1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Ein leicht hämisches Grinsen lag in ihren Mundwinkeln. Es hatte schon etwas Erhabenes, diese neue Sichtweise der Verhältnisse: Endlich einmal zu denen gehören, die auf der Oberseite sind. Und außerdem, die monatlichen Mieteinnahmen wollte sie bei ihren Überlegungen nicht ganz außer Acht lassen. In ihrer jetzigen Situation war es nicht unerheblich, neben den bescheidenen Bezügen, die ihr das Arbeitsamt gewährte, ein paar Euro zusätzlich im Portemonnaie zu haben.
Also setzte Hedda wieder eine Annonce in die Zeitung.
Verena Martens gefiel das Zimmer sofort. Sie machte auch gleich beim ersten Kennenlernen einen sehr netten Eindruck. Hedda konnte sich gut vorstellen, diese Frau in ihrer Wohnung um sich zu haben: Eine ruhige freundliche Person, Nichtraucherin, nicht aufdringlich, die gerne mit einer anderen Frau zusammenwohnen möchte, um auch mal jemanden zum Plaudern zu haben. Besser hätte Hedda es gar nicht treffen können.
In dem ersten Gespräch erzählte sie Hedda, dass sie aus Berlin, aus Ostberlin stamme. Dort hätte sie ehemals eine eigene Zweizimmerwohnung gehabt, damals, als sie noch Arbeit hatte, in einem Konstruktionsbüro für Maschinenbau. Eine Liebe hätte sie dann vor zwei Jahren in diese Stadt geführt. Leider wäre diese vor ein paar Monaten zerbrochen, und somit sei das Leben in der gemeinsamen Wohnung unerträglich geworden. Von daher wäre es ihr sehr dringlich, etwas anderes zu finden. Beruflich hätte sich zum Glück schon eine Veränderung ergeben.
„Ich bin total froh, dass das Arbeitsamt mir eine Umschulung angeboten hat“, sagte Frau Martens. „Sonst würde ich wahrscheinlich nur frustriert herumhängen.“
„Und was lernen Sie da für einen Beruf?“ erkundigte sich Hedda.
„Na ja, Beruf ist wohl etwas hoch gegriffen“, meinte Frau Martens. „Das Ganze läuft ja nur über ein Jahr, dafür aber total intensiv. Es ist eine Umschulung im Graphikbereich, sehr vielschichtig. Vielleicht habe ich ja damit eine Chance, mir hier eine neue Existenz aufbauen zu können. Wer weiß? In der Werbebranche oder ähnliches, das wär’ schon toll.“
Hedda überlegte: „Aber dann wissen Sie noch gar nicht, wo Sie hinterher arbeiten werden, oder?“
„Nein, leider nicht. Man könnte sagen, dass ich mich derzeit in einem Schwebezustand befinde“, versuchte Frau Martens ihre momentane Situation zu erklären. „Es ist leider noch alles völlig ungewiss, wie es genau weitergeht, sei es beruflich oder auch privat. Und da ich vom Arbeitsamt nur auf Sparflamme gehalten werde, bleibt mir auch nichts anderes übrig, als so ein einfaches Zimmer wie dieses zur Untermiete zu nehmen, sozusagen als Übergangslösung.“
„Heißt das, Sie wollen hier nur kurz wohnen?“ fragte Hedda etwas besorgt.
„Das kann ich nicht genau sagen“, antwortete Frau Martens ehrlich. „Es ist, wie gesagt, alles offen, wie es weiter gehen wird. Ob ich später eine Arbeit finde oder nicht, das kann ich heute auch noch nicht abschätzen. So rosig sieht es im Moment jedenfalls nicht aus, das haben sie mir schon verkündet. Na ja, und was das Wohnen betrifft, zurzeit fände ich es jedenfalls ganz schön, mit jemandem zusammenzuwohnen, da ich mich in dieser Stadt noch nicht so eingelebt habe, dass ich mich alleine wohl fühle.“
„Aber hatten Sie nicht gesagt, Sie leben schon seit zwei Jahren hier?“ fiel Hedda ein.
„Ja schon, aber mein Freund und ich haben uns leider immer sehr abgekapselt von allem. Heute bedauere ich das natürlich“, gab Frau Martens zu verstehen.
„So, wie das klingt, was sie da erzählen, wird es wohl doch noch einige Zeit dauern, bis sich bei Ihnen eine Lösung gefunden hat, oder?“ versuchte Hedda ein wenig Klarheit in die Sache zu bringen. Sie hatte eigentlich gehofft, dass sich bei ihr eine melden würde, die vorhatte, länger bei ihr zu wohnen.
„Ja, ich denke schon.“ Frau Martens nickte wohlwollend mit dem Kopf. „So wie es aussieht, bleibt mir nichts anderes übrig. Grundsätzlich möchte ich ja doch großzügiger leben, als nur einen kleinen Raum zur Verfügung zu haben. Aber was soll ich machen? Also, Frau Siebert, wenn Sie damit leben können, dass es unklar bleibt, wie lange ich bei Ihnen wohne, dann würde ich das Zimmer gerne nehmen.“
Hedda war einverstanden. Am ersten September sollte der Einzug sein. Ein paar Tage vorher wollte die neue Untermieterin noch einmal vorbeikommen, um das Zimmer genau auszumessen. Bei dieser Gelegenheit - Hedda hatte ihr einen Kaffee angeboten - einigten sich beide darauf, sich bei ihren Vornamen zu nennen. Und da die neue Mieterin auch schon auf die fünfunddreißig zuging, und beide somit altersmäßig nicht allzu weit auseinander lagen, bereitete es Hedda keine Probleme, Verena zudem noch zu duzen.
„Ich würde gerne ein paar eigene Möbel mitbringen, wenn du nichts dagegen hast“, bat Verena, als sie sich noch einmal in dem Zimmer umschaute. „Die brauche ich unbedingt zum Arbeiten. Viel passt hier ja sowieso nicht mehr ‘rein. Die restlichen Sachen lasse ich dann im Keller bei meinem Freund ... äh ... Exfreund natürlich“, grinste sie Hedda für den Versprecher an.
Hedda hatte zwischenzeitlich die Glasvitrine aus dem Zimmer genommen und bei sich aufgestellt, so dass der Platz jetzt wieder frei war. Warum sollte die Neue also nicht auch etwas Eigenes hineinstellen? Hedda fand zwar, dass ihre Möbel ausreichen müssten, aber gegen ein wenig Individualität war natürlich nichts einzuwenden.
Verena brachte einen Schreibtisch und Stuhl, einen kleinen Schrank, eine Art Vertiko, einen Fernseher, ein etwas älteres Modell, dessen Rückwand sich bereits zum Teil gelöst hatte, und ein paar Topfpflanzen mit. Obwohl sie den runden Tisch von Hedda in den Keller stellten, wurde es doch etwas enger in dem Zimmer.
„Eigentlich entspricht es ja gar nicht meinem Lebensstil, so klein, so eng. Aber das wenige Geld. Wohl oder übel muss ich mich dem leider fügen“, seufzte sie laut vernehmbar.
Hedda ging durch den Raum und schaute sich um. „Wieso, ich finde es ganz hübsch.“
Am nächsten Morgen musste Verena gleich wieder ihrer Arbeit nachgehen, also zur Schule. Sie dürfe nur äußerst selten fehlen, da waren die Auflagen vom Arbeitsamt sehr streng, andernfalls hätte sie das Pensum nicht erfüllt und müsse zudem die Kosten rückwirkend erstatten, erzählte sie Hedda. „Es ist unwahrscheinlich anstrengend, aber ich muss zugeben, auch absolut interessant“, fügte sie noch schnell hinzu, bevor sie die Wohnung verließ.
Als Verena die Tür ins Schloss fallen ließ, saß Hedda immer noch am Küchentisch und trank ihren Morgenkaffee. Wie beim ersten Mal, als Elke eingezogen war, stellte sich wieder dieses wohlige Gefühl ein. Sie holte tief Luft und gab einen zufriedenen Laut von sich. Die wärmende Kaffeetasse in beiden Händen haltend, lächelte sie in sich hinein. Ja, sie freute sich, nicht mehr alleine zu sein. Ihr Entschluss, es noch einmal zu versuchen, war doch der Richtige gewesen.
Sie träumte ein wenig vor sich hin. In ihrer Phantasie stand ihr eine interessante, erlebnisreiche Zeit bevor. Sie träumte davon, mit Verena nachmittags gemütlich zusammen zu sitzen, ein paar selbstgebackene Kekse zu essen, Tee zu trinken und ein wenig über die Welt und das Leben im Allgemeinen zu plaudern. Sie stellte sich gemeinsame Ausflüge vor oder dass sie auch mal gemeinsam ins Kino gehen würden. Hedda war noch nie in einem Kino gewesen, alleine traute sie sich nicht und könnte es wohl auch nicht genießen. Aber zusammen mit Verena! Hedda erinnerte sich an das erste Gespräch, in dem Verena selbst betont hatte, dass sie alleine wäre und Kontakt suche. Sicherlich wäre sie sonst auch nicht in ihrem Alter noch zu einer Fremden in die Wohnung gezogen. In den prächtigsten Farben malte sich Hedda einen gemeinsamen Sonntag aus: strahlender Sonnenschein, blauer Himmel, saftige Wiesen, ein Blumenmeer wie im Bilderbuch – und mittendrin Verena und sie, vertieft in anregende Gespräche. Eine schöne Vorstellung. Mit verklärtem Blick verweilte sie in ihren Träumen.
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