Mit seiner linken Hand gab Vilo den beiden Männern ein Zeichen, ihm zu folgen, während er rücklings immer weiter auf den Pfad zustrebte. Die Bestie schien auf eine gewisse Art zufrieden zu sein, dass er sich von ihr entfernte, denn ihr Grollen klang fast zustimmend.
Vilo sorgte dafür, dass Cosco und Damos hinter ihn gelangten und den Pfad als Erste erreichten. „Bei drei nehmt ihr eure Beine in die Hand und rennt, was das Zeug hält, klar?“ flüsterte er ihnen zu.
Cosco nickte sofort, nur Damos war nicht zufrieden. „Aber...!“ setzte er an, doch Vilo fuhr ihm dazwischen.
„Kein Aber! Tun sie, was ich sage! Sonst werfe ich sie ihm als Erstes zum Fraas vor!“
Bevor Damos nochmals widersprechen konnte, wurde er von Cosco mit einem finsteren Blick in den Pfad hineingeschoben. Vilo folgte ihnen. Gerade als er schon glaubte, das Tier würde ihnen nicht folgen und sie würden ohne zu rennen davonkommen, machte es zwei kurze Schritte auf sie zu und brummte grollend.
Vilo erschrak, da er total angespannt war. „Drei!“ rief er, drehte sich um und rannte los, wobei er auf den ersten Metern die beiden Männer vor ihm, vor sich herschieben musste, bevor auch sie Geschwindigkeit aufgenommen hatten. Während sie dennoch mehr schlecht als recht über den engen Pfad hechelten, konnten sie hinter sich wütendes Brüllen und das deutliche Krachen von Holz vernehmen, das ihnen zeigte, dass das Monster keineswegs zurückblieb, sondern ihnen und das anfangs auch noch in einem beängstigenden Tempo folgte.
Dann schien es jedoch, als könnten sie den Abstand zu ihrem Verfolger wieder vergrößern und gerade als Vilo sich darüber freuen wollte, schoss eine zweite Bestie einige Meter vor ihnen aus dem Dickicht auf den Pfad, versperrte ihnen wild brüllend den Weg und ihm rutschte das Herz quasi in die Hose.
Cosco reagierte wieder am schnellsten und bog eher instinktiv in einen weiteren Pfad ab, der rechts vor ihnen auftauchte.
Da sie dadurch dennoch an Geschwindigkeit verloren, konnte Damos sich mit einem Zwischenspurt neben die beiden anderen setzen. „Wartet!“ rief er.
Doch Vilo schaute ihn nur beinahe mitleidig an, als habe der Alte vollkommen den Verstand verloren, angesichts ihrer Verfolger auch nur im Entferntesten an so etwas Dämliches zu denken und beschleunigte demonstrativ noch mehr.
Aber Damos ließ nicht locker. „Anhalten!“ Er streckte seine rechte Hand nach Vilos linkem Oberarm aus und bekam seine Jacke dort zu fassen. Während er seinen Lauf verlangsamte, breitete er auch seinen linken Arm seitlich aus und blockte damit Cosco.
„Sind sie bescheuert, Mann?“ brüllte der Captain sofort total verärgert. „Was machen sie denn?“
Auch Vilo ließ sich nur widerstrebend zurückhalten. „Damos verdammt, was soll denn das?“ Er blieb stehen, drehte sich zu dem Alten und giftete ihn direkt an. „Sehen sie denn nicht, dass diese Bestien uns vor sich hertreiben? Die werden uns fressen, Herrgott noch mal!“
Doch Damos schüttelte den Kopf, nur um gleich darauf zu nicken. „Uns vor sich hertreiben, ja!“ Er war ziemlich außer Atem und schüttelte wieder den Kopf. „Uns fressen, nein!“
„Aber...?“ Vilo war sichtlich irritiert. „Woher wollen sie das wissen?“
„Ich...kenne diese Wesen!“
„Was?“ Das war fast ein Aufschrei von Cosco. „Aber woher zum Teufel?“
„Ich habe ihnen gesagt, dass ich hier schon einmal war!“
Vilo wollte etwas erwidern, doch er hielt inne und atmete einmal tief durch. „Und wohin bitte schön...?“ begann er dann und kniff sein rechtes Auge misstrauisch ein wenig zusammen. „...wollen sie uns treiben?“
Damos atmete einige Male hektisch durch, dann streckte er seinen Körper und blickte Vilo direkt an. Zeitgleich hob er seinen linken Arm und teilte damit das schier undurchdringliche Buschwerk, das sich in diesem Teil des Waldes aus unzähligen dünnen, elastischen Ästen zusammensetzte, die von den mächtigen Kiefern herabhingen und fast wie ein Vorhang wirkten. „Dahin!“
Und während Vilo und auch Cosco seinem Blick auf die angrenzende Lichtung folgten, wussten sie, dass der Alte wohl doch nicht verrückt war.
Sowohl Vilo als auch der Captain waren sicher, dass sie etwas Derartiges noch nicht gesehen hatten.
Während sie Damos durch den Vorhang aus Blättern langsam auf die Lichtung hinaus folgten, erkannte Vilo in den Augenwinkeln, dass die beiden Bestien sich ihnen langsam näherten.
Äußerlich scheinbar nur total beeindruckt, war er innerlich aufs Äußerste angespannt und rechnete jeden Moment mit einer Katastrophe.
Dann aber nahm ihn der Anblick dessen, was sich vor ihnen auftat, doch vollkommen gefangen.
Die Lichtung, die Vilo auf etwa einhundert Meter in jede Richtung schätzte, ging nach wenigen Schritten in eine leichte Senke über.
An den Rändern gab es ausschließlich Blättervorhänge, ähnlich dem, durch den sie gekommen waren und umrahmten den Platz mehr wie Wände, denn wie ein natürlicher Pflanzenwuchs.
„Allmächtiger!“ entfuhr es Cosco und als Vilo ihm einen Seitenblick zuwarf, konnte er sehen, dass der Captain mit offenem Mund direkt nach vorn und schräg nach oben schaute.
Vilo folgte seinem Blick mit einer düsteren Vorahnung, doch was er sah, ließ ihn sichtlich erstaunen.
Direkt vor ihnen, im hinteren Teil der Lichtung, erhob sich ein absolut gewaltig zu nennender Baum. Vilo wusste auf Anhieb nicht zu sagen, ob es sich dabei um eine Rombas-Kiefer handelte. Der mächtige Stamm schoss sicherlich gut sechzig Meter in den Himmel und sein riesiges Astwerk überspannte die Lichtung beinahe komplett und einen großen Teil des sich im Hintergrund anschließenden Waldes derart dicht, dass der sternenklare Himmel über ihnen kaum noch zu erkennen war. „Wow!“ stieß Vilo mit großen Augen hervor und war absolut beeindruckt von diesem Anblick. Immer wieder erhaschte er neue, faszinierende Astformen und der Wind schien in dem millionenfachen Blätterwerk ein eigenes, wisperndes Lied zu singen.
„Oh Mann!“ Wieder hörte er Coscos Stimme neben sich und er war überzeugt davon, dass es ein erneuter Ausruf wegen dieses beeindruckenden Bildes vor ihnen war, doch als er zu ihm schaute, sah er, dass der Captain seinen Blick gesenkt hatte und jetzt ziemlich entsetzt in die Senke blickte.
Wieder folgte Vilo ihm und als er erkennen konnte, was sich dort am Boden vor ihnen auftat, erstarrte er augenblicklich und ein eiskalter Schauer kroch über seinen Rücken.
Es war ihm, als würde er in eine Schlangengrube blicken und er war sich sofort sicher, dass er keinen besseren Vergleich hierfür finden konnte und doch wirkte alles viel gespenstischer auf ihn, denn das, was da in der Senke wie ein riesiger Haufen Schlangen wirkte, waren augenscheinlich die Wurzeln des Baumes, die jedoch nicht in den Boden verliefen, sondern sich in einem schier unendlichen Wirrwarr über dem Boden wanden – sich dabei jedoch bewegten !
Vilo erkannte gewaltige, lange Wurzeln, die sicherlich zehnmal so dick wie ein menschlicher Oberschenkel waren und sich dicht über den Boden schlängelten. Da waren aber auch unzählige dünnere Wurzeln, die wie irrsinnig lange Arme einer Schlangenbeschwörerin in einem undefinierbaren Rhythmus hin und her wogten. Und es gab dünne Wurzeln, kaum dicker als ein Bindfaden, die sich wie Fühler bewegten und die Lichtung vor ihnen zu beobachten schienen.
All das in einer derartigen Vielfalt und Menge, dass es für Vilo vollkommen unmöglich war, das ganze Geschehen vor ihm mit einem Blick zu erfassen und seine Augen ständig hin und her zuckten. Gleichzeitig blieb die eisige Kälte in seinem Inneren, die ihm eine unangenehme Gänsehaut nach der anderen bereitete und eine nagende Unruhe in ihm auslöste. „Was zur Hölle ist das?“ stieß er hervor und warf Damos einen Seitenblick zu.
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