„Ich meine, machst du dir keine Sorgen dass Liam Moore zu viel über dich herausfindet? Er wird sich doch sicher ohnehin über den Zwischenfall heute Mittag gewundert haben. Und er ist nicht dumm. Ganz im Gegenteil.“
„Nein“, entgegnete Nyah. „Dumm ist er keineswegs. Und natürlich hat er gefragt wo ich gelernt habe, mit dem Degen zu kämpfen. – Glücklicherweise nicht warum.“
Ihre letzten Worte waren kaum hörbar und Ashad sah, wie sie sich für einen Moment anspannte. Doch dann fuhr sie gleichmütig fort.
„Dennoch glaube ich nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Er weiß nichts was uns – oder mich – verraten würde. Ich weiß sehr wohl, seinen Fragen auszuweichen. Und er akzeptiert das.“
„Aber wer weiß wie lange noch“, erwiderte Ashad. Dann sah er Nyah nachdenklich an.
„Andererseits, wenn ich gesehen habe wie er dich ansieht, mache ich mir fast weniger Sorgen darum, dass er zu viel weiß. Du könntest ihm wahrscheinlich alles erzählen und er würde dir glauben. Er… Er ist dir völlig verfallen.“
„Ashad!“, entfuhr es Nyah und als sie ihn ansah blitzte es in Ashads tiefschwarzen Augen auf.
„Ich sage nur die Wahrheit, Nyah“, antwortete er ruhig. „Und sag mir jetzt nicht dir wäre nicht aufgefallen, wie Liam dich ansieht. Seine Augen leuchten förmlich auf wenn er dich sieht und er kann den Blick nicht von dir wenden.“
Wieder fiel Ashad auf, wie Nyah sich verspannte.
„Nun ja, vielleicht“, gab sie leise zurück und wandte den Blick ab.
Ashad wusste, dass Nyah das Gespräch nun unangenehm wurde. Doch er musste wissen, wie es um sie stand, wenn er sie schützen wollte.
„Weiß er, dass du Jamaica bald wieder verlassen wirst?“, fragte Ashad schließlich. Nyah schüttelte den Kopf.
„Nein“, antwortete sie. „Aber er wird es noch früh genug erfahren.“
Ashad nickte.
„Was wirst du ihm sagen?“, fragte er dann.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Nyah. „Aber mir wird schon etwas einfallen. – Dabei hasse ich es schon jetzt, ihn anlügen zu müssen.“
Ashad wollte etwas erwidern, doch Nyah bat ihn mit einer Geste zu schweigen. Sie erriet seine Gedanken auch so. Er brauchte ihr nicht zu sagen, dass sie Liam vermutlich nie wieder sehen würde, sobald sie Jamaica verlassen hatte. Und wer weiß was sie überhaupt erwartete, wenn sie ihren Plan, der sie zunächst nach Jamaica geführt und bald wieder weiterziehen lassen würde, in die Tat umsetzten? Dennoch versetzte ihr die Aussicht, Liam dann vielleicht nie wieder zu sehen, einen tiefen Stich. Sie mochte ihn. Sogar sehr. An mehr wollte sie gar nicht denken, denn dann stieg sofort wieder die Angst in ihr auf, die sie wie ein unsichtbarer Schatten ständig verfolgte. Dabei hatte Liam ihr nie Anlass gegeben, sich zu fürchten. Ganz im Gegenteil. Er war sehr zuvorkommend. Ein perfekter Gentleman. Und er war sehr sensibel und vermutlich auch sehr einfühlsam, doch so nah, um das herauszufinden, hatte Nyah ihn nicht an sich herankommen lassen. Und das würde sie wohl auch nicht. Zu groß war ihre Furcht. Und ihre Vernunft sagte ihr zudem, dass das auch keinen Sinn hatte. Es konnte wohl kaum eine Zukunft für sie geben. Dennoch machte dieser Gedanke sie traurig.
Ashad sah Nyah noch einen Moment lange schweigend an. Ihr Gesicht spiegelte in diesem Augenblick deutlich die widersprüchlichen Gefühle wider, die sie empfand. Doch dann nahm ihr Gesicht wieder einen gleichmütigen Ausdruck an und sie verbarg all ihre Gefühle. Eine Kunst, die sie hervorragend beherrschte. Nur in seltenen Fällen verlor sie die Fassung und ließ ihre Maske fallen. Und selbst dann musste man sie gut kennen – so gut wie nur Ashad sie kannte – um es zu bemerken. Sie war eine Meisterin darin, sich zu verstellen. Das hatte das Leben sie gelehrt. Doch seit sie diesen Liam Moore getroffen hatte fürchtete Ashad um ihre Selbstbeherrschung. Um ihre Gefühle. Um ihre Seele. Er machte sich Sorgen um Nyah und er wusste nicht, ob er sie dieses Mal schützen konnte.
„Versprich mir, vorsichtig zu sein“, bat er sie leise. „Pass auf dich auf.“
„Ja, das werde ich“, antwortete Nyah ebenso leise. Doch sie wusste nicht, ob sie ihr Versprechen halten konnte.
Am frühen Abend erreichten Nyah und Ashad Liams Stadthaus. Mit der Wegbeschreibung, die er Nyah mittags mit schnellen Worten gegeben hatte, bevor sie sich voneinander verabschiedet hatten, war es nicht schwer zu finden gewesen.
Nyah war beeindruckt als sie das große, elegante Haus aus hellem Stein sah. Es lag in der Nähe des Hafens in einer ruhigen Seitenstraße, jedoch nicht weit vom Zentrum von Port Lantago entfernt. In dieser Straße befanden sich mehrere hübsche Häuser und Villen, doch Liams Anwesen übertraf sie all. Es war von einem kleinen Park umgeben und lag ein Stück von der Straße zurückversetzt. Das Grundstück war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben, das große Tor an der Straße stand jedoch offen. Nyah und Ashad ritten den geschotterten Weg hinauf und stiegen erst auf dem Platz vor der großen Eingangstüre von den Pferden. Ashad sah sich ebenfalls um, jedoch eher um sicher zu gehen, dass keine Gefahr drohte. Er war wie meist schwer bewaffnet, obwohl er eigentlich nicht glaubte dass hier eine Gefahr für Nyah bestand. Dennoch blieb er wachsam und vorsichtig. Auch als die zweiflügelige Eingangstüre geöffnet wurde und Liam lächelnd zu ihnen trat.
„Wie schön“, begrüßte Liam sie. „Ich freue mich sehr, dass ihr hier seid.“
Er deutete eine Verbeugung vor Nyah an, wobei er seinen Blick nicht von ihren schwarzen Augen wenden konnte. Sie sah hinreißend aus in ihrem langen, dunkelbraunen Seidenkleid, das mit unzähligen cremefarbenen Stickereien und Perlen verziert war. Ihr dunkles Haar hatte sie zum Teil aufgesteckt und es fielen nur noch ein paar lange glatte Strähnen über ihren Rücken. Er meinte einen Hauch von Anspannung auf ihrem schönen, ebenmäßigen Gesicht zu sehen, doch als sie seinen Gruß erwiderte lächelte sie ihn an und ihre Augen leuchteten auf. Wie schön sie war, dachte Liam.
Dann reichte er Ashad höflich die Hand.
„Willkommen.“
Ashad erwiderte Liams Händedruck, blieb jedoch ernst.
„Vielen Dank.“
Dann nahm Ashad Nyah die Zügel ihres Hengstes aus der Hand und fragte Liam, wo er die Pferde unterstellen und trinken lassen konnte. Liam rief daraufhin einen jungen Stallburschen herbei, der Ashad abholte. Der Junge bot dem Schwarzen an, sich um die beiden Pferde zu kümmern, Ashad lehnte jedoch höflich ab und bestand darauf, sich selbst um sie zu kümmern. Als er dem Jungen schließlich mit den Pferden folgen wollte weigerte sich Nyahs Schimmelhengst zunächst, mitzugehen. Ashad warf Nyah einen kurzen Blick zu und sie trat noch einmal zu Ánima. Liam beobachtete sie schweigend, als sie dem Hengst über den anmutig gewölbten Hals strich und ihm etwas zuflüsterte. Der Schimmel hörte Nyah aufmerksam zu. Dann berührte er sie leicht mit seiner Nase am Arm. Als Nyah Ashad daraufhin erneut schweigend ansah, führte der Schwarze die Pferde weg. Dieses Mal folgte ihm der edle Schimmel ohne zu Zögern.
„Ist etwas nicht in Ordnung mit ihm?“, fragte Liam, als Nyah Ashad und den Pferden noch einen Moment lang nach sah.
„Nein, es ist alles in Ordnung“, antwortete sie lächelnd, als sie sich zu Liam umwandte und in seine schönen, dunkelblauen Augen blickte, die strahlend ihr Lächeln erwiderten. Das war es gewesen, was Ánima ihr hatte sagen wollen. Dass alles gut war. Doch als sie Liam nun ansah hätte sie ohnehin keinen Zweifel mehr daran gehabt. Sein Lächeln und das Funkeln in seinen Augen ließen ihr Herz schneller schlagen.
„Ich freue mich wirklich sehr dass du heute Abend hier bist“, sagte Liam, als sie alleine waren. Nyah antwortete mit einem Lächeln.
Dann bot Liam ihr seinen Arm an und sie hakte sich leicht bei ihm unter um ihm ins Haus zu folgen. Drinnen wurde sie von Alex und seiner Frau Elena begrüßt. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb und schon bald waren alle in ein fröhliches Gespräch vertieft, an dem sich sogar der sonst eher schweigsame Ashad beteiligte, als er wenig später zu ihnen stieß und sie gemeinsam zu Abend aßen.
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