Dann war jedoch alles anders gekommen und Alex und Liam waren auf den Gouverneur Don Luis Carlos de Martinez getroffen. Der Gouverneur erkannte sofort den Wert Liams. Und so hatte er ihm und seinem Bruder ein Angebot gemacht. Liam und Alex sollten für ihn arbeiten. Selbstverständlich gegen großzügige Entlohnung.
Dadurch hatten sie weiter zur See fahren können, jedoch im Dienste der spanischen Krone. Im Auftrag des Gouverneurs hatten sie spanische Handelsschiffe bewachen und vor Piratenangriffen schützen sollen, Diebesgut sicherstellen und als Freibeuter englische Schiffe überfallen sollen. Im Laufe der Jahre hatten sie dem Gouverneur zahlreiche Dienste erwiesen und die Aufträge stets zu seiner vollen Zufriedenheit ausgeführt. Als Gegenleistung hatte der Gouverneur ihnen eine Begnadigung und damit die Freiheit versprochen. Sämtliche Anklagen würden fallengelassen werden und sie wären vollständig rehabilitiert.
Und nun war der Zeitpunkt ihrer Freiheit gekommen. Liam und Alex hatten alle ihnen übertragenen Aufgaben erfüllt. Doch nun mussten sie dem Gouverneur noch diesen letzten Dienst erweisen. Erst dann würden sie frei sein.
Liam ahnte bereits dass dieser Auftrag anders sein würde als alle bisherigen. Doch er konnte noch nicht wissen, wie viel ihm dieser letzte Auftrag abverlangen würde. Würde er ihn überhaupt erfüllen können?
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Erst spät am Nachmittag kehrten Liam und Alex in ihr Stadthaus zurück. Seine beiden Männer hatte Liam schon vorausgeschickt gehabt da er selbst einen kleinen Umweg am Strand entlang zurückreiten wollte. Alex hatte ihn zunächst verwundert angeschaut, ihn dann aber begleitet. Wenngleich sie die meiste Zeit schweigend nebeneinander her geritten waren war Liam froh über die Anwesenheit seines Bruders gewesen. Er hatte sich die ganze Zeit über gefragt, was der Gouverneur ihnen wohl auftragen würde. Schließlich hatte er diesen Gedanken jedoch vehement beiseite geschoben. Was es auch war, sie würden auch diesen Auftrag erfüllen und dann würden sie frei sein.
Deutlich gelöster kamen sie schließlich zu Hause an. Sie hatten sich vorgenommen, nicht mehr über den Auftrag zu spekulieren und abzuwarten bis sie zum Gouverneur gerufen wurden. Doch bis dahin konnten noch einige Tage vergehen.
Liam und Alex waren während der folgenden Tage ohnehin gut beschäftigt, denn es gab einiges zu erledigen. Alex war viel in der Stadt unterwegs, während Liam sich ausgiebig seinen Pferden widmete. Die Pferde waren, neben der Seefahrt, zu seiner zweiten Leidenschaft geworden. Besonders seit er und Alex für den Gouverneur gearbeitet und mehr Zeit als früher an Land und in Port Lantago verbracht hatten, hatte Liam entdeckt wie gerne er diese edlen Tiere hatte. Mittlerweile besaß er insgesamt an die zwanzig Pferde – einige davon stellte er seinen Männern zur Verfügung – darunter mehrere selbst gezogene, auf die er sehr stolz war. Sein Juwel jedoch war der beeindruckende braune Hengst, mit dem er zum Gouverneur geritten war.
Liam hatte Nando mit der Flasche aufgezogen und der kleine Hengst war ihm fortan nicht mehr von der Seite gewichen. Mit großer Freude hatte Liam ihn heranwachsen sehen und war nun besonders stolz darauf, zu was für einem Prachthengst sich der dunkle Braune entwickelt hatte. Seine Erscheinung und sein Temperament waren unvergleichbar. Keines von Liams anderen Pferden konnte mit ihm mithalten. Genau genommen hatte Liam nie ein Pferd gesehen, das ihn ähnlich beeindruckt hatte wie Nando. Bis er die Frau mit den beiden Hengsten am Strand gesehen hatte. Diese beiden Hengste waren ebenfalls von herausragender Erscheinung gewesen. Schön, edel, kraftvoll, schnell und voller Anmut.
Als Liam das erkannte, hatte er sofort wieder das Bild der jungen Frau vor seinem inneren Auge, neben dem die Erinnerung an die Pferde augenblicklich verblasste. Die Erinnerung an diese wunderschöne, geheimnisvolle Frau hingegen war unvermindert stark, wenn nicht noch intensiver als zuvor.
Was an ihr fesselte ihn nur so sehr, fragte Liam sich wohl zum hundertsten Mal. Wieso ließ sie ihn einfach nicht mehr los? So etwas hatte er noch nie erlebt.
Energisch schüttelte er den Kopf, während er Nando noch immer gedankenverloren striegelte. Er musste sie sich dringend aus dem Kopf schlagen! Wer wusste schon ob er sie jemals wiedersehen würde? Schließlich wusste er nichts über sie. Rein gar nichts. Außer, dass er sie nicht vergessen konnte.
Zwei Tage später waren Liam und Alex zu einem Empfang in Port Royal eingeladen. Alex würde von seiner Frau Elena begleitet werden, Liam würde wie immer alleine hingehen. Da Port Royal etwa einen halben Tagesritt von Port Lantago entfernt lag bereiteten Alex und Liam schon am Vormittag alles für Ihren Aufbruch vor. Sie wollten die Gelegenheit nutzen und noch ein paar Dinge in Port Royal erledigen, bevor sie schließlich zu dem Empfang gingen.
Auf dem Empfang würde sich die gesamte hohe Gesellschaft von Port Royal und Umgebung einfinden. Geschäftsleute, Plantagenbesitzer und Züchter. Und vermutlich auch einige militärische Amtsträger. Liam mochte solche Anlässe nicht besonders, doch er wusste um ihre Wichtigkeit und bewegte sich stets souverän und selbstsicher in den dortigen Kreisen der Gesellschaft. Alex bewunderte ihn immer darum, mit wie viel Charme und Leichtigkeit er auftrat. Und er wusste auch dass sein Bruder meist große Aufmerksamkeit erregte, ohne dass dies seine Absicht gewesen wäre oder er etwas Besonderes dafür tun musste. Er war jedoch ein Mann mit besonderer Präsenz, den man nicht so leicht übersah, wenn Liam es nicht gerade darauf anlegte. Doch dazu hatte er keinen Grund.
Obwohl sie Zwillingsbrüder waren, waren Alex und Liam doch sehr verschieden. Unbestreitbar sahen sie beide blendend gut aus. Sie waren beide groß und von durchtrainierter muskulöser Gestalt. Alex hatte dunkelblondes, etwa bis auf seine Schultern reichendes Haar und blaue Augen. Liam hingegen hatte dunkles, kürzeres Haar und außergewöhnlich dunkelblaue Augen, die je nach Lichteinfall mal tiefblau wie die See, mal unergründlich schwarz wie die Nacht waren. Sie beide hatten markant geschnittene Gesichtszüge und gerade Nasen, aber dennoch unterschieden sie sich auch hier. Vor allem jedoch umgab Liam ein ganz besonderes Charisma, das ihn am deutlichsten von Alex unterschied. Seine besondere Ausstrahlung zog jeden schnell in seinen Bann, wodurch er der geborene Anführer war. Deshalb schätzte ihn auch seine Crew sehr als Captain und war ihm treu ergeben.
Kurz vor Mittag brachen sie schließlich auf. Insgesamt waren sie zu sechst. Liam, Alex und Elena, sowie drei von Liams Männern. Sie ritten jeweils zu zweit nebeneinander her. Liam ritt neben Brayan, nach Alex sein engster Vertrauter und ein hervorragender Kämpfer und Seemann, an der Spitze. Ihnen folgten Elena und Alex und den Schluss bildeten die beiden Männer, die sie auch bereits zum Gouverneur begleitet hatten. Während des Rittes unterhielt Liam sich in gedämpftem Tonfall mit Brayan. Er bereitete ihn schon einmal darauf vor dass sie noch einen letzten Auftrag würden ausführen müssen. Brayan war nicht sonderlich überrascht darüber. Obwohl er ihn nicht persönlich kannte hatte Brayan keine besonders gute Meinung von Gouverneur Martinez.
„Wir werden bereit sein“, sagte er schließlich. „Du kannst dich auf uns verlassen, Liam.“
„Ich weiß“, antwortete Liam lächelnd. „Danke.“
Brayan nickte schweigend. Er war nur wenig älter als Liam und die beiden kannten sich bereits seit vielen Jahren. Brayan war von Anfang an zusammen mit Liam und seinem Bruder zur See gefahren. Obwohl er Liam immer klar als seinen Captain anerkannt hatte und ihm ebenfalls treu ergeben war, waren sie mit der Zeit gute Freunde geworden. Liam vertraute Brayan blind und verließ sich gerne auf sein Urteil. Brayan war ein ebenso guter Kämpfer wie er selbst, ebenfalls groß und muskulös. Man sah ihm deutlich seine arabischen Vorfahren an, wenngleich er selbst in der Karibik geboren und aufgewachsen war. Brayan war jedoch nicht nur ein guter Kämpfer und Seemann, sondern aufgrund seines Weitblicks und der schnellen Auffassungsgabe ein wertvoller Ratgeber. Und auch als Spion hatte er sich mehr als einmal bewiesen.
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