Axel Rudolph - Schatten um Rußlands Thron

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"Im Schatten um Russlands Thron" ist eine eindrückliche Geschichte, die in mannigfaltiger Art die Ära Russlands der Zwischenkriegszeit wiedergibt. Abenteuerlich, tückisch und komplex, fesselt Axel Rudolphs Roman den Leser vom ersten Augenblick an. – Lesenswert!-

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Axel Rudolph

Schatten um Rußlands Thron

Saga

Schatten um Rußlands Thron Copyright © 1937, 2019 Axel Rudolph und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711445181

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

1.

Sankt Petersburg.

Träge wälzt sich die Newa vorbei an der breiten, graden Uferstrasse. Drüben, jenseits des Flusses, steigen aus feuchten Märznebeln die grauen Bastionen und nadelspitzen Türme der Peter-Paul-Festung.

Unruhe ist in der Luft. Mit dem Winter kämpfen die ersten Frühjahrswinde. Ahnungsvoll knirschen und reiben sich die treibenden Eisschollen im Fluss, aneinander. Kommt das dumpfe Getöse von ihnen her oder ist es etwas anderes, das sich da wie Brausen und Grollen von Fernher heranwälzt?

Die Dworniks, die vor den Häusern den nassen, halbgetauten Schnee zusammenfegen, halten in ihrer Arbeit inne und blicken unruhig nach der Richtung, aus der das Brausen anschwillt. Selbst der dickwattierte Iswoschtschik dort an der Ecke hebt den Kopf und reckt sich ein bisschen auf seinem Kutschbock.

Nun quillt es hervor aus der Nebenstrasse, eine erregte, wild durcheinanderflutende Menschenmenge. Stahlglänzende Bajonette in ihrer Mitte.

„Gefangene“, sagt ein Hausverwalter, der zu dem Kutscher an der Ecke getreten ist, und bekreuzigt sich. „Arme Teufel, die man zur Festung führt.“

„Zurück da! Pack!“ Ein baumlanger Sergeant mit rotem Gesicht, der den Transport führt, sucht die den Zug umdrängende Menge fortzuscheuchen, aber heute scheint die bleiche Furcht, die das Volk sonst gefesselt hält, dahin zu sein. Ist das Mass so voll, dass es zwangsläufig überschäumt, oder wissen die Leute, dass den Soldaten, die da stumm neben den Gefangenen marschieren, selber der Ingrimm in der Seele brennt, dass sie nicht schiessen werden, selbst wenn man es ihnen befehlen sollte — die Menge lässt sich nicht verjagen. Drängend und stossend, schreiend und schimpfend laufen die Bürger neben dem Zuge her, drängen sich zwischen die Wachtsoldaten und stecken den Gefangenen ohne Scheu Lebensmittel und Tabak zu.

Etwa fünfzig Männer sind es, die von den Bajonetten eskortiert werden, ernste, von Arbeit durchgeistigte alte Gesichter, junge Menschen von aufrechter, stolzer Haltung. Manche von ihnen tragen Offiziersuniform.

„Man führt wieder neue Schlachtopfer in die Kasematten!“

„Gott sei mit euch, Brüder!“

Drohender, lauter werden die Rufe der Empörung. Die Menge wächst. Fast wird der Zug gegen die Häuserfront gedrängt. Der Sergeant flucht und schimpft.

,,Fort da, ihr schlechtes Gesindel! Gebt den Weg frei, oder . . .“

„Halt!“

Das ist eine Kommandostimme. Der Sergeant schaut verdutzt empor zu dem behäbigen, untersetzten Mann in Generalsuniform, der von der kleinen Freitreppe da mit mächtigem Bass das Wort gerufen hat, er gibt seinen Soldaten ein Zeichen. Wie ungebärdige Meereswogen stösst der Schwall der Menschen gegen den plötzlich wie zu Fels erstarrenden Zug.

Der kleine Mann in Generalsuniform ist die wenigen Stufen zur Strasse hinuntergestiegen, stösst mit den Armen rücksichtslos die im Wege Stehenden beiseite.

„Wohin Sergeant?“

Der Transportführer salutiert. „Zur Peter-Paul-Festung, Exzellenz. Man hat mir befohlen . . .“

Der General wendet ihm den Rücken. Sein Blick fliegt über die Schar der Gefangenen, bleibt an einem hochgewachsenen jungen Mann in Fähnrichsuniform haften.

„Auch du, Feodor Andrejewitsch?“

Der Gefangene hat Stellung genommen. Voll und offen ruht sein Blick in den Augen des Generals. „Wer Russland liebt, kann nicht zusehen, wie der Zar es den Jakobinern ausliefert, General Kutusow!“

„Halt dein ungewaschenes Maul, Junge!“ knurrt der General. Dann tritt er auf den jungen Mann zu und umarmt ihn. „Ich werde deinen Vater benachrichtigen.“ Wendet sich zu dem Transportführer und winkt heftig mit der Hand.

„Pascholl, Sergeant!“

Weiter marschiert der traurige Zug. General Kutusow wendet sich und stösst dabei mit einem alten Mann zusammen, der ihm nicht schnell genug ausweichen konnte.

„Sieh dich vor, Muschik! Kannst du einem General nicht Platz machen?“

Ein derber Knuff begleitet die Worte. Der Alte taumelt zur Seite und verneigt sich demütig. Tränen rinnen ihm dabei in den Bart.

General Kutusow verhält erstaunt den Schritt. „Warum weinst du, he?“

Wieder bekreuzigt sich der Alte: „Gott hat mich gestraft, Eure hohe Exzellenz. Ich bin aus Kaschira, im Gouvernement Tula. Alles hat man mir genommen, meinen Jungen, mein Weib — alles.“

„Wirst du verdient haben, Bauer.“

„So ist es, Eure Herrlichkeit.“ Der Alte schlürft hinter dem General her, der stampfend zu seinem vorgefahrenen Wagen schreitet. „Aber der Zar ist gnädig. Ich bin hierhergekommen, um mich ihm zu Füssen zu werfen, um Gnade zu bitten. Die Torwache hat mich geprügelt und davongejagt.“

„Scher’ dich zum Teufel!“ General Kutusow hat bereits einen Fuss auf dem Trittbrett seines Wagens, als er plötzlich innehält. Er greift in die Tasche und schleudert dem Alten ein Goldstück an den Kopf.

„Da! Besauf dich!“

Lässt sich Sann mit einem Schnaufen in das Polster fallen. „Zum Kasino, Iwan! Lass die Pferde laufen!“

„Was möchten Sie von mir wissen, Graf Pahlen?“

Lächelnd, die winzige Teetasse graziös in ihrer Linken balancierend, schaut Juliane Krüdener zu dem ihr Gegenübersitzenden auf. Der Ministerpräsident Graf Pahlen, dessen Gestalt die zierliche Figur der Baronin Krüdener um Kopfeslänge überragt, streicht sich das bartlose, energisch geformte Kinn.

„Vielerlei, Baronin. Vor allem möchte ich Ihnen meinen ergebensten Dank aussprechen, dass Sie meine Bitte erfüllt haben, diesen Nachmittag mein Haus mit Ihrer Gegenwart zu verschönen. Dann aber möchte ich wissen . . .“ Pahlens verbindliches Gesicht wird jählings ernst und eisern . . . „ob Sie etwas wissen!“

Juliane Krüdener lächelt unschuldig. „Von der Verschwörung, meinen Sie?“

Graf Pahlens Augenlider zucken etwas nervös. Einen Augenblick presst er die schmalen Lippen zusammen. „Ihre guten Verbindungen zur Diplomatie sind bekannt, meine Gnädigste. Dennoch überrascht es mich, dass Sie anscheinend auch über diese Sache informiert sind.“

„Haben Sie es nicht vorausgesetzt, lieber Graf? Ihre erste Frage liess es jedenfalls vermuten.“

Pahlen nickte bestätigend. „Ich erfuhr allerdings von einer gewissen Äusserung, die Sie vor einigen Tagen bei der Soiree im Palais Wolkonski getan haben. Und dieser Äusserung . . .“

„ . . . verdanke ich die heutige liebenswürdige Einladung des Herrn Ministerpräsidenten“, fällt die Krüdener lächelnd ein. ,,Wollen wir nicht mit offenen Karten spielen, Graf?“

„Wie Sie befehlen.“ Pahlen sieht seiner Besucherin entschlossen ins Gesicht. „Sie — kennen also einen der — Verschworenen?“

„Nein. Aber ich kenne Sie, Graf Pahlen!“

Aufmerksam, alle Sinne gespannt, blickt Pahlen sie an. „Wie, wünschen Sie, dass ich dies verstehe?“

Noch immer lächelt die Baronin Krüdener unschuldsvoll. Ihre wohlgeformten Schultern heben und senken sich kurz. „Die Verhältnisse unter der Regierung Seiner Majestät des Zaren Paul drängen unerbittlich zu einer Entscheidung. Jedes Kind kennt die erbitterte Stimmung im Volke. Die Herren Offiziere machen kein Hehl aus ihrer Gesinnung. Es liegt auf der Hand, dass infolge der zum mindesten — unvorsichtigen Dekrete Seiner Majestät eine Verschwörung, die auf eine Änderung der bestehenden Zustände hinzielt, nicht nur bei der Armee, sondern auch im Volke restlose Zustimmung finden würde. Sollte Graf Pahlen der Mann sein, eine solche Chance ungenutzt vorübergehen zu lassen?“

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