Brayan selbst wusste Liams Vertrauen sehr zu schätzen und freute sich, ihn zum Freund zu haben. Er würde alles für ihn tun. Wenn es sein musste auch sein Leben für ihn geben.
Am späten Nachmittag erreichte die kleine Gruppe schließlich die Hafenstadt Port Royal. Zunächst suchten sie das Hotel auf, in dem sie zwei Zimmer gemietet hatten. Es lag in einer ruhigen Seitenstraße und war nicht weit vom Hafen entfernt. Nachdem sie sich durch das geschäftige Treiben im Inneren der Stadt gekämpft hatten waren sie froh, als sie endlich vor dem weißgetünchten dreistöckigen Haus standen, das von einer Schmiede und einem weiteren Hotel eingerahmt wurde. Das kleine Hotel verfügte über einen eigenen Mietstall in dem sie ihre Pferde unterstellen konnte. Die beiden Männer, die sie begleiteten, würden zur Sicherheit bei den Pferden im Stall übernachten. Liam wollte kein Risiko eingehen. Port Royal war weithin als unsichere Stadt bekannt, was nicht zuletzt an den vielen Fremden lag, die sich hier aufhielten. Durch den großen Hafen war dies nicht sehr verwunderlich.
Während Alex und Elena im Hotel blieben machten Liam und Brayan sich noch einmal auf den Weg in die Stadt um dort einen Kaufmann aufzusuchen, der Liam Geld schuldete. Es handelte sich dabei um eine nicht unerhebliche Summe, die Liam dem Kaufmann bei seinem letzten Besuch gestundet hatte. Nun würde er jedoch darauf bestehen sein Geld zu bekommen. Daher hatte er seinen Besuch zuvor nicht angemeldet. Er hatte sichergehen wollen den Kaufmann auch anzutreffen.
Dieser war sichtlich überrascht als Liam, gefolgt von Brayan, plötzlich in seinem kleinen, dunklen Laden stand. Da gerade keine Kundschaft im Laden war, kam Liam gleich zur Sache. Zunächst versuchte der Kaufmann – ein kleiner, fülliger, schwitzender Engländer – Liam mit allerlei Ausflüchten hinzuhalten. Liam ging jedoch auf keine seiner Ausreden ein und eine knappe Geste Brayans, die dem Kaufmann für einen kurzen Augenblick seine gut versteckten Waffen offenbarte, ließ ihn schließlich resigniert nicken und er holte ein kleines, verschlossenes Kästchen hervor und reichte Liam gleich darauf ein Bündel Geldscheine. Liam zählte die Summe in Ruhe nach – eine Geste, die den kleinen Mann hinter der Ladentheke noch mehr schwitzen ließ – und nickte schließlich zufrieden. Der Engländer zwang sich zu einem unglücklichen Lächeln, die Erleichterung war ihm jedoch dennoch anzusehen. Er hatte sichtlich Angst vor Liam und Brayan gehabt. Gleich darauf verließen sie den Laden wieder und kehrten zum Hotel zurück.
Gegen halb sieben machten sie sich zu viert auf den Weg zum Haus des Bürgermeisters, wo der Empfang stattfand. Da das Haus nicht weit von ihrem Hotel entfernt war gingen Liam, Brayan, Alex und Elena zu Fuß. Es war noch immer drückend warm obwohl die Sonne bereits tief stand und die Straßen im Schatten lagen. Erleichtert betraten sie schließlich das Haus des Bürgermeisters, wo sie überschwänglich empfangen wurden. Im Inneren des großen, auf einer Anhöhe gelegenen Hauses war es angenehm kühl.
Der Bürgermeister selbst und seine Frau begrüßten Liam und seine Begleiter.
„Wie schön Euch endlich wieder einmal in Port Royal zu sehen, Mr. Moore“, sagte Don Miguel lächelnd, während er fest Liams Hand drückte.
„Es ist uns eine Ehre“, entgegnete Liam höflich und erwiderte den Händedruck. Dann begrüßte er die Frau des Bürgermeisters.
„Ihr seht ganz bezaubernd aus.“
„Oh, Ihr seid ein Schmeichler“, tadelte Doña Anna Liam mit einem herzlichen Lächeln. Sie freute sich sichtlich über das Kompliment und mochte Liam aufrichtig, wenngleich sie ihn und seinen Bruder in den letzten Jahren nur selten gesehen hatte.
„Bitte kommt mit“, sagte Doña Anna schließlich, nachdem sie alle begrüßt hatte. „Ich möchte Euch einigen anderen Gästen vorstellen.“
Gleich darauf folgten die vier der Frau des Bürgermeisters und wurden der Reihe nach verschiedenen kleineren und größeren Gruppen vorgestellt. Alex beobachtete mit stiller Belustigung, wie Liam neugierige und beeindruckte Blicke erntete, sich jedoch nichts anmerken ließ. Ihm war jedoch ebenfalls klar, dass auch er selbst und Brayan aufgrund ihrer Gestalt nicht unbemerkt blieben. Wenig später teilten sie sich auf und waren gleich darauf auf verschiedene Grüppchen verteilt und in Gespräche verwickelt. Erst als das Buffet eröffnet wurde trafen sie sich wieder.
Als nach dem Essen der erste Tanz eröffnet wurde hielt Liam sich ein wenig im Hintergrund auf, da er nicht sonderlich gerne tanzte, obwohl er ein guter Tänzer war. Er beobachtete die Tanzenden lieber vom Rand der Tanzfläche und es freute ihn, seinem Bruder und Elena zuzusehen, die sich die ganze Zeit über, während der sie tanzten, glücklich anlächelten. Dann tauchte auf einmal Doña Anna neben ihm auf und Liam fürchtete schon, sie wolle ihn um den nächsten Tanz bitten. Doña Anna wusste jedoch um Liams Abneigung gegen das Tanzen und leistete ihm nur Gesellschaft und unterhielt sich mit ihm. Nach einer Weile forderte sie Liam plötzlich auf ihr zu folgen.
„Bitte kommt mit“, bat sie ihn lächelnd. „Ich würde Euch gerne jemanden vorstellen.“
Überrascht nickte Liam und folgte ihr. Elegant bahnte Doña Anna sich einen Weg durch die plaudernden Gäste hindurch bis sie eine weitere siebenköpfige Gruppe erreichte. Die Gruppe war in ein Gespräch vertieft, bei dem scheinbar einer der Herren die meiste Zeit über das Wort führte. Die anderen waren nur Zuhörer, wie Liam beim Näherkommen bemerkte. Er hielt ein Stück hinter Doña Anna an, während diese leise eine junge Frau ansprach, die ihnen den Rücken zugewandt hatte. Sie trug ein elegantes, bodenlanges Kleid aus glänzender dunkelbrauner und cremefarbener Seide. Ihr dunkelbraunes Haar hatte sie zurückgesteckt und es fiel ihr in langen, seidig-glänzenden Strähnen über den Rücken und reichte ihr bis über die schlanke Taille.
Als Doña Anna sie ansprach wandte sie ihr leicht den Kopf zu, doch just in diesem Moment zwängte sich einer der anderen Gäste an Liam vorbei und verdeckte ihm so den Blick auf die fremde Frau und Doña Anna. Liam fragte sich, was Doña Anna ihr wohl sagte, denn es dauerte einige Augenblicke bis sie sich schließlich umwandte und neben der Frau des Bürgermeisters auf Liam zutrat. Vor Überraschung stockte Liam der Atem. Das war doch nicht möglich! Nie, nicht einmal im Traum hätte er erwartet, ihr hier zu begegnen. Für einen Moment war er überwältigt von ihrem Anblick, dann fing er sich jedoch wieder und trat den beiden Frauen einen Schritt entgegen. Dabei konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden. Sie war noch schöner als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Ihre tiefschwarzen Augen waren auf ihn gerichtet und Liam glaubte, sie einen Moment lang aufblitzen zu sehen und er wusste, dass sie ihn ebenfalls wiedererkannt hatte. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben und er nahm nichts um sich herum mehr wahr außer ihr . Dann riss Doña Annas Stimme ihn jedoch aus seinen Gedanken.
„Darf ich Euch Liam Moore vorstellen?“, sagte sie galant und lächelte die junge Frau mit strahlenden Augen an. „Er ist ein guter Freund meines Mannes und mir.“
Dann wandte sie sich noch immer lächelnd an Liam.
„Mr. Moore, dies ist Nyah Landon. Sie weilt erst seit kurzer Zeit auf Jamaica.“
Gebannt sahen Liam und Nyah sich einen viel zu langen Augenblick an. Dann räusperte Doña Anna sich leise und sah lächelnd zwischen den beiden hin und her. Auch Liam räusperte sich leise.
„Es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen, Miss Landon.“
„Auch ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Mr. Moore.“
Als sie das sagte umspielte ein bezauberndes Lächeln ihre Lippen, das Liam hingerissen erwiderte. Dabei vergaß er beinahe dass Doña Anna noch immer bei ihnen stand. Da weder Liam, noch Nyah Anstalten machten, etwas zu sagen, ergriff die Frau des Bürgermeisters schließlich wieder das Wort.
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