Ben Worthmann - Leben für Fortgeschrittene

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"Leben für Fortgeschrittene" ist der dritte und letzte Teil der Familien-Trilogie von Ben Worthmann. Teil 2: "Meine Frau, der Osten und ich, Teil 1: «Etwas ist immer». Alle drei Teile können auch abhängig von einander gelesen werden.
Die Jahre vergehen, doch das Dasein bleibt turbulent. Im Job gibt es nur Stress, die Kinder wollen nicht erwachsen werden, die Verwandten sind anstrengend, die Nachbarn nerven, der Hausarzt schwört auf amouröse Abenteuer als beste Medizin und es wird gestorben. Und dann kommt es auch noch zu verwirrenden Enthüllungen über das Doppelleben eines Paares im vorgerückten Alter. Die große Frage bei all dem lautet, ob es ein Leben nach dem Tode gibt, wenn auch nicht gleich unbedingt nach dem eigenen…
******Witzig, nachdenklich, selbstironisch und ziemlich ehrlich schreibt der Autor von «Etwas ist immer» auch diesmal über sich und seine Generation.***********
Außerdem von Ben Worthmann im Handel: Die Thriller «Die Frau am Tor», «Nocturno», «In einer Nacht am Straßenrand», «Tödlicher Besuch» sowie, als neuestes Werk, «Auf gute Nachbarschaft»

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Ben Worthmann

Leben für Fortgeschrittene

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Inhaltsverzeichnis Titel Ben Worthmann Leben für Fortgeschrittene Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Ben Worthmann Leben für Fortgeschrittene Dieses ebook wurde erstellt bei

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

War dies das Leben? Und musste man erst ein bestimmtes Alter erreicht haben, um sich diese Frage zu stellen? Ich tröstete mich damit, dass ich vermutlich nicht der Einzige war, der seine Schwierigkeiten damit hatte, eine befriedigende Antwort zu finden. Abend für Abend sank ich matt in meinen Korbsessel – handgeflochten, italienisch, mit weißen Bezügen aus strukturiertem Leinen, wir besaßen zwei davon, Annas Stolz – und dann dämmerte ich erst einmal eine halbe Stunde vor mich hin, ehe ich mich aufraffte, doch noch rüber ins „Body Shape“ zu gehen, um mich durch den Gerätepark zu kämpfen, oder wenigstens mit Frieda eine Runde um den Block zu laufen.

Wir nannten es „um den Block“, obschon es hier in unserer Gegend alles Mögliche gab, ein paar ordentliche Restaurants, einen teuren Friseur und sogar dieses Fitnessstudio, nur keine Wohnblocks. Es handelte sich vielmehr um eine Ansammlung mehr oder minder sehenswerter Einfamilienhäuser, darunter auch ein paar richtige Villen. Die meisten Häuser waren älterer Bauart, sie stammten aus der Zeit, als dieses Viertel noch ein Vorort von Berlin war und nicht Teil eines Bezirks wie seit der großen Gebietsreform in den goldenen Zwanzigern des zwanzigsten Jahrhunderts, und einige Häuser waren hübsch renoviert, wie beispielsweise unseres. Alle standen auf Grundstücken um die achthundert Quadratmeter, manche mit altem Koniferen- und Obstbaumbestand – wie ebenfalls unseres -, und das Ganze war durchzogen von kleinen baumbestandenen, im Sommer stets schattigen Straßen, die zusammen ein irgendwie rechtwinkliges Muster ergaben. Alles erschien wohl geordnet, zumindest von weitem betrachtet, aber so ist es ja oft.

Meistens machte eines unserer Kinder eine Runde mit Frieda um den sogenannten Block. Auch die Kinder nannten wir so, obwohl sie in Wirklichkeit keine Kinder mehr waren, sondern nahezu erwachsen, jedenfalls, soweit Kinder heutzutage mit zwanzig bis dreißig erwachsen zu sein vermögen. Später am Abend trank ich meinen Rotwein, wobei Anna mich immer ermahnte, ich solle bitte wegen der weißen Sesselkissen aufpassen. Dabei fiel es mir ohnehin nicht leicht, mich zu entspannen, falls nicht Wochenende war oder ich gerade am nächsten Tag mal keinen Dienst hatte. Meistens hatte ich Dienst, auch am Wochenende, und genau das war ebenfalls ein Teil des Problems. Es gibt nun mal diese idiotischen Berufe, bei denen der göttliche Rhythmus der Wochentage einen Dreck zählt und die natürliche Ordnung der Schöpfung schon gar nichts: Fernsehmoderatoren, Polizisten, Krankenschwestern, U-Bahnfahrer, Busfahrer, Restaurantpersonal, Fitnesstrainer, Soldaten, Piloten, Hoteliers, Taxifahrer, Bademeister, Schriftsteller, Priester, Gefängniswärter, um nur ein paar zu nennen – und eben auch uns Zeitungsleute.

Man könnte die Sache auch von der anderen Seite sehen und würde sogleich feststellen, dass die Zahl der Menschen, die niemals an einem Wochenende arbeiten müssen, vergleichsweise gering ist. Doch in den Köpfen der meisten Leute verbinden sich, allem Gerede von der Dienstleistungsgesellschaft zum Trotz, mit dem Begriff Arbeit immer noch Vorstellungen aus frühindustriellen Tagen. Aber nicht nur deswegen neigte ich in letzter Zeit zu der Auffassung, dass man nicht der allergrößte Zyniker sein muss, um die meisten Berufe für mehr oder weniger idiotisch zu halten. Letzten Endes dienten sie doch nur dem zweifelhaften Zweck, einem ein gewisses Quantum Geld einzubringen, eben genug, um bei Laune gehalten zu werden, aber zu wenig, um wirklich leben zu können, sofern man unter dem Leben nicht nur ein Dasein als Berufstätiger verstand.

Gewiss, es gab ein paar Verrückte, die ihren Beruf als Berufung begriffen – oft genug waren es interessanterweise solche Zeitgenossen, denen deutlich mehr als das übliche Bei-Laune-halten-Quantum auf ihr Konto überwiesen wurde. Doch das bestätigte mich nur in meiner Überzeugung, dass es sich bei all dem, was so über Arbeit, Beruf und Sinnerfüllung erzählt wurde, größtenteils entweder um Heuchelei oder um Missverständnisse oder um blind übernommene Klischeevorstellungen handelte. Und manche Klischees hielten sich besonders hartnäckig, wie beispielsweise auch jenes von dem angeblich hochinteressanten Leben, das Journalisten führen. Inzwischen kostete es mich große Mühe, den Mund auch nur zu einem kleinen wissenden, leicht ins Hämische spielenden Grinsen zu verziehen, wenn ich dergleichen hörte – um sodann müde abzuwinken und zu erklären, dass auch Journalisten längst nichts anderes mehr seien als ganz normale Bürosklaven.

Allerdings wurden die Gelegenheiten zu solchen aufklärerischen Momenten inzwischen immer seltener. Mit unserer Branche ging es rapide bergab, das dämmerte allmählich auch denen, die immer noch blauäugig von enormen Karrieren in den sogenannten Medienberufen träumten. Überall schlichen nassforsche Burschen in schwarzen Anzügen, mit hässlichen gelben oder grünen Krawatten und widerwärtigen Frisuren durch die Gänge und suchten mit dreistem Blick nach Optionen für sogenannte Synergieeffekte, um sich mit sündhaft überhöhten Jahresgehältern und Boni dafür entlohnen zu lassen, dass sie fremde Arbeitsplätze zerstörten. Denn Synergieeffekte ließen sich bekanntlich am einfachsten dadurch erzeugen, dass man irgendeinen fadenscheinigen Vorwand erfand, um Leute hinauszuwerfen.

In meinem Fall wäre das etwas schwierig gewesen, einfach deswegen, weil ich zu alt war. Ein Familienvater jenseits der fünfzig, mit dreißig Berufsjahren und immerhin fast zehn Jahren Betriebszugehörigkeit auf dem Buckel, stellte für diese Typen ein echtes Problem dar. Für mich war das jedoch kein wirklicher Trost. Ich hätte nämlich gar nichts dagegen gehabt, wenn sie mich synergetisch wegsaniert hätten – gegen eine entsprechende Abfindung, versteht sich.

Doch genau daran wurde offenbar gar nicht gedacht. Sie warfen bei diesem Zeitungsverlag das Geld für alles Mögliche zum Fenster hinaus, für Beteiligungen an obskuren Fernsehsendern, für fragwürdige Internetprojekte, neue Fachmagazine zu den absurdesten Themen und peinliche Billigillustrierte, Zeitungsgründungen in zahlungsschwachen EU-Beitrittsländern und natürlich für die Vorstands- und Chefredakteursgehälter einschließlich Tantiemen und Dienstmercedes. Aber auf die Idee, mich mit einem goldenen oder von mir aus auch ruhig nur silbernen Handschlag zu verabschieden, war bisher noch niemand gekommen.

Ich hatte mittlerweile diverse Synergie- und Sanierungsmaßnahmen überlebt, während um mich herum permanent die Köpfe rollten. Die Überlebenden überboten einander in Schleimerei, Ellbogeneinsatz und scheinheiligem Eifer, sodass ich mir gelegentlich wie ein Exot vorkam. Man schätze mich wegen meiner Routine und Erfahrung, hatte ich mir verschiedentlich mit eigenen Ohren anhören müssen, und es hatte mich jedes Mal in Erstaunen versetzt, dass diejenigen, die sich in dieser Weise äußerten – voran der Chefredakteur – es nicht einmal für nötig gehalten hatten, wenigstens ein bisschen dabei zu erröten. Zwar hätte man auf den Gedanken kommen können, ich stünde nach all den Jahren jetzt gewissermaßen unter Artenschutz, gerade weil ich das falsche Alter hatte und obendrein die falschen politischen Ansichten und mich dann auch noch dem hauseigenen Dresscode verweigerte. Aber die banale Wahrheit lautete, dass einfach niemand ahnte, wie leicht es gewesen wäre, mich loszuwerden. Sie hätten mir lediglich, sagen wir, fünfhunderttausend Euro zahlen müssen und ich hätte mich still und leise und unter Verzicht auf jegliche arbeitsrechtliche Gegenwehr verabschiedet. Womöglich wäre ich sogar mit vierhunderttausend zufrieden gewesen. Auf jeden Fall hätte ich über dieses Angebot sehr intensiv nachgedacht und mit Anna beratschlagt. Doch statt mit solch einer Offerte auf mich zuzukommen, zahlten sie mir jedes Jahr an die hunderttausend, was dem Gehalt eines Ressortchefs – eines Abteilungsleiters also, wie das anderswo hieß – entsprach, und das, obschon ich längst kein Ressortchef mehr war – eine Folge der jüngsten Synergie-, Sanierungs- und Optimierungseffekte.

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