Wenn auch viel gelacht wurde, - es standen genau so oft ernste Probleme im Mittelpunkt der Gespräche: Von den Tagesthemen und den politischen Entscheidungen – meist waren zum Glück einige pro, andere dagegen – bis hin zu neuen Erfindungen und Entdeckungen im naturwissenschaftlichen Bereich. Ethische und religiöse Fragen kamen auch aufs Trapez, wurden aber leider zu häufig abgeschmettert, weil sich Friedhelm, der bewusste Studienrat vom hiesigen Gymnasium, schon sofort mit seinen so belehrenden Ausführungen den „Laien“ über den Mund fahren wollte. An Stelle von Mitgefühl und Mitleid mit kranken und armen Menschen verwies er oft ein Ungeschick in das Reich des bösen Ungehorsams zu den Forderungen Christi. Alles hatte für ihn seine vorgegebene, genau einzuhaltende Ordnung. Seine Maßstäbe über Sitte und Moral waren eng gesetzt, standen ein für alle Male fest und waren unumstößlich, eindeutig und richtig.
Heinz und er joggten, morgens um acht Uhr.
Auf dem Schaufelstiel sich aufstützend warteten Straßenarbeiter darauf, dass die Teermaschine heißen Asphalt liefern konnte. „Das nennt man nun Schwerstarbeit! Ich kann mir solche Ruhepausen nicht gönnen!“ – „Warte nur einen Augenblick! Wenn der Teer kommt, müssen sie doppelt schuften! Und mit der Maschine zusammen leisten sie dann mehr als 200 Schwarze in Afrika. Die Welt bewertet aber die Währung eines Staates nach der Arbeitskraft seiner Bürger. Das ist ungerecht!“ – „Dann sollen die sich doch auch solche Maschinen anschaffen!“
War es ein Wunder, dass die anderen ihn für dumm, uneinsichtig und überheblich hielten?
Nur eine Entschuldigung hatten sie für ihn: Er war der einzige „Jung“-Geselle. Armer Schlucker! Eher ein vergreister, alter Bock.
Bei den eigentlich wichtigen Themen musste er passen: „Unser Kleiner hat Mumps!“ – „Stell Dir vor, mein Werner hat die zweite Fünf in Mathe geschrieben.“ – „Ob unser Mädchen nach dem Abitur noch studieren soll, ist mir vollkommen fraglich geworden. Sie hat doch schon einen Freund......“ – Davon hatte er nun gar keine Ahnung.
Brachte jemand diese existenziellen Themen vor, konnte er sicher sein, dass alle Familienväter ihm zuhörten und ihm mit ihren Erfahrungen raten und beistehen wollten.
Friedhelm musste schweigen. Er war ja selbst so hilfsbedürftig. Einmal kam er aus sich heraus, er meinte, als Religionslehrer dürfe er nur so reden, als wären seine weisen Sprüche sein eigenes Leben. Doch seine Überheblichkeit und seine Sturheit hatten wohl jedes Weib davon gejagt. Aber er verschwieg seine Wünsche nach einem warmen Bett vor der Gruppe nicht! Und das machte ihn wieder sympathisch. Alle litten dann mit ihm.
Deshalb meinten sie schließlich, sie könnten es mit ihm wohl aufnehmen: Sie hatten Erfolg und standen mit beiden Beinen im Leben. Ihm fehlte dagegen jede reale Vorstellung von der Welt, und er hatte kein handwerkliches Geschick.
Die Verheirateten fühlten sich als glückliche Familienväter. Die Anzahl ihrer Kinder war für heutige Verhältnisse unverständlich groß: achtzehn Kinder in vier Familien. Und die Väter verdienten alle so viel, dass sie ihren Frauen freistellen konnten, ob sie Arbeit annehmen wollten oder nicht; sie hätten es ihnen ja verbieten können!
So meinten die Herren, wegen dieser Großzügigkeit müssten ihre Frauen ihnen treu ergeben sein, ihnen bei allen Entscheidungen freie Hand lassen und all ihren Wünschen entgegenkommen.
Meine Güte! Waren die Männer ahnungslos! – Ihre „Weibchen“ sagten nur: „Lass doch die kleinen Machos!“ – Keine Angst! Weibchen ist für sie kein Schimpfwort, vielmehr ihr ganz intimes Kosewort! Die Vögel sitzen doch auch mit den Weibchen in einem Nest! – Na, ja, wenn die Männerrunde über ihre Frauen sprach, war der Tonfall oftmals rüde. Sogar ihr hoher Jurist Walter drückte sich manchmal recht derb aus: „Meine Güte, hatte meine Xanthippe heute wieder schlechte Laune!“ Aber gerade er hatte nachweislich die geringsten Schwierigkeiten mit seinem „Täubchen“, und dieser Ausdruck passte viel besser zu ihr! (Dabei soll nicht verschweigen werden, dass der Oberste Richter des Senats, der sich selbst gern mit „Euer Ehren“ anreden ließ, häufig auch von seiner „Alten“ sprach!) – Typischer Tonfall einer Männerrunde. Vielleicht wollten diese vorbildlichen und fürsorglichen Familienväter ihre verlorene oder sogar freiwillig aufgegebene Macho-Vormacht damit vertuschen.
Denn alles war reines Gehabe! Sie alle liebten ihre Angetrauten heiß und innig! Nicht einer von ihnen war zu einem kleinen Seitensprung fähig gewesen. Sie beichteten ihren Frauen schon das Küsschen als größte Sünde, wenn das in früher Jugend beim „Flaschendrehen“ so verlangt worden war. Kaum glaubhaft, aber die Doppelkopfbrüder waren alle aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Waren sie Spießbürger? Hatten sie keine Wünsche mehr, waren einfach gesättigt von dem, was sie erreicht hatten? – Aber sie waren noch keine vierzig! Im Stillen hoffte jedoch jeder auf eine unerwartete Wende, die neuen Elan in ihr Leben bringen würde.
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Als Günther an Krebs starb, kam Paula zu ihnen. Der verstand sich mit Heinz und Walter vom ersten Spiel, nein, vom ersten Augenblick an bestens. Wenn nicht von Männern gesprochen würde, könnte man sagen: Es war Liebe auf den Ersten Blick!
Paula war ein Klassenkamerad von Heinz in den ersten Jahren des Gymnasiums. Er hatte es nicht so gut mit dem Lernen. Aber er besaß dafür unglaublich viel Mumm in den Knochen, der bei den anderen wohl etwas zu kurz gekommen war. Mit zwanzig schmuste er schon mit einer festen Freundin, und mit einundzwanzig gründete er sein Unternehmen. Kurz vor der ersten Pleite heiratete er seine schwangere, wesentlich jüngere Heike.
Er und Heinz waren schon damals gute Kameraden gewesen. Und als Freund von Heinz kannten ihn alle und natürlich auch seine Eskapaden im Liebesleben. Alle nahmen ihn ohne Vorbehalte in ihren Klub auf.
Aber Heinz hatte diesen Paul als kleinen Knirps mit dem Foto einer hübschen Blonden erwischt. Anscheinend mochte er sie sehr. Das war Grund genug, ihn zu foppen. Und als dann herauskam, dass seine Angebetete die Schauspielerin Paula Wessely war, er selber sich dann noch Paul Wessels nennen musste, war die Sachlage klar: Von der Sexta an hieß er Paula. Beim Doppelkopf dann natürlich auch wieder. - Nein, nicht immer, nicht in ernsten Situationen.
Sein Wesen war bestimmt nicht mädchenhaft. Er begrüßte die Männer mit festem Händedruck, lachend, aber die mussten ihre Hand reiben, so weh tat sie ihnen. Jeder konnte nur bestätigen: Er war ein echter Mann, sprühte nur so von Energie und Witz. Er war ein absoluter Gewinn für die Runde.
Er lachte gern, genau so gern brachte er alle mit seinen „dummen“ Fragen in Verlegenheit. Mit seinem lächelnden Gesicht konnte er die blödesten – und provokantesten Fragen stellen. Dabei verschonte er sich selbst nicht, scheute keine eigene Blamage.
Die Offenheit, mit der er von seinen Kümmernissen sprach, war für alle umwerfend.
Schon die Einleitung des ersten Spieles begann er mit den Worten: „Leute, heute muss ich einen zulegen. Gewinnen oder verlieren, das ist mir egal! – Ich habe eine neue Sekretärin! Wisst ihr, wer Amor war?“
Verblüffung allerseiten. Alle schauten nicht ihn, sondern Heinz ganz entsetzt an. „Welch einen Missgriff hast du uns da vorgesetzt!?“
Das Spiel stoppte sofort, fing erst gar nicht an. So dumm kann doch gar keiner sein!
Friedhelm war in seinem Element. Er erklärte die gesamte antike Mythologie.
„Herr Studienrat! Ist doch alles jedem von uns bekannt. Du sollst mir nur erklären, warum die Griechen und danach die Römer in der Liebe den Gott Eros, Amor oder Cupido gesehen haben, wir dagegen meinen, sie sei nur ein recht menschliches Verhalten, das allein durch die Ehe seine rechte Weihe bekommt und nur durch Zucht und Ordnung in Grenzen gehalten wird!“
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