Als er einmal mit Alex darüber gesprochen hatte, hatte dieser nachdenklich die Stirn gerunzelt. Schließlich hatte er Liam jedoch Recht gegeben. Es war in der Tat nicht einfach, die Liebe zu finden. Wie sehr Liam seinen Bruder manchmal darum beneidete, die Frau seines Herzens gefunden zu haben. Und Elena war in der Tat ganz bezaubernd. Liam freute sich aufrichtig für seinen Bruder, wenngleich er sich dasselbe Glück auch für sich selbst wünschte. So sehr wünschte. Dabei würde ihm das niemand zutrauen, der ihn nicht wirklich gut kannte. Und wirklich gut kannte ihn nur sein Bruder. Nur Alex konnte seine wahren Gefühle erkennen. Wenngleich Alex seinen Bruder oft damit aufzog, dass er wohl einfach zu anspruchsvoll war, wusste er doch, dass Liam sich schmerzlich danach sehnte, endlich die eine Frau zu finden auf die er schon so lange wartete. Dabei war kaum vorstellbar, dass es ihm so schwer fallen sollte, eine Frau zu finden. Liam sah blendend aus, konnte sehr charmant sein und hätte jeder Frau ein komfortables, mehr als gutes Leben bieten können. Dennoch war er bislang alleine geblieben.
Natürlich, Alex‘ und Liams Lebenswandel machte eine Beziehung oft schwierig. Sie waren häufig und oft lange fort von zu Hause. Aber dennoch war es nicht unmöglich, wie man an Elena und Alex sah. Ihre Liebe würde alles überstehen. Und inzwischen begleitete Elena ihren Mann sogar auf manche seiner Reisen, wenn es nicht zu gefährlich war. Doch das war es meistens.
Nun waren Liam und Alex jedoch guter Dinge, dass es damit bald vorbei sein würde. Sie wollten sich zur Ruhe setzen . Obwohl sie noch sehr jung waren hatten sie es bereits zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht, das ihnen von nun an ein ruhiges, schönes Leben ermöglichen sollte. Doch diese Entscheidung hing bedauerlicher Weise nicht von ihnen alleine ab. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit hatte der Gouverneur und sie waren letztendlich auf sein Wohlwollen angewiesen. Eine Tatsache, die Liam und Alex zutiefst widerstrebte, an der sie jedoch nichts ändern konnten. In der Vergangenheit waren sie gezwungen gewesen, einen Pakt mit dem Gouverneur zu schließen. Sie hatten jedoch die Abmachung getroffen, zu jener Zeit, wenn der Pakt erfüllt war, wieder frei und Herr über ihr eigenes Leben zu sein. Und dieser Zeitpunkt war nun gekommen. Dennoch beschlich Liam ein ungutes Gefühl wenn er an den Besuch am nächsten Tag dachte. Er hatte dem Gouverneur – ein bereits in die Jahre gekommener, aber noch immer verschlagener und vor allem machtsüchtiger, Mann, der bereits vor vielen Jahren aus Spanien in die Karibik gekommen war – nie wirklich vertraut, wenngleich er nichts Schlechtes über ihre Zusammenarbeit sagen konnte. Der Gouverneur war immer fair zu seinem Bruder und ihm gewesen. Dennoch ließ Liam sich nur ungern in seine Arbeit hereinreden.
Nun sagte er sich jedoch dass es das Beste war, Ruhe zu bewahren und ihr Gespräch morgen abzuwarten. Dann würden sie weitersehen.
Bereits am Morgen des nächsten Tages war Liam ruhelos und verließ schon nach dem Frühstück, bei dem er kaum einen Bissen herunterbekommen hatte, das Haus um einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Die Straßen von Port Lantago waren noch angenehm menschenleer und ruhig um diese Zeit. Obwohl es nicht mehr lange dauern würde bis die Läden öffneten. Doch dann wollte Liam schon wieder zu Hause sein.
Als er wenig später die große Eingangshalle des schön gestalteten, großzügigen Hauses betrat, das er mit seinem Bruder bewohnte, kam Alex ihm bereits entgegen.
„Gut dass du kommst“, empfing er Liam aufgeregt. „Vor etwa einer halben Stunde war ein Bote hier um eine Nachricht des Gouverneurs zu überbringen.“
„Ach ja?“, fragte Liam verwundert.
Alex nickte.
„Wir sollen ihn schon früher treffen. Er lädt uns zum Mittagessen auf sein Landgut ein.“
Überrascht schnellten Liams Augenbrauen in die Höhe. Noch nie zuvor hatte der Gouverneur sie auf sein Landgut eingeladen, wenn er in Port Lantago geweilt hatte. Dabei hatte er sich fast jedes Mal mit Liam und Alex getroffen, wenn er von Port Royal hierhergekommen war. Doch meist hatten sie sich in seinem bescheidenen, jedoch gut bewachten Amtssitz am Rande der Stadt getroffen. War dies nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Liam vermochte es nicht zu sagen.
„Gut, dann lass uns gleich aufbrechen“, erwiderte Liam schließlich.
Alex nickte und gleich darauf holten sie ihre Pferde aus dem Stall. Zum Landgut des Gouverneurs war es ein etwa einstündiger Ritt durch den Urwald und an ausgedehnten Baumwoll- und Obstplantagen entlang. Da Liam die ganze Sache nicht geheuer war bat er zwei seiner Männer, ihn und Alex zu begleiten. Die beiden nickten sofort, holten ihre Waffen und zwei von Liams Pferden – zwei feurige Fuchswallache – und als sie zu Liam und Alex stießen brachen die vier Männer auf. In gemächlichem Tempo ritten sie durch die Stadt, doch als sie den Stadtrand erreichten trieben sie die Pferde an.
Zunächst führte sie ihr Weg durch den dichten, tropischen Wald, der im Nordosten unmittelbar an die Stadt grenzte. Um eine Abkürzung zu nehmen verließen sie schon bald die offizielle Straße und schlugen einen schmalen Pfad ein, der sie tief in den Wald hineinführte. Er war so schmal, dass sie hintereinander reiten mussten. Liam übernahm mit seinem kräftigen braunen Hengst die Führung, dicht gefolgt von Alex. Die beiden anderen Männer ließen sich einige Meter zurückfallen.
Mitten im Wald kamen sie an einen schmalen, nicht sehr tiefen Bach, über den ein schmaler Holzsteg ohne Geländer führte. Liam trieb seinen Hengst zügig weiter, obwohl der Braune den Steg misstrauisch beäugte. Er lief jedoch widerstandslos weiter. Alex‘ dunkelbrauner Wallach hingegen scheute und war nicht bereit, den Steg zu betreten. Daher trieb Alex ihn kurzerhand am Steg vorbei die Böschung hinunter und durchs Wasser. Dabei trieb er das Pferd zur Eile an, denn er fürchtete dass der Untergrund des Baches sumpfig sein könnte und er wollte vermeiden dass das Pferd zu tief einsank. Er erreichte zeitgleich mit den beiden anderen Männern, die den Steg genommen hatten, das andere Ufer. Liam warf Alex einen kurzen Blick zu und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Alex erwiderte ebenfalls lachend seinen Blick und schüttelte dabei gespielt entnervt den Kopf. Dann ritten sie weiter.
Wenig später hatten sie den Wald durchquert und kamen an den ersten Plantagen vorbei. Da der Weg hier wieder breiter war schloss Alex zu Liam auf um neben ihm her zu reiten.
„Machst du dir Sorgen?“, fragte Alex leise, sodass die beiden anderen Männer ihn nicht hören konnten.
„Ein wenig“, gestand Liam ebenso leise und mit einem knappen Nicken. „Ich traue dem Gouverneur nicht.“
„Aber wir haben doch all seine Bedingungen erfüllt“, entgegnete Alex. „Was könnte er noch wollen? Außerdem haben wir eine Abmachung.“
„Ja richtig“, erwiderte Liam. „Doch wer sagt uns, dass er sich daran halten wird?“
Liam sah seinen Bruder stirnrunzelnd an. Während Alex grundsätzlich erst einmal an das Gute im Menschen glaubte, war Liam eher Pessimist und verließ sich nur auf sich selbst. Vor allem wenn es um jemanden wie den Gouverneur ging. Besonders wenn es um den Gouverneur ging! Schließlich hatte dieser sie zu diesem Pakt gezwungen. Leider hatte er zu jener Zeit gute Argumente gehabt, wie Liam nach wie vor voller Bedauern zugeben musste. Doch das lag bereits viele Jahre zurück und Liam hatte schon längst aufgehört, sich deshalb zu grämen. Was geschehen war konnte nicht mehr geändert werden.
Als Liam nun jedoch Alex‘ besorgte Miene sah lächelte er seinen Bruder aufmunternd an. Obwohl sie Zwillinge waren, wenn auch zweieiige, und Alex nur wenige Minuten jünger war als er selbst hatte Liam doch das Gefühl, für seinen Bruder mitverantwortlich zu sein. Schon seit Kindertagen war es immer Liam gewesen, der auf seinen Bruder aufgepasst und ihn in der einen oder anderen brenzligen Situation gerettet hatte. Wie auch an jenem schicksalhaften Tag. Es hatte ihm jedoch nie leid getan, auf seinen Bruder achtzugeben, denn auch Alex würde sein Leben geben um ihn zu schützen, das wusste Liam. Er hoffte jedoch inständig, dass dieser Moment niemals eintreffen würde.
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