Das Taxi hielt vor dem Mexx , und nachdem sie den Fahrer entlohnt hatte, sprang Daniela elastisch aus dem Auto und auf den Eingang zu. Sie strahlte den jungen Mann an der Kasse an und sagte: „Ich steh auf der Gästeliste, Daniela Möllner, und das hier ist meine plus Eins.“
Sie griff nach Fraukes Hand.
Der Mann streifte Frauke mit einem flüchtigen Blick, fuhr mit seinem Finger über die Liste, nickte und lächelte Daniela an. Und als sie weiterging, lächelte er ihr hinterher, während er feststellte, dass sie von hinten ähnlich appetitlich aussah wie von vorne. Die graue Maus in ihrer Begleitung würdigte er keines weiteren Blickes. Komisches Paar, die beiden. Widerstrebend wandte er schließlich seine Aufmerksamkeit von Danielas Hintern ab und den Neuankömmlingen zu.
Die beiden Mädchen gingen in Richtung Hauptraum. Frauke stellte fest, dass die meisten Besucher ihr zumindest vom Sehen her bekannt vorkamen. Viele der Gesichter hatte sie schon in der Universität gesehen, und einige kannte sie auch aus der Kneipe, in die Daniela sie ein paar Mal mitgenommen hatte. Was ihr besonders auffiel, war die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Zuschauer weiblich war.
Zehn Meter weiter beugte sich ein Mädchen mit blonden Haaren, rotem Top und schwarzem Mini zum Barkeeper hinüber. Frauke wunderte sich, wie Daniela so schnell an die Theke gelangt sein konnte, aber ein Blick zur Seite belehrte sie, dass die Freundin noch neben ihr stand. Hui, dachte sie, Daniela wird sich gar nicht freuen, dass das Mädchen ihr so ähnelt.
„Wann fängt das Konzert an?“ fragte sie Daniela.
Die warf einen Blick auf die Uhr. „Vor zwanzig Minuten. Willst du was trinken?“
„Nein, danke“, lehnte Frauke ab und fügte hinzu, als sie Danielas sehnsüchtigen Blick sah: „Aber ich komme mit zur Theke.“
Die nächsten zehn Minuten vergingen damit, dass Daniela sich ein Glas Sekt besorgte und Frauke im Raum hin und her führte, um Freunde zu begrüßen. Frauke lächelte und grüßte und lächelte wieder und hatte die meisten Namen schon vergessen, ehe die nächste Personengruppe erreicht war. Danielas leise geflüsterten Anmerkungen beim Weiterschlendern, die sich meist auf den Geisteszustand oder das Sexualleben der eben begeistert Begrüßten bezogen, steigerten noch Fraukes Verwirrung.
Schließlich aber quietschte ein Mikrofon, und der Besitzer des Clubs begrüßte seine Gäste und verkündete, dass er stolz und glücklich sei, Gabriel ankündigen zu dürfen. Er trat zurück, und seine Stelle wurde von dem Sänger eingenommen, was einen Begeisterungssturm im Publikum hervorrief.
Neugierig musterte Frauke den Mann, der ihre Freundin zu „whouwhouwhou“-Schreien hinriss. Er mochte Anfang dreißig sein, und Frauke musste sich ein Grinsen verkneifen, als sie feststellte, dass er einen Smoking trug. Nachmacher, dachte sie. Den trägt Max Raabe auch.
Gabriel begrüßte seine Fans, und Frauke dachte, dass seine Stimme weniger an Max Raabe als an Sven Regener erinnerte, den Sänger von Element of Crime . Schön, das gefiel ihr schon mal.
Gabriel redete noch ein bisschen, doch statt auf seine Worte zu achten, betrachtete Frauke ihn eingehender. Er mochte etwa 1,80 Meter messen, wirkte aber größer, da er sehr schlank war. Und das Gesicht – an wen erinnerte sie das nur? Ja, dachte sie, an einen jungen William Dafoe in einer seiner fieseren Rollen. Zwar sah er ein bisschen besser, ein bisschen hübscher aus, doch der Zug um den Mund herum und die Form seines Kiefers erinnerten sie tatsächlich an den Schauspieler. Gerade warf er lässig seinen sandfarbenen Scheitel zurück, sein Publikum lachte über seine letzte Bemerkung, und die Musik setzte ein.
Gabriel begann zu singen, und mit einem Mal verstand Frauke, warum ihre Freundin so hingerissen war. Eine geradezu magnetische Anziehungskraft ging von dem Singenden aus, und die kehlige Stimme zupfte mit spitzen Fingern an ihren Nervenenden.
Nach den ersten Augenblicken stellte Frauke fest, dass Daniela und viele andere Wort für Wort mitsangen. Es schien sich also um eins der bekannteren Lieder zu handeln, sonst beschränkte sich die allgemeine Textkenntnis ja normalerweise auf den Refrain. Frauke konzentrierte sich, um zu verstehen, worum es ging.
… und wenn wir morgens dann beim Zähneputzen vor dem Spiegel stehn,
kann ich Müdigkeit und Liebe aus deinen Augen schillern sehn.
Doch blick ich in meine Augen – wie ich da erschrecke,
wenn ich erkennen muss, was ich da entdecke:
Müde Liebe.
Entsetzlich müde Liebe.
Lebensmüde Liebe – bald ist sie tot.
Tut mir Leid für dich.
Schlagartig ließ der Zauber nach. Das war ja nicht gerade nett, was der junge Mann da zum Besten gab. Andererseits gab es so viele Lieder über die andere Seite, von Personen, die verlassen werden, dass es so vielleicht auch einmal ganz interessant war.
Frauke klatschte höflich, als das Lied vorbei war, lächelte Daniela an, die „ist er nicht großartig“ in ihr Ohr brüllte, und wartete ab. Im nächsten Lied schien es darum zu gehen, wie Frauen sich darum bemühen, ihren Männern seelisch nahe zu kommen. Frauke wippte vorsichtig mit und war schon bereit, Lied und Sänger zu mögen, als Gabriel zum Refrain kam, wieder unterstützt vom Publikum:
… und schließlich kennt ihr ihn, habt bekommen was ihr wollt,
habt auch viel dafür getan, habt gestreichelt, habt geschmollt.
Habt gegraben und gesucht und dann den Kern des Kerls gefunden,
doch ist der nicht wie ihr gedacht, und schon seid ihr verschwunden.
Doch ich kenne dieses Spiel und ziehe euch in meinen Bann,
bei mir bekommt ihr, was ihr wollt: Ich bin ein Rätselbild von Mann.
Quietschen, Lachen und Klaschen begleiteten den Refrain, und der Sänger blitzte triumphierend ins Publikum. Er wusste, dass er sie alle in der Tasche hatte, dass sie ihn liebten. Wunderbar.
Frauke kochte in der Menge vor Empörung und blickte mit Unverständnis auf die begeisterte Daniela. Was war denn das für ein blödes Klischee? Und warum fanden alle das so großartig? Sah denn niemand, dass der Mann ein widerlicher Narziss war?
Selig lachend wandte sich Daniela an sie und strahlte, und Frauke versuchte, sich zusammenzureißen. Offenbar hatte die Freundin hier einen riesigen Spaß, und sie wollte ihr nicht den Abend verderben. Also blieb sie, wo sie war, klatschte pflichtschuldig und wurde im Laufe des Konzerts immer grimmiger. Der – ach, so tolle! – Gabriel hatte nur wenige Themen: Männer- und vor allem Frauenklischees, die „anderen“, die meist irgendwie blöd waren und seine eigene, goldglänzende, hervorragende Person. Das machte ihn in Fraukes Augen in etwa so lustig wie Mario Barth und so sympathisch wie Michel Friedmann. Dass er durchaus mit der Sprache umzugehen wusste und seine fein konstruierten Texte ab und an intelligente Wortspielereien beinhalteten, machte sie nur noch wütender. Platte Banalitäten sollten gefälligst auch platt vorgetragen werden und die Leute nicht durch clevere Verpackung darüber hinwegtäuschen, was sie tatsächlich waren.
„Sag den Leuten, was du denkst, sag’s ihnen mitten ins Gesicht, sag’s mit einem breiten Lachen: Glauben werden sie dir nicht. Denken bloß: Er scherzt, er spinnt, obwohl sie echt Idioten sind“ – das waren Weisheiten, die in ihren Ohren verächtlich klangen und auch anmaßend, denn was, wenn Leute im persönlichen Umgang mit ihm sich dieser Sätze erinnerten? Er stellte ja seine eigene Glaubwürdigkeit auf den Prüfstand. Was für ein arroganter… Ein schrilles Pfeifen Danielas riss sie aus ihren Gedanken. Die Freundin tanzte auf der Stelle, ihre Handflächen waren rot vom Klatschen.
Frauke biss die Zähne zusammen, während der Rest des Publikums sich in einem euphorischen Taumel verlor. Schließlich war das Konzert nach zwei Zugaben überstanden, und Frauke atmete auf. Sie wollte noch abwarten, bis Daniela wieder ansprechbar war und dann den Aufbruch vorschlagen.
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