Gerald Roman Radler
DIE LSD-KRIEGE
AUFBRUCH NACH OM
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gerald Roman Radler DIE LSD-KRIEGE AUFBRUCH NACH OM Dieses ebook wurde erstellt bei
EIN KIND DER MENGENLEHRE
DIE FOLGEN DES FIEBERS
EINE SPITZBEHÜTETE KINDHEIT
AUFERSTEHUNG
NOLI ME TANGERE
ALLEIN IM STOLLEN
ERINNUNGEN AN DIE LIEBE
ALTLERCHENFELD DIE HEIMAT
DAS LOCH IM MORGEN
DIE GUTEN UND DIE BÖSEN
DER FREUND
DIE ERSTE REISE
DAS NORMALE LEBEN
DER SCHWUR DES SUCHENDEN
DIE ZWEITE REISE
UNA NOTTE INQUIETANTE
DER LETZTE URLAUB
DER KÖNIG WIRD GEKRÖNT
IM SPINNWEBENWÄLDCHEN
DIE DRITTE REISE
SO VIELE WEGE
IN EINEM EINZIGEN SOMMER
DER VORHANG
EIN UNDURCHSICHTIGES LABYRINTH
DIE VIERTE REISE
IM SAMSARA VIOLETT
DIE PSYCHIATRIE
ENTSCHLOSSENHEIT
DU LEBST MIT MIR IN EINER WACHSFLAMME
EIN ANFLUG VON HELDENMUT
BAL MACABRE
DIE SECHSTE REISE
GEVATTER TOD
MITTEN IM KRIEG
AUFBRUCH NACH OM
DER ERNST DES LEBENS
DER REICHE DE GECKO
ENTKOMMEN
DIE SIEBTE REISE
FAHRT INS UNGEWISSE
DIE KEGEL DES KÜSTERS
WÜSTE VOLLER BLUMEN
DAS LANGE SEUFZEN
Impressum neobooks
Meine Geburt fiel auf das Jahr 1960. Mit diesem Datum verbinde ich den Beginn eines neuen Lebensprinzips. Ich war eines der vielen wohl behüteten Kinder der Kriegsgeneration. Meine Eltern gaben mir den altertümlichen Namen Arthur. Vielleicht dachten sie an König Artus und wollten mich ermahnen, ein ruhmreiches Leben zu führen, um eine einmalige Epoche einzuleiten. Sie zogen mich in einem Plastikpalast groß, der angereichert war mit den Errungenschaften der unbegreiflichen neuen Technologie, die besonders meinen Vater faszinierte. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter des Kunststoffes. Er glorifizierte diese unverwüstlichen Materialien, da sie immer noch bestehen würden, wenn er schon längst begraben war. Er trug Polyesterhemden und kaufte Plastiktischtücher, damit auch er Anteil an dieser Ewigkeit nehmen durfte.
Sessel in unvereinbaren Farben, an denen die nackte Haut kleben blieb, standen bald um den Esstisch. Er war so begeistert von Resopal, dass er mit der Handkante liebevoll über die glatten, fein gemusterten Platten der Küchenschränke strich. Er hatte noch vor meiner Geburt die dunklen, gediegenen Möbel seiner Eltern, die bis zu ihrem Tod in der Wohnung gelebt hatten, gegen eine abwaschbare Einrichtung eingetauscht. Ich kannte das ehemals teure Inventar nur noch von vergilbten Fotos. Wie hätten sich die Eltern meines Vaters über den Ausverkauf gekränkt, wenn sie noch am Leben gewesen wären!
Mein Vater hatte seine Jugend im Krieg verloren und den Großteil seiner Energie damit verwirtschaftet, dort anzuknüpfen, wo er vor dem Einrücken angefangen hatte. Unbegreiflicherweise hatte er sich freiwillig für den einjährigen Wehrdienst gemeldet und dann begann auch schon der Zweite Weltkrieg. Sein Vater hätte ihn vor den sieben kommenden, mageren Jahren bewahren können. Er war ein einflussreicher Hofrat bei der Bundesbahn und es wäre ein Leichtes gewesen, ihn sofort einzustellen und als unabkömmlich anzugeben.
Aber mein Vater wollte fort von zu Hause. Es war seine einzige Chance, dem Kokon der Mutter und dem gestrengen Vater den Rücken zu kehren. Kriege scheinen nur aus einem Grund erfunden worden zu sein: Sie schenkten dem Muttersöhnchen die Möglichkeit, das warme Nest zu verlassen. Ich selbst begriff schon als Kind, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er beteuerte ständig, wie wenig ihn die herumliegenden Toten am Schlachtfeld belastet hätten. Die herabfallenden Bomben hatte er wohl als störend empfunden, doch war er stets erfolgreich ausgewichen.
Immerhin wäre der Krieg seine schönste Zeit gewesen, sagte er, wenn er in romantischen Erinnerungen schwelgte. Er prahlte mit Erzählungen von fremden Ländern und rassigen Frauen, die sich ihm in Düsseldorf, Paris, Warschau und Moskau hingegeben hätten. Zumindest in seinen eigenen vier Wänden schwang er sich zum Abenteurer im Ruhestand auf.
An so manchem dämmrigen Sommerabend lag mein Vater am Bett und erzählte mir Episoden seines Glücksrittertums, die er mit Lehren spickte. Die Konturen der Möbel gingen ineinander über. Die Gestalt des Vaters wurde immer dunkler und bald hörte ich nur mehr seine Stimme, bis das Neonlicht in der Stolzenthalergasse anging. In meiner kindlichen Vorstellungskraft umschiffte mein geliebter Vater als Sindbad der Seefahrer die sieben Meere und kehrte als Münchhausen – auf einer Kanonenkugel reitend – heim, um sich niederzulassen und zu heiraten. Besiegelt wurde das endgültige Ende seiner wilden Epoche durch die eher zufällige und von ihm sicher nicht erwünschte Schwangerschaft meiner Mutter. Sie hatte ihm vorgegaukelt, die Pille regelmäßig einzunehmen.
Vermutlich wünschte sie sich schon lange eine lebendige Puppe zum Spielen. Er hatte ihr blind vertraut und selbst nicht Obacht gegeben. Als sie in anderen Umständen war, hatte er angenommen, dass dieses Medikament, dass die Kongestion der Frau irgendwie verhindern sollte, noch nicht so ausgereift war, wie allgemein behauptet wurde.
Meine Mutter war innerlich leer und freute sich auf ein Baby. Sie nannte mich völlig unzeitgemäß Arthur. Mein Vater ertrug ihre Schwangerschaft mit gemischten Gefühlen. Er war seelisch erschöpft, wollte bereits in Ruhe gelassen werden und in Beziehungslosigkeit bequem dahindämmern. Die Einstellung meiner Eltern lieferte die ideale Voraussetzung für die Gründung einer neuen Familie!
Bei meiner Geburt träumten die Menschen von einer besseren, mechanischen Welt, in der sie Zeit finden würden für die kleinen Freuden des Alltags. Die Tage der Unrast waren vorbei. Es wurden Speisen aufgetragen, dass sich der Tisch bog. Niemand hatte es mehr nötig sich in einem Geschäft um limitierte Nahrung anzustellen und womöglich unverrichteter Dinge mit knurrendem Magen umzukehren. Es wurden Reserven angelegt, so frisch war die Erinnerung an Ausnahmezustände. Der Rückzug in die eigenen vier Wände war für meine Eltern notwendig und erholsam, nach den Jahren der Angst und der Unsicherheit.
Für mich aber bedeutete dieses Kasper-Hauser-Dasein ein frühzeitiges Verkennen der Grundbedingungen des Lebens. Ich hielt die häusliche Struktur für die Welt. Ich brauchte nur den, von meinen Eltern vorgegebenen Schablonen genügen. Flugs erfüllten sie mir – im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten – sämtliche ausgesprochene Wünsche. Meine Anliegen waren von den Vorstellungen meines Vaters manipuliert. Er informierte mich zuerst, wonach es einem Buben gelüstete. Dann wartete er geduldig. Sollte ich das suggerierte Bedürfnis aufgesogen und in meine forschende Fantasie integriert haben, rieb er sich still die Hände. Ich bekam sogleich Bücher oder Spielsachen geschenkt, die ihm Freude bereiteten. Wie zufällig erwähnte er dann, dass er als Kind ähnliche Dinge besessen hatte. Wahrscheinlich hatte sein Vater ihm genauso eingeredet, woran es ihm angeblich mangelte.
Vielleicht wollte er eine genaue Kopie der häuslichen Eintracht erzwingen, die er während seiner Adoleszenz genossen hatte und im Krieg doch schrecklich vermisste. Immer wieder musste ich mir anhören, wie sehr er seinen Vater verehrt und seine Mutter geliebt hatte. Er wurde nie müde zu erzählen, dass sein Vater ein blitzgescheiter Jurist und seine Mutter eine warmherzige, gehorsame Frau gewesen war, die nie dem Willen des Mannes zuwider handelte. Stets beugte er sich den Ratschlägen seines Vaters, die dank seiner umfassenden Weisheit immer die Richtigen waren. Er präparierte mich schon für die kommenden Jahre, damit ich keinen Widerspruch leistete, wenn ich größer wurde.
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