„Das…!“ Der Alte starrte ebenfalls gebannt und sichtlich beeindruckt auf das Geschehen vor ihm, jedoch glaubte Vilo, keinerlei Angst oder Nervosität an ihm zu sehen, ja sogar den Anflug eines Lächelns, was ihn misstrauisch machte und noch zusätzlich beunruhigte. „...ist das Herz des Waldes!“
„Was?“ rief Cosco und sein Kopf fuhr herum. „Aber, ich dachte...!“
Damos lachte leise auf. „Dass das Hirngespinste eines alten, senilen Mannes sind?“ Er schüttelte grinsend den Kopf. „Tja, Pech gehabt!“
„Wer ist da?“ Die Stimme dröhnte tief und in einer allumfassenden Intensität über die Lichtung.
Vilo wusste nicht zu sagen, woher sie kam, doch konnte er sie beinahe körperlich spüren.
„Hat da jemand was gesagt?“ fragte Cosco und blickte sich suchend um.
Im nächsten Moment erschrak er, genauso wie Vilo, als ein lautes Grollen hinter ihnen ertönte. Beide fuhren herum und konnten sehen, wie die beiden Bestien, die ihnen gefolgt waren, durch den Blättervorhang ebenfalls auf die Lichtung kamen. Eine von ihnen brüllte, während sie in einigen Metern Entfernung neben Vilo an den Rand der Senke trat. Die andere blieb im Hintergrund zurück.
Das Tier, dessen tiefschwarzes, borstiges Fell Vilo jetzt viel besser erkennen konnte, blieb stehen und brummte noch einmal, ganz so, als würde es der Stimme, wo immer sie auch hergekommen sein mochte, antworten.
Ohne, dass Vilo es bemerkt hätte, hatte sich eine der schenkeldicken Wurzeln auf das Monster zu bewegt und erhob sich jetzt vor ihm aus der Senke, während an ihrer Spitze eine deutliche Veränderung vorging. Wie in einer fließenden Bewegung, verwandelte sie sich zu einem langgezogenen, unheimlichen Schädel mit zwei flammend gelben Augen, einem dunklen Loch als Nase, dafür aber mit einem grässlichen, lippenlosen Maul mit spitzen, grauen Zahnreihen und einer dicken, blutroten Zunge, aus dem dickflüssiger, grüner Sabber zu Boden tropfte. Die lederartige Haut spannte sich eng über den bizarr anmutenden Schädelknochen und verlieh ihm das Aussehen eines Monsters aus einem Horrorfilm.
Und während dieses... Ding ...ohne Körper am Ende der Wurzel vor dem mächtigen Tier hin und her wogte, brummte, grollte und brüllte die Bestie noch mehrmals, als wolle sie dem Wesen erklären, was geschehen war.
Vilo starrte in einer Mischung aus Faszination und Ekel auf dieses Schauspiel.
Plötzlich aber deutete das Monster mit dem Kopf in ihre Richtung. Nur einen Wimpernschlag später wirbelte der widerliche Schädel zu ihnen herum und starrte sie mit einem zischenden Fauchen extrem bösartig und zornig an, sodass Vilo derbe erschrak und sich sein ganzer Körper schlagartig versteifte.
„Oh Scheiße!“ hörte er Cosco neben sich sagen. Vilo wandte nur zögerlich seinen Blick in die Richtung des Captains, doch während er das tat, hörte er bereits weitere, bösartige Zischlaute und erstarrte erneut und noch viel brutaler, als er sehen konnte, wie sich ein Dutzend weitere Wurzeln aus der Senke erhoben und auf sie zu schwebten und sich dabei ebenfalls in grässliche Schädel verwandelten.
Fasziniert und gleichzeitig doch angeekelt, musste er mit ansehen, wie diese Dinger langsam näherkamen und er jede noch so widerliche Einzelheit in ihren ekeligen Fratzen immer deutlicher erkennen konnte.
Neben sich hörte er Cosco leise aufstöhnen, dann hörbar ausatmen und schließlich seine Worte. „Ich bin dann mal weg!“ Im selben Moment machte der Captain kehrt und rannte auf den Ausgang der Lichtung zu.
Vilos Kopf wirbelte herum und in seinem Gesicht stand großes Entsetzen, als er sah, was Cosco tat.
„Was?“ Wieder dröhnte diese wuchtige Stimme in seinem ganzen Körper. Und sie klang ärgerlich und absolut gereizt!
Sofort danach schossen vier armdicke Wurzeln aus der Senke heraus und über Vilos Kopf hinweg auf den Captain zu. Eine Sekunde später hatten sie ihn erreicht. Während sie ihn mühelos vom Boden pflückten – zwei Wurzeln wickelten sich um je einen Oberarm, eine um seine Taille und eine um seinen Hals – schrie Cosco erbärmlich auf, doch konnte er diesem Angriff nichts entgegensetzen. Rüde wurde er zurückgerissen und seine Schreie klangen schmerzvoll.
Vilo zwang sich aus seiner Starre. Er musste dem Captain helfen. Ohne zu zögern riss er sein Schwert in die Höhe, sprang auf den erstbesten der Wurzelarme zu – es war der, der Coscos Hals umschlossen hielt - und ließ die Klinge wuchtig herabsausen.
„Nicht!“ Den verzweifelten Schrei des Alten hörte er zwar noch, doch konnte und wollte er seine Aktion nicht beenden. Die höllisch scharfe Klinge schnitt durch die Wurzel wie Butter. Während das Ende um Coscos Hals schlagartig erschlaffte, zuckte der Stumpf aus der Senke wild umher. Gleichzeitig ertönte ein schrecklich quiekender Schrei in einer irrsinnig lauten und allumfassenden Intensität durch Vilos gesamten Körper, dass er aufschreien und sich vor Schmerzen krümmen musste.
„Komm her!“ Die dröhnende Stimme war wütend und nutzte Vilos Schmerzen aus, um blitzschnell und gnadenlos zu reagieren. Weitere armdicke Wurzeln schossen aus der Senke und pflückten sowohl Vilo als auch Damos aus dem Stand heraus in die Höhe, wobei jeweils eine von ihnen ihren Hals fest umschloss. Auch Cosco bekam eine neue Halskrause verpasst.
Während die drei zusammen ruckartig über die Senke gerissen wurden, konnten sie nur schreien, wodurch sich der Griff um ihre Hälse verstärkte und sie wild nach Luft ringen mussten.
Vilo versuchte gegen die Umklammerung anzukämpfen, doch spürte er die ungeheure Kraft in den Wurzeln, gegen die er nicht das Geringste auszurichten vermochte. In den Augenwinkeln sah er, dass auch die beiden anderen keine Chance gegen dieses Wesen hatten, das sie eisenhart gepackt hielt und jetzt langsam so herumdrehte, dass ihre Gesichter wieder in Richtung Baum schauen konnten.
„Ihr wagt es...?“ brüllte die Stimme wütend und die Wurzeln wurden noch enger gezogen. Vilo spürte eine kochende Hitze in sich aufsteigen und hatte das Gefühl, sein Kopf müsse gleich zerspringen.
„Nein!“ Damos konnte mit der letzten Luft dieses Wort formen.
„Ihr wagt es, eure Hand gegen mich zu erheben?“
„Nein!“ Noch einmal gelang es dem Alten, seinen Mund zu öffnen.
„Was?“ Die Stimme klang erneut wütend und einer der widerlichen Schädel schoss auf Damos zu. Trotz seiner Schmerzen konnte Vilo noch erkennen, dass die Stimme nicht von dem Schädel kam, dessen Mund sich nicht bewegte, sondern noch immer irrsinnig kraftvoll aus dem Nichts in seine Ohren dröhnte. „Du versuchst auch noch, es zu leugnen? Du bist erbärmlich. Stehe zu deinen Taten, dann wirst du zumindest ehrenvoll sterben!“
„Wir...haben keine...bösen Absichten!“
„Was?“ Die Stimme klang voller Hohn. „Wie kannst du es wagen, es abzu...?“ Der eklige Schädel war jetzt ganz dicht vor Damos Gesicht, als die Stimme plötzlich verstummte. Für einen unendlich langen Moment schien das Wesen den Alten zu betrachten. „Ich kenne dich!“ stellte es dann fest und der Druck auf Damos Hals verringerte sich.
„Weil ich nicht zum ersten Mal hier bin!“ rief der Alte schnell, während er nach Luft rang.
Wieder betrachtete ihn der Schädel sabbernd. „Ja, ich erinnere mich. Du warst schon einmal hier!“
„Damos!“ Vilo nahm seine letzte Kraft zusammen und rief dem Alten seinen Namen zu, damit er sehen konnte, dass er und Cosco nicht mehr viel Zeit hatten, bevor sie jämmerlich ersticken würden.
Damos warf ihm einen wissenden Blick zu. „Ja. Und ich habe dich immer geachtet!“ sagte er zu dem Schädel.
Das Wesen brummte. „Ich habe dir vertraut!“ stellte es zufrieden fest.
„Genau!“ stimmte Damos schnell zu.
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