Axel Rudolph
Die schöne Sylvia
Kriminalroman
SAGA Egmont
Die schöne Sylvia - Kriminalroman
Copyright © 1937, 2018 Axel Rudolph und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711445266
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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Gerhard Lennebergs breite Hand fährt verhalten liebkosend und leicht über das glatt gescheitelte Frauenhaar. Valerie Gauda aber starrt noch immer selbstvergessen auf die Marmordoppelbüste, vor der sie stehen. Ist das wirklich wahr, daß sie dieses Bildwerk mit ihren Händen geschaffen hat? Sind diese beiden wundervollen Mädchenköpfe dort wirklich und wahrhaftig ihr Werk, ein in Stein gemeißeltes Stück ihrer Seele ?
„Ich kann es noch nicht fassen, Gerhard. Professor Nefgen war heute vormittag hier. Weißt du, was er sagte? Es sei …“
„Ein Meisterwerk!“ Gerhard Lenneberg nickt. „Das sagte er auch zu mir. Ich traf ihn vorhin.“
„Auch zu dir hat er das gesagt!“ Valerie Gaudas Augen glänzen erregt. Sie freut sich über dieses Wort des berühmten Bildhauers, das so ehrenvoll ist, daß sie selbst es nicht laut auszusprechen wagt. Lenneberg findet, daß sie sehr überarbeitet aussieht, und nimmt sanft ihre Hand.
„Er sagte noch mehr.“
„Was?“ Die Künstlerin ist begierig, das Urteil eines Berufenen zu hören. „Was hat er noch gesagt?“
„Er zitierte Goethe: Ihr werdet nie von Herz zu Herzen sprechen, wenn es euch nicht von Herzen geht!“
Die Tür des Ateliers knarrt. Frau Valerie wendet langsam, den Blick von dem Marmorbild zur Tür. Aber sie sieht das gleiche Bild, nur daß die steinernen Züge Farbe und Bewegung bekommen haben und zwei lebendige Mädchenköpfe sind, die ihr entgegenlachen.
„Sie sollten Mutter endlich dazu überreden, sich hinzulegen, Herr Lenneberg! Sie treibt ja Raubbau an ihrer Gesundheit!“ — Das ist Sylvia Gauda, die ältere, einundzwanzig Jahre alt, hellblond, schön und strahlend wie ein Frühlingstag. Helen, die Zwanzigjährige, ein wenig eckig, lang aufgeschossen und schmal, ist vor der Marmorbüste stehengeblieben. Auf ihrem feinen, nachdenklichen Gesicht liegt ein stiller Ernst.
„Ich glaube, es ist beste Arbeit, Mutter!“
„Ja, geradezu unglaublich, wie sie das gemacht hat!“ schwatzt Sylvia fröhlich. „Ohne Sitzung, Herr Lenneberg, denken Sie nur, ohne eine einzige Sitzung hat Mutter das geschaffen! Diese gottbegnadete Künstlerin läßt sich einfach eines Tages einen Marmorblock kommen, schließt sich ein und meißelt munter drauf los! Wenn wir anklopfen, dreht sie vor unserer Nase einfach den Schlüssel herum. Und dann — gestern abend — wankt sie auf einmal ins Eßzimmer und sagt nur: ‚Ich bin fertig!‘“
„Du mußt jetzt ruhen, Valerie.“ Lenneberg schiebt seine Hand unter den Arm der am Fenstersims lehnenden Frau und führt sie aus dem Atelier. Im Hinausgehen wendet Valerie Gauda sich um und blickt noch einmal nach der Marmorbüste. Ihre Lippen formen lautlos und ungläubig ein Wort: „Meisterwerk?“
„Mutter hat sich diesmal wirklich selbst übertroffen.“ Sylvia tänzelt um die Büste herum und betrachtet sie kritisch von allen Seiten. „Geschmeichelt hat sie uns zwar nicht gerade dargestellt. Kann man nicht sagen. Wenigstens mich nicht! Was meinst du, Helen? Seh’ ich wirklich so aus? So, mit dem verschwommenen Zug um den Mund? Und du mit den harten Augen! Also besonders schön hat Mutter uns nicht verewigt. Aber eine großartige Sache bleibt’s deshalb doch.“
Helen hat stille, große Augen. „Hast du gesehen, Sylvia, wie schön Mutter war, als sie dort am Fenster stand und ihr Werk betrachtete?“
„Mutter ist immer schön.“ Sylvia zieht einen Spiegel aus ihrem Täschchen und stellt mit Befriedigung fest, daß das Kunstwerk der Natur an Lieblichkeit und Reiz das Marmorbild noch übertrifft. „Wenn Mutter nachher nach mir fragt, Kindchen, so sag’ ihr, daß ich mit Herbert Rohde verabredet bin.“
„Du kommst wieder nicht zum Abendbrot?“
„Kein Gedanke! Herbert erwartet mich Punkt neun im Kaiserhof, und ich muß mich doch erst umziehen.“
„Herbert …?“
„Wer denn sonst? Du nimmst mir das doch nicht übel, Kindchen? Beim Tennisspiel gehört er ja dafür dir.“
Jetzt ist Abwehr in Helens Augen. „Du wählst deine Worte sonderbar, Sylvia.“
Ihre Schwester lacht obenhin. „Im Ernst, mein Kindchen: Wenn es dir unangenehm ist, gebe ich die Freundschaft mit ihm natürlich auf. Du brauchst mir’s nur zu sagen.“
„Wie kommst du darauf?“
„Na, na! Nur nicht gleich so strenge Augen, liebes Kind! Sei ehrlich! Ein bißchen, ein ganz kleines bißchen hast du doch für Herbert Rohde übrig gehabt?“
Helens Gesicht bleibt kalt. Aber ein Mißklang schwingt leise in der Stimme. „Du machst merkwürdige Witze, Sylvia. Deine Freundschaft mit Herbert Rohde berührt oder beunruhigt mich in keiner Weise.“
„Dann um so besser. Au revoir, mein Lieb!“
„Sylvia!“
Der vorwurfsvolle Ton läßt Sylvia stehenbleiben und sich umwenden. „Was ist denn? Ach ja, du wolltest etwas mit mir besprechen! Hat das nicht Zeit bis morgen? Du hörst doch, daß ich um neun …“
„Das hat heute vormittag ein Bote für dich abgegeben.“ Helen hat rasch einen offenen Briefumschlag hervorgezogen und reicht ihn der Schwester, Sylvias Augen blinzeln leicht, als sie den Aufdruck liest: „Bendler & Croy, Damenmoden“. Etwas hastig greift sie nach dem Brief.
„Wohl wieder eine Offerte.“
„Sylvia! — Willst du nicht mit mir darüber sprechen?“
Sylvias Augen gehen von dem Briefumschlag in ihrer Hand zu der Schwester. Ihr Gesicht färbt sich langsam rot. „Weißt du etwa, was da drin steht?“
„Der Brief war offen, wie du siehst.“
„Eine unglaubliche Art von Bendler & Croy! Aber trotzdem ist es nicht sehr taktvoll von dir, einen an mich gerichteten Brief zu lesen.“
„Komm’, setz’ dich mal hierher!“ Helen legt den Arm schwesterlich um Sylvias Schultern und drückt sie in den einzigen Lehnsessel des Ateliers. „Laß uns lieber vernünftig beraten, statt uns gegenseitig Vorwürfe zu machen.“
Sylvia mault noch ein wenig. „Meinetwegen, Helen. Aber nicht jetzt. Ich muß Punkt neun im Kaiserhof sein!“
„Herbert Rohde wird warten, auch wenn du etwas später kommst,“ gibt Helen ruhig zurück. „In dem Brief wirst du aufgefordert, endlich deine Rechnung bei Bendler & Croy zu begleichen. Zwölfhundert Mark! Sylvia, woher willst du soviel Geld nehmen?“
„Ach, Bendler & Croy werden mir schon noch Zeit lassen!“
„Kaum. Die Firma schreibt, daß du sie immer vertröstet und trotz deiner Versicherungen seit einem halben Jahr noch keinen Pfennig abgezahlt hast, und daß sie, wenn du nicht binnen acht Tagen die Rechnung begleichst, andere Schritte — und so weiter! Zwölfhundert Mark für Kleider! Du verdienst in der Bank ganze 150 Mark im Monat, Sylvia! Was in aller Welt hast du dir gedacht, als du diese schrecklichen Schulden machtest?“
„Es ist so aufgelaufen,“ sagt Sylvia kleinlaut. „Ich wußte gar nicht, daß es so viel war. Vielleicht wird Mutter …“
Helen unterbricht den Satz durch eine entschiedene Handbewegung. „Mutter darf kein Wort davon erfahren. Sie sorgt sich so schon genug. Du weißt doch ganz genau, wie es bei uns steht. Mutter hat kein Vermögen. Was ihre Kunst einbringt, und mehr als das, verschlingt unser Haushalt, Soll sich etwa Mutter am Munde absparen, was du leichtsinniges Huhn verschwendet hast?“
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