Die Frauen waren in eine angeregte Unterhaltung vertieft, Tassen mit dampfendem Tee vor sich. Wulfhelm setzte sich und beäugte skeptisch die Tasse, die vor ihm stand. So ganz traute er der Sache immer noch nicht, musste jedoch feststellen, dass das Kräutergebräu vielleicht nicht besonders schmeckte, aber eine wohltuende Wirkung hatte. Während Wulfhelm dem Gespräch der Frauen lauschte, mümmelte er gedankenverloren an einem der Kekse. Erst jetzt spürte er, wie hungrig er eigentlich war, und griff immer wieder zum Tablett, um sich Nachschub zu besorgen.
»Ach Kindchen, das war ja einer der Gründe, warum ich in die Abgeschiedenheit des Waldes gezogen war. In Kaisersruh waren die Männer auch so engstirnig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich um Anerkennung und Gleichberechtigung gerungen habe, als selbstständige Unternehmerin. Wir hatten sogar einen eigenen Frauenkreis gegründet, aber bald musste ich einsehen, dass wir gegen Windmühlen ankämpften. Also machte ich meinen Laden dicht und zog in den Wald, wo ich den Waldbewohnern helfen konnte. Sie zollten mir Anerkennung und halfen mir dieses Häuschen zu bauen.« Harika hing gebannt, das Kinn auf die Hände aufgestützt, an den Lippen der Hexe und nickte ab und zu oder warf einen zustimmenden Kommentar ein. Wulfhelm kannte die Nummer irgendwoher und dachte nicht im Traum daran sich einzumischen. Er starrte in der Hütte umher, bis er der zwei Orks vom Baum gewahr wurde, die durch ein Fenster sahen und sich den Pelz rauften. Einer zog sich gerade mit dem Zeigefinger über die Kehle und zeigte auf die Hexe. Sie schienen irgendwie aufgeregt zu sein und zogen die merkwürdigsten Grimassen. Wulfhelm sah so gebannt zu den Orks, um ihre Körpersprache zu entschlüsseln, dass ihm ganz entgangen war, wie die Unterhaltung am Tisch verstummt war.
»Sind das Freunde von dir?«, fragte Myrna und hob tadelnd den Zeigefinger. »Das hättest du mir doch sagen können. Was ist das für ein Benehmen sie einfach draußen stehen zu lassen. Sie werden sich noch erkälten. So bitte sie doch herein.«
Oh, oh. Die Sache schien schon wieder zu entgleisen. Wulfhelm ging hinaus und lehnte sich an die Tür, um erst mal tief durchzuatmen. Die Orks bogen gerade um die Hüttenecke und kamen wild gestikulierend auf ihn zu.
»Hey, Mann! Was ist hier los?«, eröffnete der Größere von ihnen das Gespräch. »Seid ihr lebensmüde? Die Alte wird euch mit ihrem Geschwafel einlullen und dann grillen!«
»Moment, Moment!«, winkte Wulfhelm ab. »Ihr werdet sehen, sie hat sich total verändert.«
Die Orks sahen ihn abschätzend an und Wulf besann sich seiner Rolle als großer Zauberer.
»Ähm, ich wollte sagen ... Ich habe sie verzaubert. Sie wird euch keinen Unbill mehr zufügen«, trumpfte er auf und vollführte einen improvisierten Stepptanz, wobei er wild, Zauberformeln imitierend, mit den Armen ruderte. Die Orks sahen noch skeptischer drein und Wulfhelm wurde das Gefühl nicht los, dass er insgeheim in die Klapsmühle gesteckt wurde.
»Äh ... Kommt doch einfach mit rein und überzeugt euch selbst«, sagte er und tat, als wäre er tödlich beleidigt. Für einen Moment sah es so aus, als würden die Orks das Hasenpanier ergreifen, doch schließlich rissen sie sich zusammen und erklärten sich bereit Wulf zu folgen. Er führte sie in die Hütte, wo die Hexe schon damit beschäftigt war, zwei weitere Gedecke aufzutischen. Die Orks sahen sich unsicher in der Hütte um und kamen nur zögernd näher.
»Warum so schüchtern? Ich beiße nicht«, verkündete Myrna und lächelte die Monster gewinnend an. Aus den Gesichtern der Orks konnte Wulfhelm ablesen, dass sie das genaue Gegenteil vermuteten, und er versuchte, die Atmosphäre etwas aufzulockern: »Die zwei hier gehören zu einer großen Gruppe, die ihr Lager in der Nähe der tausendjährigen Buche aufgeschlagen haben.«
»Oh, vielleicht sollte ich mal vorbeischauen. So eine Art Nachbarschaftsbesuch, versteht ihr?«
Die Orks schüttelten verneinend die Köpfe. »Das ist doch wirklich nicht nötig«, versicherten sie wie aus einem Mund.
»Ach, das macht mir keine Umstände«, winkte die alte Frau lässig ab.
»Wir müssen jetzt aber gehen«, sagte der größere Ork und schob seinen Begleiter in Richtung Tür.
»Sie haben ihren Tee ja gar nicht angerührt«, sagte Myrna, nachdem die Monster gegangen waren.
Wulfhelm und Harika blieben noch ein paar Stunden bei Myrna, die jetzt unablässig in einem großen Kessel rührte und verschiedene Zutaten hinzufügte. Vorher hatte sie den Wald wieder in Ordnung gebracht, nachdem sie bei dem düsteren Anblick fast in Ohnmacht gefallen war. Der Bodennebel hatte sich inzwischen vollkommen aufgelöst und die Sonne schien nun auch wieder durch das Blätterdach. Dieses Panorama hatte etwas ungemein Friedliches und Beruhigendes.
Während Harika sich weiter mit der Hexe unterhielt, experimentierte Wulfhelm vor der Hütte mit seinen Artefakten und kennzeichnete die Ringe und Stäbe, deren Funktion er herausfand mit einem Zettel, den er aus seinem Zauberbuch herausriss und mit Baumharz festklebte.
Diese Arbeit war nicht ganz ungefährlich und in ihrem Verlauf wurde ein Baum vom Blitz getroffen, ein unscheinbarer Pilz wuchs auf das Zehnfache seiner Größe an und ein Wildschwein wurde liebestoll und verfolgte Wulfhelm einige Meilen durch den Wald, bis er es abschütteln konnte. Erschöpft ließ er sich vor der Hütte nieder und versuchte wieder zu Atem zu kommen, als sich die Tür öffnete und die beiden Frauen heraustraten.
Sie zogen einen großen Handwagen hinter sich her, auf dem der Kessel stand, in dem die Hexe vorhin noch gekocht hatte. Wulfhelm versuchte, einen Blick in das Innere des Kessels zu werfen, stellte jedoch enttäuscht fest, dass er mit einem Tuch zugedeckt war. Er wollte nicht neugierig erscheinen, daher fragte er nicht. Stattdessen schwelgte er in Fantasien über einen mächtigen Zaubertrank und überlegte, was Myrna damit vorhatte. Da sich der schwer beladene Handwagen nur mühsam über den weichen Waldboden ziehen ließ, wurde auch Wulf eingespannt von hinten zu schieben, während sich die Frauen an der Deichsel abmühten. Mit gelindem Unbehagen stellte Wulfhelm fest, dass sie sich dem Lager der Monster näherten. Auch wenn er seinen Teil des Vertrages erfüllt hatte, zog er doch eine bessere Gesellschaft vor. Die Oger hatten ihn so hungrig angesehen, vielleicht würden sie sich nicht an die Abmachung halten. Plötzlich bremsten die Frauen den Handwagen ab, und als Wulfhelm aus seinen Überlegungen aufschreckte, standen sie bereits mitten im Lager.
Die Monster standen in kleinen Gruppen auf dem Platz verteilt und diskutierten eifrig. Aus einigen lauter gesprochenen Wortfetzen entnahm Wulfhelm, dass die Gespräche um den plötzlichen Sinneswandel der bösen Hexe kreisten und ob man dem Luder trauen konnte, oder alles ein Trick war. Außerdem wurden empörte Rufe laut, was aus dem schönen, finsteren Wald geworden war. Die Monster schienen sie noch nicht bemerkt zu haben, denn keines von ihnen machte Anstalten sich um sie zu kümmern.
»Hallo, da sind wir!«, rief die Hexe wie eine Großmutter, die in den Sommerferien ihren Sohn besuchte. Die Gespräche verstummten und eisige Stille breitete sich aus. Eine Zeit lang standen beide Parteien einfach da und beäugten sich. Wulfhelm erschien es, als wären die Monster zu Stein erstarrt, denn sie bewegten sich nicht einmal, um sich am Ohr zu kratzen.
»Hey, ihr müsst schon etwas lockerer werden, wenn wir eine gute, nachbarschaftliche Beziehung aufbauen wollen«, brach Myrna das Schweigen.
»Was meint sie?«, klang das Flüstern eines Goblins herüber.
Der angesprochene Ork zuckte die Schultern.
»Meinst du das ernst, oder ist das wieder einer Deiner fiesen Tricks?«, ertönte die Stimme eines Monsters, das sich in der Geborgenheit der hintersten Reihe der Gruppe wähnte.
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