1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 »Juhu, hier oben!«, rief Wulfhelm um die Aufmerksamkeit der Kriegerin (und aller anderen Waldbewohner) auf sich zu lenken.
»Himmel, schrei doch nicht so«, bellte sie zurück und blickte ihn fragend an.
»Sieht ganz behaglich aus, komm hoch.«
Es war offensichtlich, dass dieser Unterschlupf nicht für Pferde geeignet war, also versteckte Harika das Tier in einer Buschgruppe und band es fest. Danach betrat sie die Baumhöhle und zog das Gebüsch wieder, so gut es eben ging, vor die Tür. Sicher war sicher. Während Wulfhelm sich an den Vorräten zu schaffen machte, richtete die Kriegerin ihr Strohlager her und betrachtete es prüfend.
»Wir werden uns sicher Flöhe oder etwas noch Schlimmeres einfangen, wenn wir hier schlafen.«
Wulfhelm trat zu Harika herüber und reichte ihr ein Stück Wurst.
»Immer noch besser als den Ungeheuern in die Arme zu laufen, findest du nicht?«, entgegnete er und trat auf eine fette Spinne, die aus seinem Bett kroch.
»Hab ich dir eigentlich schon mal erzählt, wie froh ich bin, dass du bei mir bist? Ich meine natürlich ..., äh ... du bist so ... na ja, du weißt schon.« Wulfhelm wollte Harika einfach nur etwas Nettes sagen, doch im Verlauf seiner Erörterung, nahm sein Teint eine immer rötlichere Färbung an und er sah sich außerstande, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Mit anderen Worten, er kam sich vor wie ein Idiot.
»Ich weiß«, erwiderte Harika verlegen und betrachtete ihre Schuhe. Auch ihr Gesicht nahm eine gesunde Rötung an. So standen sie eine Zeit lang da, ihr Schuhwerk betrachtend, ab und an mal verstohlen aufsehend, nur um dann wieder den Boden abzusuchen. Harika ergriff als Erste die Initiative und Wulfhelms Hand. Im ersten Moment erschrak er, jagte ihm doch die Berührung der Kriegerin ein unbekanntes Kribbeln durch den ganzen Körper. Aber er ließ es geschehen, dass sie ihn zu sich heranzog und innig umarmte. Wulfhelm meinte sogar, ihren Herzschlag durch das schwere Kettenhemd hindurch zu spüren. Hastig und unbeholfen presste Harika ihre Lippen auf die seinen, allerdings gab Wulfhelm auch keine bessere Figur ab, als er ihren Kuss erwiderte. Jetzt wo sie beide ihren Gefühlen auf ihre eigene tapsige und unerfahrene Art Ausdruck verliehen hatten, fühlten sie sich angenehm erleichtert. Wulfhelm legte sich auf sein Lager nieder und war schon bald ins Land der Träume entschwunden. Die Kriegerin saß mit angezogenen Beinen auf ihrem Strohhaufen und hatte das Kinn nachdenklich auf die Knie gelegt. Warum sollten sie eigentlich nicht das Ungeziefer eines Lagers teilen? Dadurch würden sie jeder nur die Hälfte der Parasiten auf sich ziehen. Und geteiltes Leid war immer noch halbes Leid. Sie kuschelte sich dicht an Wulf an und war kurz darauf ebenfalls eingeschlafen.
Währenddessen lugte Donnersturm, Harikas Pferd, missmutig durch die Äste seines Versteckes. Ausgesperrt. Während sein Frauchen einen warmen Platz hatte, durfte er hier in der Kälte stehen und konnte nicht mal ein wenig umherlaufen, um warm zu werden. Ärgerlich kaute er auf ein paar Blättern des Gebüsches herum. Langsam begann ihm der ganze Job zu stinken. Nicht ein Wort Text war für ihn übrig geblieben, dabei hatte er wirklich keine großen Ansprüche. Er fragte sich, wofür er drei Jahre lang Schauspielunterricht genommen hatte. Was für ein Abstieg. Als Tristan hatte er großartige Kritiken bekommen und an ein paar richtig großen Bühnen gespielt, doch nun sah er sich in eine Statistenrolle in einem Laienschauspiel gedrängt. Schuld an allem war dieser widerliche Schreiberling. Na, der sollte ihm mal hinter die Hufe kommen!
Ein plötzliches Aufflackern erregte Donnersturms Aufmerksamkeit. Es schien, als hätte jemand ganz in der Nähe ein Lagerfeuer entfacht. Der Gedanke an ein wärmendes Feuer versetzte ihn in Aufregung. Verdammt, er war ja immer noch an diesem blöden Busch festgebunden …
»Harika, wach auf. Da ist jemand in der Nähe«, flüsterte Wulfhelm eindringlich.
»Wie? Was?« Langsam kam Harika wieder aus ihrer Traumwelt zurück.
»Ich habe Stimmen gehört. Ich glaube, da singt jemand«, erwiderte Wulfhelm und lugte durch das Astloch.
»Kannst du was sehen?«, fragte die Kriegerin verschlafen blinzelnd und kam zu Wulfhelm gekrochen.
»Nicht richtig. Da schimmert Licht durch die Bäume.«
Wulfhelm hatte sich nicht getäuscht. Leiser, kehliger Gesang drang an ihre Ohren. Es handelte sich um jene Art von Liedern, wo ein Einzelner einen Vers sang, der dann von einem Chor wiederholt oder mit einem anderen Vers erwidert wurde. Harika und Wulfhelm kauerten sich dicht an dem Astloch zusammen und lauschten, um den Wortlaut des Liedes zu verstehen.
»Wir sind die gefürchtete Monsterbande!«, bölkte der Vorsänger.
»WIR SIND DIE GEFÜRCHTETE MONSTERBANDE!«, stimmte der Chor zu.
»Bringen Angst und Schrecken im ganzen Lande!«
»BRINGEN ANGST UND SCHRECKEN IM GANZEN LANDE!«
»Mord und Totschlag ist unser Geschäft!«
»MORD UND TOTSCHLAG IST UNSER GESCHÄFT!«
»Wir ziehen durch die Gegend, wenn jeder schläft!«
»WIR ZIEHEN DURCH DIE GEGEND, WENN JEDER SCHLÄFT!«
»Rauben und plündern, ja das ist fein!«
»DA HASTE RECHT, SCHENK NOCH MAL EIN!«
»Das klingt ja entsetzlich«, beschwerte sich die Kriegerin.
Wulfhelm konnte ihr nur zustimmen. Es schienen hundert Stimmen zu sein, die alle in einer unterschiedlichen Tonlage und zu einer unterschiedlichen Melodie sangen. Was an sich schon ein Kunststück war, denn der Vortrag schien überhaupt keine Melodie zu haben. Der Chor schickte sich an, die zweite Strophe zu schmettern.
»Bald ziehen wir wieder in die Schlacht!«
»BALD ZIEHEN WIR WIEDER IN DIE SCHLACHT!«
»Und wer uns nervt, wird Platt gemacht!«
»UND WER UNS NERVT, WIRD PLATT GEMACHT!«
»Ohne Mühe stürmen wir jedes Schloss!«
»OHNE MÜHE STÜRMEN WIR JEDES SCHLOSS!«
»Ich bin Haggamuk und ich bin der Boss!«
»TATSÄCHLICH?!«
»Ja, rauben und plündern, das ist ... Häh? Wie war das?«
»TATSÄCHLICH?!«, wiederholte der Chor grölend.
»Etwa nicht?«, kam es leiser und verunsichert zurück.
»NÖ!«, war sich der Chor einig.
»Äh ... Hey, ich dachte, das wäre geklärt! Was ist denn mit euch los?«
»WIR SIND UNS EINIG, WIR WOLLEN KEINEN BOS!«, sang der Chor artig und griff die Reimerei wieder auf.
»OK, lasst uns mal für einen Moment vernünftig sein!«, rief Haggamuk verzweifelt.
»ZUM LETZTEN MAL, UNSERE ANTWORT LAUTET: NEIN!«
»Ist das eine Meuterei?«, fragte Haggamuk in einem Anflug von Panik.
»NEIN, DEMOKRATIE!«, johlte die Meute.
»Demo ... Was??«
»DEMOKRATIE!! JEDER HAT GLEICH VIEL ZU SAGEN. KEINER IST DER BOSS, JEDER IST DER BOSS!«, brandete der Singsang erneut auf.
»Was ist denn das wieder für eine Scheiße? Wer hat euch diesen Floh ins Ohr gesetzt?«
»Na, ja«, tat sich einer aus der Menge hervor. »Wir fanden, dass es Zeit für ein paar Reformen wäre.«
»Huh!?« Haggamuk schien langsam aus der Fassung zu geraten.
»Nun, es wurde doch Zeit, dass dieses Anführer-Trara endlich aufhört. Schließlich sind wir alle gleichberechtigte Monster und so ist es doch nur natürlich, dass wir alle mitbestimmen können«, fuhr der Gruppensprecher fort.
»JO, DA HAT ER RECHT!«, bekräftigte der Rest.
»So ein Humbug! Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder macht, was er will? Hiermit schaffe ich diese Demo ... Dingsda wieder ab und ernenne mich zum Boss und nun ... He, was habt ihr vor? Ihr könnt doch nicht ... Örks.«
Die Meute machte, nachdem ihr letzter Gegensprecher überzeugt wurde, mit ihren Festlichkeiten weiter.
»Ich schlage vor, dass einer von uns Wache hält, während der andere schläft. Die Monster scheinen uns ja noch nicht entdeckt zu haben«, meinte Harika.
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