Viktoria Vulpini - Das Geheimnis der Schatten

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Der Jäger
Endlich frei, hatte sich Vanessa auf einem kleinen Hof etwas außerhalb eingerichtet und wollte nichts weiter, als ein ruhiges, zurückgezogenes Leben führen. Doch als eines Nachts der schwerverletzte Ramon auf ihrem Hof auftaucht, holen sie die Schatten ihrer Vergangenheit wieder ein und sie wird in ein Abenteuer verstrickt, auf das sie gern verzichtet hätte.
Die Hüterin
Während Vanessa noch mit ihrem neuen Leben in der erwachten Welt kämpft, macht Feuersturm schon Jagd auf sie. Der skrupellose Geheimbund interessiert sich für ihre Gabe genauso wie für ihr Artefakt und Vanessa flüchtet mit der bunten Gruppe ihrer neuen Freunde vor dem übermächtigen Feind nach Rumänien. Sie hoffen darauf, dort die Verfolger im Verbotenen Gebiet des mythischen Schwarzen Reiters abschütteln zu können. Doch das ist nicht so einfach wie gehofft, und so beginnt zwischen den rauhen Bergen, Feuersturms Geistern und den reißenden Truppen des Reiters eine schrecklich lange Nacht…
Die erwachte Welt
Unsere Welt teilt sich in zwei Gruppen. Die erste Gruppe sind die Träumer, sie leben ihr Leben, gehen ihrer Arbeit nach, und das einzige Spannende in ihrem Leben ist der Tratsch in der Mittagspause und das Fernsehprogramm nach Feierabend.
Doch mitten unter ihnen, gut verborgen, lebt die zweite Gruppe: Die Erwachten. Sie zeichnen sich durch eine fantastische Vielfalt an Fähigkeiten und Gaben aus, die der ersten Regel des Internets folgen: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Die meisten sind unscheinbar und harmlos, aber es finden sich auch alle möglichen Begabungen und Rassen aus Mythen, Legenden und Superheldencomics.
Wegen der Verfolgung und Ausgrenzung durch die Träumer hat sich über die Jahrhunderte eine Parallelgesellschaft herausgebildet, deren Existenz unbedingt geheim gehalten werden muss.
Auszug aus der Chronik «Die erwachte Welt – Band 1: Eine Einführung» von Wilhem, Cornelius Ackermann, Gelehrter und Hexer (2001)

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Die erwachte Welt

Das Geheimnis der Schatten

- Der Jäger -

von

Viktoria Vulpini

1 Prolog

Eine fast gänzlich heruntergebrannte Kerze erhellte den niedrigen Raum, in dem er saß. Seine Hand lag schwer auf der hölzernen Kiste, für die er bereit gewesen war alles zu opfern - inklusive seines eigenen Lebens. Sein Blick fiel auf die schwächer werdende Flamme, die schon bald ausgehen würde und ewige Dunkelheit würde sich über diesen Raum und ihn selbst senken. Die Augen wurden ihm schwer und er war ganz sicher, wenn er sie schloss, würde er sie nie wieder öffnen.

Ein letztes Mal noch ging er alles durch. Egal was geschah, man würde die Truhe und seine Überreste erst in einigen Jahrzehnten finden, dieser ganze Raum würde solange verborgen bleiben, dafür hatte er noch gesorgt. Danach würde das Schicksal entscheiden müssen, ob dies alles seinen Gegnern in die Hände fiele oder dem nächsten Wächter, der auf der Seite des Lichts stand.

Bewusst ruhig schloss er die Augen, er schob das Unvermeidliche schon viel zu lange auf. Der Punkt, an dem er noch irgendetwas hätte tun können, war seit einigen Stunden überschritten. Für ihn gab es nur noch eine Sache zu tun, sich der letzten, großen Frage zu stellen, der sich niemand verweigern konnte.

1 Kapitel 1

Deutlich zeichnete sich die Gestalt auf dem beleuchteten Hof ab. Langsam und offenbar sehr mühevoll humpelte die Gestalt quer über den Hof und hielt auf die alte Scheune zu. Auch in der Küche, in der Vanessa am Fenster stand und das merkwürdige Treiben auf ihrem Hof beobachtete, war es dunkel. Trotz der unheimlich wirkenden Szene überkam sie eine Woge der Erleichterung. Schon gestern war ihr die Gestalt aufgefallen, die mitten in der Nacht über ihren Hof schlich, doch bisher hatte sie sie noch nie genau sehen können. Aus diesem Grund stand sie schon seit Stunden in der dunklen Küche und wartete, um dem Treiben nun ein für alle Mal auf den Grund zu gehen. Wirkliche Angst verspürte Vanessa keine. Vermutlich handelte es sich nur um einen Landstreicher, so etwas kam hier in der Gegend schon einmal vor.

Erst als die Gestalt in der alten Scheune verschwunden war, gab sie ihren Beobachtungsposten auf. Die Erleichterung hatte noch immer die Oberhand und dominierte alle anderen Gefühle. Sie hatte die Gestalt gestern wirklich gesehen, sie hatte sie sich nicht nur eingebildet. Schnell schüttelte sie den Kopf, um den Gedanken wieder los zu werden. Sie würde sich nun nicht mehr länger den Kopf darüber zerbrechen. Fakt war, hier war ein Fremder auf ihrem Hof und das würde sie nicht dulden.

Mit dem festen Entschluss, den Eindringling zur Rede zu stellen und anschließend zu vertreiben ging sie in den Flur. Immer noch ohne das Licht einzuschalten zog sie sich schnell ihre Turnschuhe an, nahm die Jacke von der Garderobe und bewaffnete sich mit einer Taschenlampe, die immer neben ihrem Schlüssel am Schlüssel-Bord hing. Den Schlüssel ließ sie in ihre Tasche gleiten und verließ das Haus.

Es war schon weit nach Mitternacht. Der Himmel war eine einzige grauschwarze Masse, durch die der Mond nur hin und wieder sein fahles Licht warf. Die Luft war klar, sauber, kühl und roch nach Regen. Sie vertrieb fast augenblicklich die schleichende Müdigkeit, die unbemerkt in ihre Knochen gekrochen war. Für einen Moment blieb sie lauschend stehen, atmete die frische, klare Luft ein und genoss die Stille, dann setzte sie sich in Bewegung um den Eindringling zu stellen.

Furcht empfand Vanessa keine, wenn sie wollte, dass der Eindringling verschwand, würde sich jemand darum kümmern müssen und wenn sie das nicht tat, dann hätte sie nur die Wahl die Polizei zu verständigen und die würden ihr ganz sicher nicht auf den Hof kommen. Eigentlich bezog sich diese Abneigung nicht einmal nur auf die Polizei sondern auch auf andere Behörden und wenn sie ganz ehrlich war, dann überhaupt auf andere Menschen. Die restliche Menschheit konnte ihr gestohlen bleiben. Dieser Hof hier war ihre persönliche kleine Oase der Ruhe, weit weg von allem und jedem und so sollte es auch bleiben.

Mit einigen raschen und fest entschlossenen Schritten erreichte sie die Scheune und schaltete die Taschenlampe ein, bevor sie die Tür öffnete. Die Scharniere der Tür gaben ein grausames Ächzen und Quietschen von sich, dann konnte sie in die Scheune hineinleuchten. Im Lichtkegel der Lampe tanzte der Staub und das Licht selbst enthüllte das heillose Chaos, welches hier immer noch herrschte.

Zwischen alten Möbeln standen Kartons und Kisten. Hier oder da lag ein alter Ballen Stroh herum, Spinnennetze waren zwischen den Möbeln aufgespannt und hatten zum Teil eine beeindruckende Größe erreicht. Es roch streng nach Moder und anderen Dingen, die sie nicht genau benennen konnte.

Der Anblick ärgerte sie. Dieses Chaos hätte schon vor fast einem Jahr entsorgt werden sollen, das zumindest hatte der Vorbesitzer des Hauses ihr hoch und heilig versprochen, bisher allerdings hatte sich nichts getan. Wenn man es recht bedachte, passte dieses Verhalten ganz genau zu ihrer Meinung über Menschen. Verlassen konnte man sich nur auf sich selbst. Der aufflammende Ärger verrauchte recht schnell wieder, als sie sich in Erinnerung rief, dass in einer Woche alle gesetzten Fristen abgelaufen waren und sie das Zeug dann einfach entsorgen konnte.

Ihr Blick folgte dem hellen Kegel, den die Taschenlampe in die Dunkelheit warf, doch mehr als den schon bekannten Müll, der sich hier auftürmte, bekam sie nicht zu sehen.

„Hallo?” Vanessa kam ihre eigene Stimme seltsam laut und schroff vor. Nur leises Rascheln und dann ein Quieken war zu hören. Ratten, das wäre ihre nächste Mission, sobald der Müll hier raus war. Die kleinen Tierchen fühlten sich in der Scheune pudelwohl und dachten gar nicht daran von selbst zu verschwinden.

„Hallo! Ich weiß dass Sie hier sind, zeigen Sie sich gefälligst!” Die Antwort war die Selbe wie bei ihrem ersten Versuch auch schon. Stille, leises Rascheln, ab und zu ein leises Fiepen und der Wind der durch einige undichte Stellen pfiff. Nicht ein Geräusch war zu vernehmen, welches hier nicht hingehört hätte und ganz langsam stieg Ärger in ihr auf, aber auch Furcht. Sollte sie sich den Schatten vielleicht doch nur eingebildet haben? Sollte es wieder losgehen? Eilig schüttelte sie den Kopf. Nein, sie hatte ihn gesehen - mehrfach! Bevor sie akzeptieren würde, dass es wieder los ginge, würde sie diese verdammte Scheune auf den Kopf stellen und wenn es sein müsste auch in jeden Karton und hinter jeden Schrank sehen.

„Letzte Chance! Sie zeigen sich freiwillig oder ich lasse Sie von der Polizei hier gewaltsam herausholen!“ Ihre Verärgerung war deutlich zu hören, aber das störte sie nicht. Sie würde sich sicher nicht auch noch bemühen freundlich zu sein. Wieder geschah nichts; Zweifel loderten auf in ihr. Was wenn hier niemand war? Sie wollte nicht darüber nachdenken. Wollte diese Möglichkeit nicht in ihrem Leben haben. Schon fast erleichtert nahm sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich Geräusche wahr, die definitiv nicht zu den hier üblichen Lauten gehörten. Bewegung. Ein leises Ächzen das gefolgt wurde von schlurfenden Schritten. Sofort schoss ihr die berühmte Zombieserie The Walking Dead durch den Kopf. Die Kulisse würde passen, die Geräusche auch, nur die Kameras fehlten. Ein fataler Gedanke. Nicht dass sie Angst gehabt hätte vor irgendwelchen Monstern, doch es säte erste Zweifel an ihrem Vorhaben. Ihr Mut schrumpfte zusammen und wenn sie ganz ehrlich war, wollte sie nun doch lieber weglaufen. Jetzt, in genau diesem Moment, wäre es ihr sogar egal gewesen, wenn sie sich die Gestalt doch nur eingebildet hätte, aber für einen Rückzieher war es nun ein wenig spät.

Sie hörte deutlich, dass der Eindringling nicht mehr weit entfernt war und hoffte inständig, dass er harmlos sein mochte. Das Bild eines besonders hässlichen Zombies kam ihr in den Sinn und war nicht sehr hilfreich, um Ruhe zu bewahren. Dann sah sie eine Hand, die sich an einem der Schränke festhielt. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Der Hand folgte eine Gestalt. Ein Mann in zerlumpten, dreckigen Kleidern, der schützend eine Hand vor das Gesicht hielt um sich vor der blendenden Lampe zu schützen. Der Mann mochte Mitte zwanzig sein, Anfang dreißig vielleicht, das war schwer zu sagen. Zumindest wirkte er relativ normal und lebendig. Er hatte dunkelbraunes, kurzes Haar, das eine Spur zu lang war um noch als ordentlich durchzugehen. Soweit sie das beurteilen konnte, war er gut gebaut und obendrein noch einen guten Kopf größer als sie selbst. Der größte Teil seines Gesichts war durch seine Hand verborgen, so dass sie nicht viel davon sah.

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