Das Wasser spritzte glitzernd um sie herum auf und die Sonne brach sich schillernd in den einzelnen Tropfen. Sie hatten schon fast den gegenüberliegenden Strand erreicht als auch Liam sein Pferd durch das Wasser trieb. Plötzlich fiel ihm auf dass der Rappe ein Stück zurückfiel und auch der Schimmel sein Tempo verlangsamte, bis er schließlich ganz zum Stehen kam und die Reiterin ihn wendete. Der Rappe hatte schon ein gutes Stück früher angehalten und sich umgewandt. Mit hoch erhobenem Kopf und gespitzten Ohren sah er Liam nun entgegen. Während Liam näher kam begann der Rappe erneut, wild, beinahe drohend, mit dem Kopf zu schlagen und stieg immer wieder ein kleines Stück. Noch bevor Liam den Strand erreichte hielt er sein Pferde im Wasser an und beobachtete die Szene vor sich wie gebannt. Der Schimmel stand ganz still und wartete auf weitere Kommandos seiner Reiterin. Die junge Frau, deren Schultern von langen, glänzenden dunkelbraunen Haaren umweht wurden, saß völlig reglos im Sattel und sah zu Liam herüber. Auch Liam fixierte sie gebannt und für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Selbst auf diese Entfernung erkannte Liam wie atemberaubend schön sie war und konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Dann nahm er jedoch eine Bewegung wahr und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Rappen – einen temperamentvollen und äußerst eleganten Hengst, wie er jetzt sah – der mit drohend angelegten Ohren langsam auf ihn zukam. So etwas hatte Liam noch nie gesehen. Fasziniert beobachtete er den Rapphengst. Es sah beinahe so aus als wollte er den Schimmel und damit dessen Reiterin schützen, denn seine Haltung machte deutlich, dass er Liam keinesfalls passieren lassen und notfalls angreifen würde. Dies erschien Liam jedoch ganz und gar außergewöhnlich. Erst auf ein kaum merkbares Zeichen der jungen Frau hin hielt der Hengst inne. Einen Moment lang beobachtete er Liam noch argwöhnisch und mit blitzenden Augen, dann machte er kehrt und trabte auf den Schimmel – ebenfalls ein edler Hengst mit langer Mähne und dichtem Schweif – zu und gleich darauf wendete die Reiterin auch den Schimmel und stob in gestrecktem Galopp mit beiden Pferden davon. Zuvor warf sie Liam jedoch noch einen letzten Blick zu. Und schon in diesem Augenblick wusste Liam dass ihn diese Augen nicht so schnell wieder loslassen würden.
Er sah ihr noch eine Weile nach, erst dann wendete er ebenfalls sein Pferd und ritt durch das Wasser zurück bis an den Strand, wo Alex auf ihn wartete. Den fragenden Blick seines Bruders beantwortete Liam nur mit einem kurzen Kopfschütteln. Er wollte jetzt nicht darüber sprechen. Zuerst musste er seine tobenden Gedanken wieder zur Ruhe bringen. Was da gerade geschehen war, war völlig außergewöhnlich und würde ihn noch eine Weile beschäftigen. Noch konnte er nicht ahnen, wie lange.
Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander her geritten waren und wieder zurück in Richtung Stadt ritten hielt Liam sein Pferd plötzlich an, woraufhin Alex ihn erneut fragend ansah. Sein Bruder war auf einmal völlig verändert und es sah Liam eigentlich gar nicht ähnlich, solch ein Geheimnis aus seinen Gedanken zu machen. Normalerweise hatten die beiden Brüder keine Geheimnisse vor einander. Doch irgendetwas hatte das Ereignis am Strand in ihm ausgelöst. Noch überraschter war Alex als Liam ihn bat, schon mal alleine in die Stadt zurückzureiten, während er selbst noch ein Stück weiterreiten wollte. Er wollte eine Weile alleine sein.
„In Ordnung“, erwiderte Alex nur und Liam war erleichtert, dass sein Bruder keine Fragen stellte.
Dann trennten sich ihre Wege und Liam ritt noch einmal zum Strand zurück. Er schlug diesen Weg wie von alleine ein, ohne dass er sich bewusst dazu entschieden hätte, noch einmal dorthin zurückzukehren. Als er das Meer erreichte stieg er vom Pferd und band seinen Hengst lose am Stamm einer Palme an. Dann ging er durch den weißen Sand bis ans Wasser vor. Dabei ließ er seinen Blick unwillkürlich den Strand entlang schweifen, doch es war niemand zu sehen. Natürlich war sie nirgends zu sehen. Hatte er das wirklich erwartet? Ein Teil von ihm hatte es sich gewünscht, wie Liam sich eingestehen musste. Dabei vermochte er nicht zu sagen, warum. Doch irgendetwas an dieser Frau hatte ihn derart fasziniert dass sie ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte.
Liam verharrte noch eine Weile reglos und mit geschlossenen Augen und lauschte den seichten Wellen. Dann kam auf einmal Wind auf und binnen kurzer Zeit wurde die Sonne von dichten Wolken verdunkelt. Eigentlich ungewöhnlich für diese Jahreszeit, dachte Liam. War dies ein schlechtes Omen? Doch dann schüttelte er energisch den Kopf und ging zügig zu seinem Pferd zurück. Als er im Sattel saß trieb er den Hengst zu einem leichten Trab an. Zunächst ritt er noch ein Stück am Strand entlang, dann wandte er sich in Richtung Stadt, sodass ihn sein Weg schon wenig später durch tropischen Wald weiterführte. Am frühen Nachmittag erreichte er das geräumige Stadthaus, das er zusammen mit seinem Bruder bewohnte.
Nachdem er sein Pferd in den Stall hinter dem Haus gebracht und versorgt hatte betrat Liam das Haus. Trotz der Wärme draußen war es im Haus angenehm kühl. Obwohl Liam die Wärme nichts ausmachte war er dennoch froh darüber und er freute sich bereits auf einen kühlen, erfrischenden Drink. Im Salon traf er auf Alex, der ihn erleichtert begrüßte.
„Da bist du ja endlich.“
Mit raschen Schritten und zwei Drinks in den Händen trat Alex auf Liam zu.
„Das ist genau das, was ich jetzt brauche“, sagte Liam mit einem dankbaren Lächeln, als er Alex das gutgefüllte Glas aus der Hand nahm. Dann wurde er wieder ernst.
„Es tut mir leid, dass ich vorhin am Strand so durcheinander war und dich voraus geschickt habe. Aber ich musste eine Weile alleine sein um meinen Kopf wieder frei zu bekommen.“
„Ist schon in Ordnung“, erwiderte Alex mit einem verschmitzten Lächeln. „Ist es dir denn gelungen? Den Kopf frei zu bekommen, meine ich?“
Liam zögerte einen Moment bevor er antwortete.
„Nein, nicht so richtig“, gestand er.
„Nun, sie hat es dir ja ganz schön angetan“, antwortete Alex nachdenklich. Verwundert sah er seinen Bruder an.
„Ja, scheinbar“, entgegnete Liam. „Ich verstehe das gar nicht. Ich habe sie doch nur ganz kurz und von weitem gesehen.“
Hilfesuchend sah er seinen Bruder an. Alex zuckte jedoch nur mit den Schultern. Er wunderte sich auch, nahm das Ganze aber nicht so ernst wie Liam.
Dann fuhr Liam langsam fort.
„So etwas ist mir noch nie passiert. Aber ich muss gestehen dass sie mich tief beeindruckt hat. Irgendetwas an ihr hat mich fasziniert. Selbst auf die große Entfernung, die zwischen uns bestanden hat. Und ich glaube nicht, dass es alleine ihre Schönheit war. Und schön war sie unbestreitbar.“
Ebenfalls nachdenklich schüttelte Liam seinen Kopf. Mitfühlend legte Alex ihm eine Hand auf den Arm.
„Liam, du weißt aber schon, dass du sie dir besser gleich wieder aus dem Kopf schlägst, nicht wahr? Du weißt nichts über sie und wirst sie vermutlich nie wieder sehen. – Außerdem haben wir jetzt wirklich Wichtigeres, worum wir uns kümmern müssen.“
Liam wusste dass sein Bruder Recht hatte. Sie hatten in der Tat Wichtigeres zu tun. Vor allem ihr bevorstehender Besuch beim Gouverneur am nächsten Tag bereitete ihm Kopfzerbrechen. Und es war eigentlich nicht seine Art, wegen einer Frau derart durcheinander zu sein. Sein Bruder hatte ihn schon oft als Frauenheld bezeichnet um ihn zu necken. Das stimmte insofern als dass Liam jede Frau haben konnte, wenn er wollte. Und in der Vergangenheit hatte er diese Tatsache auch, ohne sich viele Gedanken zu machen, ausgenutzt. Doch in letzter Zeit nicht mehr. Damit war es schon seit Längerem vorbei. Liam hatte gemerkt dass er mehr wollte. Er hatte in seinem Leben schon viele Frauen gehabt, doch keine von ihnen hatte jemals sein Herz berührt. Keine. Niemals. Dabei war es gerade das, was er sich wünschte. Doch die eine, richtige war nie dabei gewesen. Und Liam hatte sich geschworen dass er sich nie wieder mit weniger zufrieden geben würde. Jedoch war es nicht einfach, diese eine Frau zu finden. Und er hatte sich mehr als einmal gefragt, ob es sie überhaupt gab. Ob er nicht nur irgendeinem Phantom hinterher jagte.
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