„Nessi.” Schon in der Grundschule hatte man sie damit aufgezogen. Vor allem im Schwimmunterricht waren immer wieder Anspielungen auf das Monster von Loch Ness gefallen. Zum Glück hatte sie das damals schon nicht sonderlich gestört und heute gab sie auf die Meinung anderer Menschen eh nichts mehr. Trotzdem verdrehte sie leicht die Augen, obwohl sie dabei grinsen musste.
„Ihre Sachen sind im Trockener, an die hatte ich in der Nacht dann doch nicht mehr gedacht. In spätestens zwei Stunden sollten sie trocken sein.” Ihr Blick fiel erneut auf die Platzwunde, die er sich gestern zugezogen hatte. „Es ist erstaunlich. Sie sehen wirklich schon viel besser aus als vorhin.” Es war immerhin lediglich eine Feststellung gewesen und keine Frage.
Ramon brummte, nickte und fühlte sich dann scheinbar sogar genötigt dazu etwas zu sagen. „Ich kuriere Krankheiten und Verletzungen in der Regel sehr schnell aus.” Der Ton in dem er das sagte wirkte angespannt, ja beinahe so, als befürchte er zu viel zu verraten.
„Eine nützliche Fähigkeit”, überlegte sie, doch ihr fiel auf, dass das nicht unbedingt seine Zustimmung zu finden schien. Doch sie beließ es dabei, denn es war offensichtlich, dass der Smalltalk hier nicht weiterging. Zwar war ihr absolut nicht klar, was das Problem nun eigentlich war, aber sie akzeptierte es einfach.
Nachdem sie den Rest der Zeit schweigsam gegessen hatte, schlug sie im Anschluss vor, dass er sich noch etwas ausruhe.
Sie selbst machte sich an den Haushalt, räumte in der Küche auf, putzte das Bad und schließlich flickte sie noch die Klamotten, die aus dem Trockener kamen. Besser wurden die Sachen davon auch nicht, aber zumindest rissen sie so nicht weiter kaputt. Ihr fielen die vielen Flecken auf, die die Maschine nicht aus dem Stoff bekommen hatte und sie war sich ziemlich sicher, dass die meisten davon wohl Blut waren. Für einen Moment versuchte sie sich vorzustellen, wie diese ganzen Defekte und Flecke in die Kleidung gekommen sein mochten, doch das stellte sie eilig wieder ein, denn es brachte sie nirgendwo hin. Als sie auch mit der Reparatur durch war und ihr gar nichts mehr einfiel, was sie noch erledigen musste, ging sie mit den Kleidungsstücken wieder in die Stube.
Mit leicht zerzaustem Haar und einer leicht verrutschten Decke saß er dort. Die haselnussbraunen Augen blinzelten eine Spur zu schnell und sie erkannte, dass sie ihn wohl geweckt haben musste. „Tut mir Leid, wenn ich sie geweckt habe.” Mit den Worten legte Vanessa die Kleidung auf die Couch und wollte sich zum Gehen wenden.
„Vanessa?”, er wartete bis sie ihn ansah, bevor er weitersprach, „Ich glaube ich war vorhin etwas unhöflich, das tut mir Leid. Meine Manieren lassen manchmal zu wünschen übrig, okay, meistens und ich bin es nicht gewohnt, mit Leuten zusammen zu sein. Ich bin eher ein Einzelgänger.” Es schien ihm wichtig zu sein, dies klarzustellen.
„Ich bin auch nicht wirklich der perfekte Gastgeber und vermeide jeden Besuch, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt”, sie zuckte leicht die Schultern und lächelte dann kurz. „Machen Sie sich also darüber keine Gedanken.”
Ramons Blick fiel auf die Wäsche und er wirkte überrascht und erfreut. „Sie haben sie repariert?!”
„Ich dachte mir, dass sie so vielleicht wieder sinnvoller nutzbar sein dürften und vor allem nicht weiter einreißen sollte.” Erst jetzt kam ihr in den Sinn, dass andere Leute das vielleicht hätten anders sehen können, auf der anderen Seite war es nun einmal fertig und man konnte daran nicht mehr viel ändern.
„Ich weiß wirklich nicht, wie ich das wieder gut machen soll.”
Vanessa schüttelte den Kopf. „Ist schon okay.” Wieder breitete sich eine unangenehme Stille aus, wie sie nur dann existierte, wenn keiner mehr etwas zu sagen wusste.
„Ich werde gleich Mittagessen kochen. Mögen sie lieber Spaghetti mit Pesto oder Kartoffelauflauf?” Allein der Gedanke, schien bei Ramon schon fast Begeisterung auszulösen. Er bot ihr sogar an zu helfen doch Vanessa lehnte dies direkt ab. „Sie ruhen sich lieber noch ein wenig aus, ich will sowieso kochen.” Für einen Moment glaubte sie eine Spur Misstrauen in seinem Blick zu sehen, doch dann nickte er.
Diesmal aßen sie in der Küche. Es fiel kein Wort, außer den üblichen Höflichkeiten. Schließlich lehnte er sich mit einem wohligen Laut, nach dem zweiten Teller, auf seinem Stuhl ein wenig zurück und schien rundum satt zu sein.
Da während des Essens schon die Post gekommen war, konnte sie diese direkt im Anschluss in die Küche holen. Drei Briefe, etwas Werbung, die sie sofort zur Seite sortierte und einen Zettel. Der Zettel interessierte Vanessa am meisten also klappte sie ihn direkt auf und las: „Der Mann, der sich auf ihrem Hof versteckt ist ein Jäger. Verhalten Sie sich unauffällig und verständigen Sie uns. Versuchen Sie auf keinen Fall wegzulaufen.” Dann folgte eine Handynummer. Eine tiefe, steile Falte entstand auf ihrer Stirn. War das eine Nachricht von den späten Störenfrieden? Was sollte sie bedeuten? Ramons Haltung war wieder angespannt und er musterte sie aus wachsamen Augen.
Schließlich schüttelte sie leicht den Kopf. „Diese beiden komischen Gestalten von gestern Abend scheinen sehr hartnäckig zu sein.” Bei diesen Worten schob sie den Zettel zu dem Mann hinüber, der ihn las und deutlich blasser wurde. Interessiert und ohne wirklich zu verstehen, was genau hier lief, beobachtete sie die Reaktion von Ramon.
Verunsicherung lag in seinem Blick und wieder eine Spur Furcht, als er sie wieder anblickte. „Ich werde Ihnen nichts tun, ich bin wenn Sie wollen sofort weg. Ich nehme meine Sachen und gehe.”
Sie verzog ein wenig das Gesicht und stellte dann fest: „Ich mag keine Jäger.” Es war die Wahrheit und es war kein Geheimnis, schon einmal hatte sie sich mit den örtlichen Jägern angelegt, ob der Wind womöglich von daher wehte?
Der Mann lachte frustriert und es klang fast schon verbittert: „Es gibt kaum jemanden der uns mag.”
Ihr Mitleid hielt sich nun wirklich in Grenzen. „Nun ja, es gibt denke ich einfach Menschen, die der Meinung sind, dass man keine Bambi-Mörder mehr braucht. Die Luchse sind wieder da, die Wölfe auch und wenn ich mir die ständigen Jagdunfälle in der Zeitung so ansehe… ”, sie unterbrach sich als sie den verwirrten Blick des Mannes bemerkte, der offenbar nicht wirklich verstand, was sie ihm sagen wollte. „Irgendwie habe ich den Eindruck wir reden hier nicht von einem schießwütigen Irren, der nachts die Wälder unsicher macht und Jagd auf Bambis, Wildschweine und Kaninchen macht.”
Ramon schien sich nicht sicher zu sein, was er darauf sagen sollte, er wirkte ein wenig überfahren, gedachte aber offenbar nicht, sie aufzuklären.
Vanessa beendete das Thema dann einfach mit einem Schulterzucken, nahm den Zettel, zerknautschte ihn und warf ihn dann in die Tonne. „Ist ja aber auch eigentlich egal, ich habe keine Lust mich in Ihre Probleme oder die der Störenfriede von gestern Nacht reinzuhängen.” Die Art wie Ramon sie daraufhin anstarrte zeigte ihr deutlich wie merkwürdig ihr Verhalten offenbar war. Vielleicht waren ihr aber auch kleine, grüne Antennen aus dem Kopf gewachsen. Eine Erklärung für dieses Verhalten hatte sie nicht, aber sie sparte es sich auch dabei nachzuhaken.
Nachdem sie noch einen Nachschlag angeboten hatte, den Ramon aber ablehnte, begann sie die Sachen wegzuräumen. Ihn schickte sie, als er Anstalten machte ihr helfen zu wollen, auf die Couch zurück mit dem ganz klaren Auftrag sich auszuruhen, dem dieser auch nach kurzem Zögern nachkam.
Nachdem sie die Küche fertig aufgeräumt hatte, sah sie kurz nach Ramon, der aber lang ausgestreckt auf der Couch lag und schlief. So holte sie sich ein Buch von oben und setzte sich in die Küche um zu lesen.
Erst kurz vor der üblichen Abendessenszeit wurde sie bei ihrer Lektüre unterbrochen, als die Tür zur Küche geöffnet wurde. Sie war nicht sonderlich überrascht, dass es Ramon war, sie hatte ihn bereits kurz zuvor gehört - doch Ramon war nicht allein. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie hinter ihm einen Schatten auszumachen, doch er war verschwunden bevor sie ihn wirklich ganz erfassen konnte. Sofort verlor sie alle Farbe aus dem Gesicht und spürte wie ihre Hände leicht zu zittern begangen.
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