Aber Pierre war eben Pierre und die Gewohnheit der Tod einer jeden Beziehung. Fröhlich pfiff sie vor sich hin, überlegt, wo sie ihr Portemonnaie hingelegt hatte und tänzelte um das Bett herum, als plötzlich das Telefon auf dem Nachttischchen klingelte. Jana Hardenberg zuckte zusammen. Niemand kannte diese Nummer. Sie starrte auf das Telefon und der Schreck löste sich allmählich wieder. Sie lachte auf und schüttelte den Kopf.
„Sicher ist es die Rezeption“, murmelte sie vor sich hin und griff nach dem Hörer.
„Jana Hardenberg“, sagte sie mit einem neugierigen Ton in der Stimme und lauschte. Als sie die ersten Worte des Anrufers hörte, fuhr ihr der Schreck in alle Glieder.
„Hallo, hier ist Pierre. Gehen wir zusammen essen?“
Sie brachte keinen Ton heraus, ließ sich fassungslos auf das Bett sinken. Sie schluckte, bevor sie die ersten Worte fand. „Nein, das ist jetzt nicht wahr! Sag bitte nicht, dass du auf Mallorca bist, Pierre!“, zischte sie mehr, als dass sie sprach.
Sie fuhr sich mit der Hand über das nasse Haar und wollte schon voller Zorn los schreien, doch sie bremste sich noch.
„Doch, ich bin unten in der Lobby. Wie war dein Tag?“
Ihre Wut fegte den Ansatz von Erholung weg, den sie bis gerade eben gespürt hatte. Sie atmete tief ein.
„Mit wem du auch immer heute essen gehen wirst, ich werde es definitiv nicht sein!“, schleuderte sie ihm entgegen und knallte den altmodischen Telefonhörer auf die Gabel. Ein aufgewühltes Gefühl bemächtigte sich ihrer. Wie konnte er so dreist sein, ihr hinterher zu reisen? Sich über die Trennung hinwegzusetzen und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. Doch sie wunderte sich eigentlich nicht. So war Pierre. Dinge, die ihm nicht passten, ignorierte er. Ignorierte er so lange, bis er sie einsehen musste.
Eine böse Vorahnung keimte in ihr auf. Wenn sie Pech hatte, wohnte er im gleichen Hotel und sie würde ihn die ganze Zeit an der Backe haben. Sein Gejammer und seine Liebesschwüre inklusive. Aufgeregt kaute sie auf ihren Lippen und dachte nach. Dann hatte sie einen Plan gefasst. Sie griff nach der Umhängetasche, schlüpfte in die Sommerlatschen und schlich sich durch das Treppenhaus nach unten in die Lobby.
*
Cala Llombards
Marie sprang aus Carola Pütz altem Renault-Kangoo heraus und tapste erst einmal zum nächsten Busch, um dort das Bein zu heben. Marie konnte sittsam in der Hocke ihr kleines Geschäft verrichten, meistens aber hob sie ein Bein. Je nachdem, wonach ihr der Kopf stand. Carola schlug die Heckklappe zu und sah zu Reto herüber. „Nimmst du sie bitte an die Leine?“, sagte sie und Reto hielt als Antwort die Hundeleine hoch. Spanien hatte aus Marie einen leisen Hund gemacht. Sie bellte selten und wenn, dann aus gutem Grund. Entweder näherte sich jemand dem Grundstück oder dem Fahrzeug, in dem Marie gerade saß. Ansonsten war sie der entspannteste Hund, den Carola je gesehen hatte. Auch an den wenigen Wildtieren, die auf der Insel lebten, zeigte sie sich mittlerweile völlig desinteressiert. Der Jagdinstinkt gehörte nicht zu ihren herausragenden Eigenschaften. Aber das war Carola eher recht, als dass es sie störte. So konnte sie den Hund überall ableinen. In diesem Moment fing es von rechts irgendwo an heftig zu bellen. Marie spitzte die Ohren und als hätte sie es bislang noch nicht bemerkt, wo sie sich befanden, konnte Carola in diesem Moment vom Blick ihrer Hündin ableiten: Sie hatte es begriffen.
Der, der lautstark bellte, war ihr Lieblingsfeind – eigentlich war es ihr einziger. Wenn man einen fußballgroßen und trotzdem größenwahnsinnigen Shi-Tzu-Rüden überhaupt ernst nehmen und als Feind bezeichnen konnte. Der Hund gehört einem Ladenbesitzer in Cala Llombards, dort erledigte Carola ihre Einkäufe. Normalerweise nahm sie dafür nicht das Auto, sondern das Fahrrad. Aber heute wollten sie danach noch an den Strand. Nicht lange, nur für ein paar Minuten. Von ihrem Haus aus konnte man drei der schönsten Buchten der Insel mit dem Fahrrad erreichen. Die Cala Llombards und weiter im Süden die Caló des Moro oder auf der anderen Seite der Landzunge die verwunschene Cala S’Almunia. Das hatte sie nicht gewusst, als sie das Haus kaufte – sicher wusste es der Makler auch nicht – doch jetzt hatte sie es lieben gelernt. Eine Viertelstunde später rollte der Kangoo den steilen Carrer d’es Garrover hinab an den Strand. Der Parkplatz, der eigentlich nur aus verdichtetem Sand bestand, war für die Jahreszeit gut gefüllt. Dennoch konnte sie bis ganz nach vorne fahren und das Auto neben einem Wohnmobil mit deutscher Zulassung parken. Dort, wo bis weit in den September die Vermieter der Liegen und Sonnenschirme ein gutes Geschäft machten, waren jetzt nur wenige belegt. Die meisten Besucher lagen direkt am Meeressaum. Selbst die Strandbar hatte geschlossen, die Rollläden aus Bast waren heruntergelassen. Ein weißes Schild mit schwarzen Buchstaben vertröstete die Badegäste auf den kommenden Tag. Carola zog sich ihr Sommerkleid aus, unter dem sie schon den Bikini trug. Mit einem Freudenschrei stürmte sie ins Wasser und tauchte in die nächste Welle. Reto begnügte sich damit, am Rand stehen zu bleiben und zusammen mit Marie dem Frauchen zuzuschauen. Vor seinen Augen tauchte sie wieder auf, schüttelte sich und begann mit eleganten Kraulzügen auf das Meer hinauszuschwimmen. Marie hatte sie genau im Blick, und als sie nur noch als kleiner Punkt zu sehen war, begann der Hund leise zu fiepen. Reto beugte sich zu ihr hinab und kraulte sie im Nacken. Marie sah ihn kurz an, dann richtete sie wieder den Fokus auf den kleinen Punkt im Wasser. Wieder das leise Fiepen.
„Ist alles gut, meine Kleine. Caro kommt gleich zurück. Sie weiß schon, was sie tut!“, sagte er mit beruhigender Stimme. Dessen war er sich zwar selbst nicht so sicher, aber die Worte kamen sehr überzeugend aus seinem Mund. Das Fiepen wurde leiser.
Als Carola fünf Minuten später wieder aus dem Wasser kam und sich schüttelte, tat Marie es ihr gleich. Die Anspannung fiel von ihr ab und sie zog wie wild an der Leine.
„Oft darfst du das deinem Hund nicht antun“, sagte Reto tadelnd. Marie wedelte mit dem ganzen Körper, wartete darauf, dass Carola sie kraulte.
„Hast du mich vermisst?“
Als Antwort kam jetzt nur ein lautes Bellen.
*
Deià
Lothar Mensing stand am Fuß der Treppe, die zur Hotel-Lobby hinaufführte und horchte in sich hinein. Eigentlich hatte er mit Vielem gerechnet, mit einem schlechten Gewissen, bohrendem Skrupel oder aufgeregter Vorfreude. Doch tatsächlich fühlte er in diesem Moment gar nichts. Nur eine unendliche Leere. Noch konnte er zu Juan gehen und ihm gestehen, dass alles ein großer Fehler sei und er umkehren wolle. Umkehren, als hätte er nie vorgehabt, sich einen Mann ins Bett zu holen. Juan würde ihn hassen. Das stand fest. Aber sollte er deshalb die unerträgliche Leere in seinem Kopf weiter zulassen? Er wusste darauf keine Antwort. Er strich sich zum wiederholten Mal die Haare aus der Stirn.
Was sollte er tun?
*
Cala Llombards
Sie saßen im Wohnzimmer von Carola Pütz Haus. Sie weigerte sich, das kleine Anwesen als Finca zu bezeichnen, weil es einfach vom Terrain her zu klein war. Ihre Frankfurter Freunde hatten sie schon als Finca-Besitzerin hochgelobt, doch sie hatte sie eingebremst. Das Haus war ein Haus mit Grundstück – mehr nicht. Wunderbar geschnitten, kühl im Sommer, dank der kleinen Fenster und grünen Schlagläden und warm im Winter – es gab einen wohlige Wärme ausstrahlenden Kaminofen. Ein kleiner weißer Kubus am Meer, mit einer genialen und unverbaubaren Aussicht obendrein.
An den weißen Wänden hingen grellbunte Bilder, die sie von einer befreundeten Frankfurter Galeristin erstanden hatte. Auf dem Boden aus original mallorquinischen Fliesen lagen ein paar Teppiche mit einfachen Mustern, die es nicht mit der Gewagtheit der Farbvielfalt der Malerei aufnehmen konnten und auch nicht sollten. Ruhe für die Augen, hatte Carola gesagt, als sie sie zusammen ausgesucht hatten. Reto hatte sofort verstanden, dass sie so nicht in die Gefahr geriet, irgendetwas zählen zu müssen – Karos, Punkte oder was auch immer. Die Möbel waren aus Pinienholz und er hatte gar nicht erst nach dem Preis gefragt. Sicher waren sie sündhaft teuer gewesen. Geld spielte bei Carola keine Rolle.
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