geschah. Dass ihre Aktion ihren Gegner nicht erwischt hatte, war ihr natürlich nicht verborgen geblieben. Als sie das Monster dann wieder im Blickfeld hatte, gefror ihr beinahe das Blut in den Adern, denn es stand noch immer an der gleichen Stelle und auf dem ekelhaften lippenlosen Mund zeichnete sich ein deutliches, überlegenes Grinsen ab.
Mitten hinein in Melias Erkenntnis, dass sie versagt hatte aber hörte sie mehrere ungewöhnliche Geräusche, ganz so, als würde etwas knacken oder aufbrechen. Auch ihr Gegner schien das zu vernehmen, denn er fauchte erstaunt und blickte über sich.
Und da konnte Melia die Quelle der Geräusche ausmachen und auch die Risse erkennen, die sich im Fels immer weiter voran arbeiten. Schon im nächsten Augenblick wurde die Decke an dieser Stelle instabil und einige sehr große Felsbrocken rauschten in die Tiefe, wo sie ein wild quiekendes Monster unter sich begruben und ihm den Tod brachten.
Melia atmete hörbar aus und musste dabei stöhnen. Dennoch schien sie zufrieden.
Plötzlich aber vernahm sie neuerliches Brüllen aus dem Höhleneingang, als sich weitere Monster über die Trümmerhaufen hinweg auf sie zuschoben.
Doch bevor sie weiter reagieren konnte und sich auf die Beine zurückwuchtete, stürmten einige Männer an ihr vorbei und gaben aus ihren Waffen ein wahres Stakkato an Schüssen auf ihre Gegner ab.
Innerhalb weniger Augenblicke war die gesamte Höhle erfüllt von einem irrsinnigen Getöse, das wie das Rotorgeräusch eines Hubschraubers klang.
Zwischendrin war das Quieken der Bestien zu hören, die am Höhleneingang niedergemäht wurden. Doch schien es, als würden für jedes tote Insekt, zwei neue erscheinen und immer weiter in die Höhle vordringen.
Melia war geschockt und entsetzt zugleich von diesem Szenario. Alles schien in diesen Momenten irgendwie surreal und wie in Zeitlupe abzulaufen.
Ein eher zufälliger Blick zur Seite brachte sie zurück in die Realität. Denn dort konnte sie Chalek erkennen, der mittlerweile natürlich erwacht war. Er stand neben Nimas, der ihm jedoch keinerlei Beachtung schenkte und trotz des furchtbaren Spektakels in der Höhle blickte er beinahe ausdruckslos in ihre Richtung.
Sofort machte Melia kehrt und rannte zu ihm. Bevor sie ihn jedoch erreichte, kam Nimas mit besorgtem Blick auf sie zu. „Was zum Teufel ist passiert?“ rief er.
„Nach was sieht es denn aus?“ erwiderte Melia nicht gerade freundlich.
„Warum bist du nicht bei mir gewesen? Wo warst du?“ Nimas Ton wurde schärfer.
„Ich hatte etwas zu erledigen!“ gab sie knapp zurück und wollte an ihm vorbei zu Chalek gehen.
Doch Nimas hielt sie zurück. „Und was war das?“
Melia hielt in ihrer Bewegung inne und schaute ihn mit ernster Miene an. „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!“ Mit zwei schnellen Schritten war sie an Nimas vorbei und lief zu Chalek. „Alles okay?“ fragte sie.
Der Junge nickte.
Melia drehte sich zurück und während sie sehen konnte, dass die Männer trotz höchstem Waffeneinsatzes den Ansturm der Bestien nicht aufhalten konnten und immer mehr an Boden verloren, trat Nimas wieder zu ihr.
„Lass den Jungen!“ rief er. „Wir müssen von hier verschwinden!“
Melia starrte ihn verärgert an. „Hier!“ Sie reichte ihm ihre Waffe. „Sei ein Mann und kämpfe!“
„Was?“ Nimas war sofort geschockt. „Aber...?“ Er sah, wie sich Melia wieder zu Chalek beugte. „Ich kann nicht!“ Er trat zu den beiden, als sie sich gerade wiederaufrichtete.
Melia schaute ihn mitleidig, aber auch abschätzig an. „Dann gib sie wieder her!“ Mit einem kurzen Ruck nahm sie die Waffe an sich.
„Wir müssen von hier verschwinden!“
Melia nickte. „Da hast du ausnahmsweise einmal Recht!“ Sie reichte Chalek ihre linke Hand und der Junge nahm sie sofort an. Melia blickte sich um, um sich zu orientieren.
Nachdem sie in diese Höhle geflüchtet waren und sich eingerichtet hatten, gab es Männer, die aufgrund ihrer militärischen Erfahrung, die Führung der Gruppe übernommen hatten und entsprechende Fluchtpläne und Vorsichtsmaßnahmen für den Fall eines Angriffs ausgearbeitet hatten.
Jetzt musste sich also zeigen, was sie wert waren.
Bei einem Angriff durch den Haupteingang, so hatte man ihnen in einer großen Versammlung am gestrigen Abend erklärt, sollten sich alle sofort in den hinteren Stollen begeben und laufen, was das Zeug hielt.
Die Männer hatten Sprengladungen angebracht, die entsprechend gezündet werden würden, sodass der Stollen hinter ihnen einstürzen würde und dem Feind eine Verfolgung damit unmöglich war.
Da sich der Stollen im weiteren Verlauf mehrmals aufteilte und außerdem über eine sehr weite Strecke von etwa zwei Kilometern unter der Oberfläche verlief, standen die Chancen sehr gut, dass am anderen Ende niemand auf sie warten würde.
Entsprechend konnte Melia sehen, dass bereits sehr viele der Flüchtlinge auf dem Weg in den hinteren Höhlenbereich waren, wo sie in den Stollengang eintauchten.
Die Panik um sie herum hielt sich in Grenzen und Melia war wirklich überrascht, denn angesichts des furchtbaren Gemetzels am Höhleneingang wusste sie nicht wirklich zu sagen, wie lange sie noch ihre Beherrschung behalten konnte. Ohne weitere Verzögerung lief sie deshalb los und zog Chalek mit sich.
Wenige Sekunden später aber sollte sich alles ändern, denn erste, furchtbar grausame und schmerzhafte Schreie ertönten aus der Gruppe der Männer, die den Höhleneingang so tapfer verteidigten. Im Laufen blickte sich Melia um und konnte sehen, dass die Männer dem irrsinnig wuchtigen und schnellen Ansturm der Bestien nicht mehr Stand halten konnten und es erste Opfer unter ihnen gab. Wahllos zuckten die tödlichen Krallen hin und her, hackten in alles, was nicht schnell genug außer Reichweite kam und eröffneten ein grausames Blutbad.
Durch die Verluste ließ die Gegenwehr der anderen Männer spürbar nach und der Feind kam scheinbar unaufhaltsam und erschreckend schnell voran. Dennoch zogen sie sich nur langsam und beeindruckend geordnet zurück und stellten sich weiterhin dieser schrecklichen Armada aus teuflischen Wesen. Melia bewunderte sofort den Mut der Männer, die wissen mussten, dass sie heute hier sterben würden. Vielleicht aber hatte ihnen ihre eigene Angst so viel Adrenalin in den Körper gepumpt, dass ihr Gehirn unfähig war ihr Schicksal noch zu realisieren.
Die Schreie ihrer Verteidiger wurden natürlich auch von den anderen Flüchtlingen gehört und innerhalb weniger Sekunden war es vorbei mit der Ordnung und die längst überfällige Panik brach umso wuchtiger aus.
Der Stollen, auf den alle zustrebten, war zwar nicht gerade eng, aber dennoch hatten sich zwei Männer mit Waffen an seinen Eingang gestellt und sorgten dafür, dass nicht mehr als vier Personen gleichzeitig nebeneinander hineinliefen.
Mit dem Tod der ersten Verteidiger am Höhleneingang aber stürmte der Rest der Flüchtlinge – und das waren immer noch weit über einhundert Personen – schreiend und unkontrolliert auf sie zu und innerhalb weniger Sekunden war der Durchgang verstopft, was die Hektik natürlich weiter ankurbelte.
Um nicht noch zusätzlichen Druck auszuüben und zu riskieren, in dem Gewühl die Kontrolle über sich und den Jungen zu verlieren, verlangsamte Melia ihren Lauf.
Weitere furchtbare Schreie ließen sie herumfahren. Der Feind kam immer näher, die Abwehr der Männer wurde immer schwächer. Melia sah, wie einer von ihnen von einem der Monster frontal attackiert wurde. Zwar gelang es ihm, es zu töten, doch schon stand ein weiteres Untier vor ihm und dieses Mal reagierte er zu langsam. Die Krallen schossen auf ihn zu und mit einem lauten Schrei wurde er aus dem Stand heraus mehrere Meter weit nach hinten geschleudert. Nicht weit von Melia entfernt schlug er zu Boden, wo er seine Waffe aus den Händen verlor und stöhnend liegen blieb.
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