Kim Bergmann
Leto und Niobe
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Inhaltsverzeichnis
Titel Kim Bergmann Leto und Niobe Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Zeus
Abschied
Der Kampf beginnt
Banges Warten
Verrat
Sieg und Niederlage
Der Aufbruch
Aphrodite
Der Fluch
Rettung
Der Frevel des Tantalos
Sehnsucht nach Freiheit
Frösche
Hekates Lehre
Niobe
Ein Verlust
Flucht aus Sipylos
Erste Visionen
Theben
Das Wiedersehen
Ein Wunder
Die Sterblichen
Von den Göttern gesegnet
Angst
Erste Risse
Balsam
Der Weg in den Wahn
Das verbotene Fest
Rache
Nachwort
Impressum neobooks
Die Welt war noch jung, als Leto geboren wurde. Das Chaos war erst vor wenigen Zeitaltern vom sanften Schimmer des Eros belebt worden, und der Fall des Uranos unter den Händen des Kronos stand den Titanen noch lebhaft vor Augen.
Leto liebte es, ihre Eltern von früheren Zeiten sprechen zu hören. Abends, wenn alle daheim waren, kletterte sie oft auf Phoibes Schoß, kuschelte sich an sie und richtete die großen Augen erwartungsvoll auf ihren Vater, der dann ohne weitere Aufforderung zu erzählen begann. Und so lauschte Leto mit heimlichem Schaudern den Geschichten des Koios. Er beschrieb eindringlich und spannend, und Leto, deren Fantasie schon in jungen Jahren beeindruckende Maße erreicht hatte, sah sich selbst mit den Titanen schmachten, die von Uranos tief in der Erde eingeschlossen worden waren. Sie malte sich im Geiste beängstigende Geschöpfe aus, als Koios die Gerüchte erwähnte, denen zufolge an anderer Stelle noch andere Wesen ähnlich gefangen liegen sollten. Ihre Lieblingsgeschichte war jedoch die von Kronos, dem wilden Bruder ihres Vaters, der die Gefangenschaft der Titanen beendete, indem er Uranos entmannte und ins Meer stürzte.
Koios sagte ernst zu den großen Augen seiner Tochter: „Ich werde ihm ewig dankbar sein, dass er uns befreit hat, aber genauso dankbar bin ich dafür, dass ich nicht wie er bin. Uranos war immerhin unser Vater. Kronos ist wild und unbezähmbar, und seine Tat war Segen und Frevel zugleich. Außerdem hörten wir in unserem Kerker, wie Uranos ihm im Fall prophezeite, dass er ebenfalls von einem Sohn gestürzt werden würde, und seitdem hat nie jemand ein Kind des Kronos gesehen, obwohl Rheia andauernd schwanger ist.“ Er beugte sich vor und raunte mit gesenkter Stimme: „Man sagt, dass er seine eigenen Kinder verschlingt, um dem Fluch des Uranos zu entgehen.“
Leto drückte sich unwillkürlich enger an Phoibe, die sie mit beiden Armen umschlang und ihren Gatten halb lächelnd, halb strafend anblickte. Koios setzte sich wieder auf, erwiderte das Lächeln seiner Gattin und strich Leto über den weichen Scheitel. „Na, Schatz, keine Angst. Du und Asteria, ihr müsst euch nicht beunruhigen.“
Letos Schwester, die wie üblich auf dem Boden saß und ganz in das Spiel mit ihren Puppen vertieft war, schaute beim Klang ihres Namens auf.
„Was ist los?“
Koios lächelte ihr zärtlich zu und sagte: „Ich versicherte nur deiner Schwester gerade, dass wir euch nicht verschlingen werden wie Kronos seine Kinder.“
Asteria wandte sich desinteressiert wieder ihrem kleinen Hofstaat zu.
„Weiß ich doch.“
Leto wurde rot und wand sich verlegen in den Armen ihrer Mutter.
„Ich auch. Aber findest du das denn überhaupt nicht gruselig? Ich meine, er ist unser Onkel. Und er isst seine Kinder!“
„Bloß so eine Geschichte, mit der man uns Angst machen will, glaube ich“, murmelte Asteria, während sie einer ihrer Puppen etwas Fürchterliches zustoßen ließ.
Leto blickte misstrauisch von Koios zu Phoibe. Beide schauten ernst, aber versteckte sich da nicht doch ein Lachen in ihren Augen?
„Wie auch immer“, sagte sie, als sie sich tiefer in die Wärme ihrer Mutter kuschelte, „ich bin froh, dass er uns nicht besucht.“
Koios lachte.
„Nein, das wird er wohl nicht. Habe ich dir schon von der besonderen Göttin erzählt, die beim Fall des Uranos geboren wurde?“
Leto wusste natürlich, wer gemeint war, und sie kannte die Geschichte, aber sie schüttelte den Kopf, um sie noch einmal zu hören.
„Als die Blutstropfen aus Uranos' Wunde ins Meer fielen“, erzählte Koios, „begann das Wasser an dieser Stelle zu schäumen, und aus dem Schaum wuchs eine herrlich schöne Göttin hervor. Wir nennen sie Aphrodite, das heißt 'die Schaumgeborene'. Aphrodite stand mit ihren hübschen rosa Füßchen in einer Muschel, und diese Muschel trug sie über das Meer bis ans Ufer. Es heißt, dass die Fische sie den ganzen Weg über begleitet haben und weinen mussten, als sie an Land ging. Wohin sie ihren Fuß auch setzte, sprossen Blumen aus dem Boden, und alle Schöpfung neigte sich ihr zu, denn sie ist die Göttin der Liebe. Sie kümmert sich um alle Lebewesen, die lieben, es wollen oder es auch nicht wollen, denn wenn Aphrodite das so möchte, dann muss man sich ihr fügen, da hilft gar nichts. Sie ist sicherlich auf ihre Art die mächtigste Göttin überhaupt, vermutlich hat selbst Kronos vor ihr Angst. Liebte er Rheia nicht so sehr, müsste er schließlich keine Angst vor seinem Sturz haben.“
Leto blickte nachdenklich auf.
„Ist sie denn böse, die Aphrodite?“
Koios krauste die Stirn, als er diese Idee bedachte, lächelte dann aber.
„Nein, Schatz, böse ist sie wohl nicht. Doch wenn man über solche Macht verfügt, kann man wohl kaum verhindern, dass man auch Unheil anrichtet. Aber was genau ich damit meine, meine Süße, wirst du vermutlich früh genug erfahren. Und um deine Mutter und mich musst du dir keine Sorgen machen. Wir dienen ihr treu.“
Und hinter Letos Rücken fanden sich Koios‘ und Phoibes Hände.
Leto verstand nicht genau, was ihr Vater meinte, aber sie war sich sicher, dass es gut war, dass ihre Eltern Aphrodite treu dienten. Was war das aber wohl für ein Unheil, das die schöne Göttin anzurichten imstande war, fragte sich das kleine Mädchen, ehe es in den Armen seiner Mutter einschlief.
Die Vögel setzten zu ihrem letzten Konzert für den Abend an und würden bald von den Grillen abgelöst werden, aber die Erde hier auf Kreta unter dem Olivenbaum war warm, und die Luft roch würzig, und Leto hatte keine Lust, sich auf den langen Heimweg zu machen. Asteria hatte inzwischen eine Tochter, Hekate, und so begabt und intelligent dieses Kind auch war, es war Leto ein bisschen unheimlich. Die Kleine hatte Kräfte, die sie sogar mit der Unterwelt in Verbindung treten ließen, und starrte ganze Nächte lang in den Mond. Außerdem war sie bemerkenswert humorlos für ihre fünf Jahre.
Leto seufzte und schloss die Augen. Du bist eine schlechte Tante, dachte sie sich. Andererseits hat dieses Kind schon so früh eine Persönlichkeit entwickelt, dass man ihm gegenüber auch früher als sonst die einzigartige, persönliche Sympathie oder Antipathie entwickelt, die sonst Älteren vorbehalten ist. Und in Hekates Fall war es bei Leto nun einmal Antipathie, daran ließ sich nichts ändern. Sie stellte fest, dass sie in den letzten Monaten außerordentlich viel Zeit im Freien verbracht hatte, beim Träumen, Wandern, Gärtnern. Die Sonne hatte ihre Haut gebräunt und die viele Bewegung sie ausdauernd und gesund gemacht. Trotzdem konnte sie sich selbst nicht darüber täuschen, dass sie das alles lediglich tat, um diesem Kind aus dem Wege zu gehen, und dass sie es gerade jetzt unheimlich genoss, hier zu liegen und gar nichts zu tun, außer nicht in Hekates Nähe zu sein.
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